Arbeitgeberin hat Recht auf Akteneinsicht, um die Gültigkeit Betriebsratswahl zu prüfen.  © Adobe Stock - Von Robert Kneschke
Arbeitgeberin hat Recht auf Akteneinsicht, um die Gültigkeit Betriebsratswahl zu prüfen. © Adobe Stock - Von Robert Kneschke

Arbeitgeber*innen sind nicht immer mit dem Ergebnis einer Betriebsratswahl einverstanden. Eigentlich geht es sie aber nicht an, für welche Liste oder welcher Kandidat*innen die Mehrheit der wahlberechtigten Belegschaft gestimmt hat. Der Arbeitgeber, mindestens drei Wahlberechtigte und eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft können aber die Wahl anfechten, wenn sie der Auffassung sind, dass gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde.


Für die Anfechtung gibt es allerdings eine Frist. Sie muss innerhalb von zwei Wochen ab dem Tag der Bekanntgabe des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingehen. Andernfalls bleibt es beim Ergebnis der Wahl, der gewählte Betriebsrat im Amt. Nur bei ganz groben Verstößen gegen die Regeln ist die Wahl sogar nichtig. Dann braucht niemand innerhalb der Frist anfechten. Der Betriebsrat gilt dann gleichsam als nie gewählt.

Nachdem der Betriebsrat die weitere Einsicht verweigert hatte, beantragte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung

Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg (LAG) hatte über einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitgeber eine Betriebsratswahl innerhalb der Frist angefochten hatte. Er verlangte in diesem Zusammenhang vom Betriebsrat Einsicht in den Wahlakten zur Betriebsratswahl, einschließlich der Briefwahlunterlagen. Stattgefunden hatte die Wahl am 17. Juni 2021. Bereits am 28. Juni 2021 hatte der Arbeitgeber Einsicht in die Wahlunterlagen genommen. Zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht in die Unterlagen der Briefwahl.


Nachdem der Betriebsrat die weitere Einsicht verweigert hatte, beantragte der Arbeitgeber beim Arbeitsgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Verfügung. Er begehrt vollständige Einsicht in die Wahlakten zur Betriebsratswahl, hilfsweise auf vollständige Einsicht in die Briefwahlunterlagen. Mit Beschluss vom 5. August 2021 wies das Arbeitsgericht Berlin die Anträge zurück.

Der Arbeitgeber hat ein berechtigtes Interesse daran, in Unterlagen einzusehen

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch der Arbeitgeberin sei durch die Einsichtnahme am 28. Juni 2021 erfüllt. Anspruch auf Einsicht in die Briefwahlunterlagen habe die Arbeitgeberin nicht, weil sie nicht dargetan habe, inwieweit sie daraus Rückschlüsse ziehen könnte, wer sich nicht an der Wahl beteiligt habe. Somit habe sie kein berechtigtes Interesse auf Einsichtnahme in die Bestandteile der Wahlakten.


Das sah das LAG indessen anders. Auf die Beschwerde des Arbeitgebers änderte sie den Beschluss des Arbeitsgerichts ab und gab dem Betriebsrat im Wege der einstweiligen Verfügung auf, dem Arbeitgeber vollständige Einsicht in den Wahlakten zur Betriebsratswahl zu gewähren.


Er habe nämlich ein berechtigtes Interesse daran, in Unterlagen einzusehen, die auf das Wahlverhalten der Arbeitnehmer schließen lassen könnten. Das betreffe auch die mit den Stimmabgabevermerken versehenen Wählerlisten sowie die von den Wahlberechtigten zurückgesandten Wahlumschläge.

Der Arbeitgeber hat dargetan, dass er in die Unterlagen einsehen muss, um zu prüfen, ob es Fehler im Wahlverfahren gegeben hat

Das LAG hat sich zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bezogen und aus einer Vorschrift der Wahlordnung (WO) gefolgert, dass der Arbeitgeber ein Recht hat, in die kompletten Wahlunterlagen einzusehen: § 19 WO bestimmt, dass der Betriebsrat die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren hat. In Hinblick auf das Wahlgeheimnis ist das Einsichtsrecht des Arbeitgebers aber eingeschränkt hinsichtlich der Unterlagen, aus denen er Rückschlüsse auf das Wahlverhalten einzelner Arbeitnehmer ziehen könne, so das LAG in seiner Begründung.


