Wann ist Betriebsvereinbarung zu Personalgesprächen wirksam? Copyright by TeamDaf /Adobe Stock
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Zu dieser Problematik hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss vom 11. Dezember 2018 Stellung genommen.

Kein gesetzlicher Anspruch des Betriebsrats auf Beteiligung

Das Betriebsverfassungsgesetz sieht mehrere Fälle vor, in denen der Arbeitgeber Arbeitnehmer*innen unterrichten und den Sachverhalt mit ihnen erörtern muss. Dies gilt beispielsweise, wenn feststeht, dass sich ihre Tätigkeit ändern wird und die vorhandenen Kenntnisse und Fähigkeiten für die neue Aufgabe nicht ausreichen. Oder, wenn Arbeitnehmer*innen Fragen zur Berechnung und Zusammensetzung ihres Arbeitsentgelts haben.

In diesen Fällen können Arbeitnehmerinnen frei darüber entscheiden, ob sie bei der Erörterung ein Mitglied des Betriebsrats hinzuziehen möchten. Der Betriebsrat hat also keinen gesetzlichen Anspruch darauf, dass er eine Einladung zu solchen Gesprächen bekommt.

Abweichende Betriebsvereinbarung

Im Fall, über den das Bundesarbeitsgericht entscheiden musste, hatten Arbeitgeber und Betriebsrat im Jahr 2002 eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die von dieser gesetzlichen Regelung abwich. Darin war unter anderem geregelt:
 „Zu Gesprächen . . . in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.“
Unter disziplinarischen Maßnahmen verstanden die Betriebsparteien Ermahnungen, Abmahnungen, Verwarnungen, Kündigungen und Versetzungen.

Arbeitgeber verweigert Einladung

Nach Abschluss der Betriebsvereinbarung lud der Arbeitgeber den Betriebsrat ein, wenn ein Gespräch über disziplinarische Maßnahmen anstand. Erst 2005 erfolgten keine Einladungen mehr. Dagegen wollte der Betriebsrat vorgehen. Er leitete ein Beschlussverfahren ein.
Vor dem Arbeitsgericht verlor der Betriebsrat. Er legte Beschwerde ein. Das Landesarbeitsgericht gab ihm recht. Dagegen ging der Arbeitgeber mit der Rechtsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht vor.

Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Das Bundesarbeitsgericht beschäftigt sich in seiner Entscheidung im Wesentlichen mit der Frage, ob die Regelung in der Betriebsvereinbarung das Allgemeine Persönlichkeitsrecht von Arbeitnehmer*innen verletzt. Dieses Recht leitet das oberste deutsche Arbeitsgericht aus dem grundgesetzlich garantierten Schutz der freien Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde her. Außerdem ist zu beachten, dass die Betriebsparteien nach dem Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet sind, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmerinnen zu schützen und zu fördern.
Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst nach dem Bundesarbeitsgericht „. . . insbesondere die . . . Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden.“

Grenzen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts

Das Allgemeine Persönlichkeitsrecht gilt aber nur in den Schranken der Verfassung. Deshalb können es verfassungsgemäße Regelungen einschränken. Zu solchen Regelungen können auch Betriebsvereinbarungen gehören.

Beeinträchtigung durch die Betriebsvereinbarung

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes beeinträchtigt die Betriebsvereinbarung das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer*innen, die eine Einladung zu einem disziplinarische Gespräch bekommen haben.
Zum einen erfahre der Betriebsrat automatisch, dass der Arbeitgeber ein Gespräch beabsichtige, in dem es um disziplinarische Maßnahmen gehe. Dies hänge also nicht vom Willen der Arbeitnehmer*innen ab. Darüber hinaus könnten sie nicht darüber entscheiden, welche Mitglieder des Betriebsrats informiert würden.
Außerdem können Arbeitnehmer*innen die Beteiligung eines Betriebsrates insgesamt ablehnen. Aber sie haben nach der Betriebsvereinbarung keinen Einfluss darauf, welches Mitglied des Betriebsrates an dem Gespräch teilnimmt, wenn sie grundsätzlich mit einer Teilnahme einverstanden sind.

Verhältnismäßigkeit

Ist das Allgemeine Persönlichkeitsrecht durch eine Betriebsvereinbarung eingeschränkt, ist diese nur wirksam, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Deshalb muss die Regelung zur Beteiligung des Betriebsrats - gemessen an ihrem Zweck - sowohl erforderlich als auch angemessen sein.

Zweck der Beteiligung

Die Beteiligung des Betriebsrates dient der Unterstützung in einer Situation struktureller Unterlegenheit von Arbeitnehmerinnen. Dem Mitglied des Betriebsrats kommt insofern eine Kontroll- und Korrekturfunktion zu. Außerdem ist auf diese Weise sichergestellt, dass für Arbeitnehmer*innen eine Person als Zeuge bei dem Gespräch dabei ist.

Erforderlichkeit

Nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes reicht es für die schutzwürdigen Interessen von Arbeitnehmer*innen aus, wenn sie ein Recht haben, ein Mitglied des Betriebsrates hinzuzuziehen und wenn der Arbeitgeber sie in der Einladung auf dieses Recht hinweist. Eine automatische Einladung des Betriebsrates sei deshalb nicht erforderlich.

Angemessenheit

Nach der Regelung in der Betriebsvereinbarung haben Arbeitnehmer*innen keinen Einfluss darauf, welches Mitglied des Betriebsrats am Gespräch teilnimmt. Entsendet der Betriebsrat ein Mitglied, mit dem die Arbeitnehmer*innen nicht einverstanden sind, haben sie nur die Möglichkeit, eine Beteiligung des Betriebsrates insgesamt abzulehnen. Genau dies liefe aber den Zielen zuwider, die eine Gesprächsteilnahme des Betriebsrates verfolgt.
Außerdem geht das Betriebsverfassungsgesetz davon aus, dass Arbeitnehmerinnen frei entscheiden können, ob sie eine Beteiligung des Betriebsrates wünschen oder nicht. Diese freie Entscheidung sei nicht gewährleistet, wenn sie in Erklärungszwang gegenüber dem Betriebsrat gerieten, weil sie seine Beteiligung ablehnten.
Darüber hinaus habe der Betriebsrat auch keine Pflicht zur Verschwiegenheit über den Inhalt des Gesprächs. Auch dies führe dazu, dass die Regelung zur Beteiligung des Betriebsrates in der Betriebsvereinbarung unangemessen sei.

Ergebnis

Die Regelung der Betriebsvereinbarung zur Beteiligung des Betriebsrates ist weder erforderlich noch angemessen. Deshalb ist sie unwirksam. Der Betriebsrat kann also nicht verlangen, auch weiterhin automatisch zu allen Gesprächen wegen disziplinarische Maßnahmen eine Einladung zu erhalten.

Hier finden Sie den vollständigen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 11. Dezember 2018, Az: 1 ABR 12/7

Rechtliche Grundlagen

§ 75 Betriebsverfassungsgesetz

§ 75 Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.


(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.