Der Arbeitgeber habe dargetan, dass er die Einsichtnahme in diese Unterlagen benötige, um prüfen zu können, ob es Fehler im Wahlverfahren gegeben habe, die er noch im Anfechtungsprozess vortragen könne. So könnten sich aus einem Vergleich der Stimmabgabevermerke mit den vorliegenden Umschlägen bzw. Stimmzetteln Differenzen ergeben, die auf Fehler bei der Wahl schließen lassen könnten.

Das Interesse der Arbeitnehmer*innen auf Vertraulichkeit muss zurückstehen

Für diese Prüfung seien weiterhin die Freiumschläge bei der Briefwahl erforderlich. Die Stimmabgabe der Wähler könne in zulässiger Weise nicht auf andere Weise als durch die Vermerke in der Wählerliste einschließlich der entsprechenden Briefwahlvermerke festgestellt oder bewiesen werden. Insofern stünde der Wunsch der Arbeitgeberin, in diese Unterlagen einzusehen, nicht zusammenhangslos zum Wahlanfechtungsverfahren. Vielmehr solle die Einsichtnahme gerade dem Verfahren dienen, für das die Aufbewahrungspflicht des Betriebsrates normiert sei und in dem man feststellen könne, ob die Betriebsratswahl ordnungsgemäß sei.


Zwar hätten die Arbeitnehmer*innen auch ein berechtigtes Interesse daran, dass die Wahlunterlagen vertraulich behandelt würden. Das müsse in diesem Fall jedoch gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an der Einsichtnahme zurückzutreten. Weder seien die Stimmabgabevermerke noch die Feststellung der Teilnahme an der Briefwahl durch die Öffnung der Freiumschläge absolut von Geheimhaltung geschützt. Die Freiumschläge seien entsprechend der Wahlordnung in einer öffentlichen Veranstaltung zu öffnen. Die Wahlvermerke erfolgten im Wahllokal, bevor die Stimme eingeworfen werde.
Ebenso sei durch entsprechende Beobachtungen festzustellen, wer nicht gewählt habe. Demgegenüber diente die Überprüfung der Betriebsratswahl zugleich auch der entsprechenden Legitimation des gewählten Betriebsrats, jedenfalls dann, wenn die Überprüfung zu seinen Gunsten ausgehe.

Der Anspruch des Arbeitgebers, die Wahlunterlagen einzusehen, richtet sich auf die vollständige Einsichtnahme in die vom Wahlvorstand überlassenen Unterlagen zur Betriebsratswahl

Der Anspruch sei auch nicht bereits dadurch erfüllt, weil der Arbeitgeber am 28. Juni 2021 bereits in die Wahlunterlagen Einsicht genommen habe. Zwischen den Parteien sei unstreitig, dass er nicht alle Unterlagen der Wahlakte zu sehen bekommen habe. Der Anspruch richte sich nämlich auf die vollständige Einsichtnahme in die dem Betriebsrat vom Wahlvorstand überlassenen Unterlagen zu der Betriebsratswahl.Es gebe zudem einen für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Verfügungsgrund. Zwar werde mit der Einsichtnahme in die vollständigen Wahlunterlagen die Hauptsache vorweggenommen. Dies sei hier jedoch gerechtfertigt, weil der Arbeitgeber nicht auf ein Hauptsacheverfahren verwiesen werden könne. Denn er benötige die Informationen, um das Anfechtungsverfahren durchführen zu können. Das habe der Arbeitgeber innerhalb der gesetzlichen Frist von zwei Wochen bereits eingeleitet.Wenn man abwarte, bis im Hauptsacheverfahren eine Entscheidung getroffen sei, bestehe die Gefahr, dass diese nach der Entscheidung über das Wahlanfechtungsverfahren getroffen werde. Damit aber ginge der Anspruch der Arbeitgeberin auf Einsichtnahme in die Wahlakten verloren, da es dann einer solchen möglicherweise nicht bedürfe. Interessen des Betriebsrats würden nicht tangiert. Er sei lediglich Verwahrer der Unterlagen.


Hier geht es zur Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg:

Rechtliche Grundlagen

§ 19 Wahlordnung (WO)

Rechtsgrundlage:

§ 19 Wahlordnung (WO)

Aufbewahrung der Wahlakten

Der Betriebsrat hat die Wahlakten mindestens bis zur Beendigung seiner Amtszeit aufzubewahren.