Ist zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat streitig, ob eine Betriebsratstätigkeit erforderlich war und damit nach  § 37 Abs. 2 BetrVG zu vergüten ist, gilt eine »abgestufte Beweislast«. Zwar muss das Betriebsratsmitglied angeben, welche Aufgaben im Rahmen des Mandats wahrgenommen wurden. Im zweiten Schritt ist es aber Sache des Arbeitgebers, seine Zweifel an der Erforderlichkeit darzulegen und zu beweisen.

Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm zu Grunde?


Die Parteien streiten darum, ob der Kläger für zwei Monate restliche Vergütung wegen Verrichtung erforderlicher Betriebsratstätigkeit verlangen kann.

Der Kläger ist seit dem 14.10.1991 für die Beklagte, einem Unternehmen der Metallindustrie, tätig. Er arbeitete zuletzt – zusammen mit dem Arbeitnehmer H2 – in der sogenannten Abteilung "Antriebe".

Ab dem Jahr 2008 übernahm der Kläger als damaliges Ersatzmitglied des im Betrieb bestehenden Betriebsrates durchgehend die Amtsaufgaben des erkrankten Betriebsratsmitgliedes C1. Als Arbeitnehmer im Angestelltenbereich hatte er entsprechend der betrieblichen Praxis nach der Verrichtung von Amtstätigkeiten die dafür aufgewandten Stunden pro Tag seinem Vorgesetzten mitzuteilen; aufgrund dessen erfolgte dann die Vergütung.

Bei der Neuwahl im Frühjahr 2010, zu der 498 Arbeitnehmer wahlberechtigt waren, wurde der Kläger in den Betriebsrat gewählt. Zu Beginn der Amtszeit des neuen Betriebsrates am 23.04.2010 fand dessen konstituierende Sitzung statt. In ihr wurde der Arbeitnehmer J1 zum Vorsitzenden und der Kläger zum stellvertretenden Vorsitzenden des Betriebsrates gewählt.

Anschließend kam es dann zu Diskussionen über die nach § 38 BetrVG vorzunehmende Freistellung, namentlich ob sie im Verhältnis 50 : 50 zwischen J1 und dem Kläger aufgeteilt werden sollte.

In der Betriebsratssitzung am 28.04.2010 wurde dann der Beschluss gefasst, den Kläger mit Wirkung ab 01.06.2010 in vollem Umfang freizustellen. Weiterhin traf man u.a. die Entscheidung, das Betriebsratsmitglied H3 "zu Einarbeitungszwecken" weiterhin freizustellen. Dieser hatte zuvor ca. 20 Jahre als Betriebsratsvorsitzender fungiert und war davon ca. die letzten 12 Jahre freigestellt.

Völlig überraschend trat dann der Arbeitnehmer J1 am Folgetag, dem 29.04.2010, von seinem Amt als Betriebsratsvorsitzender zurück. Anschließend unterrichtete dann der Betriebsrat die Beklagte über die getroffenen Freistellungsentscheidungen und führte in dem Schreiben vom 29.04.2010 u.a. aus:

Zur Einarbeitung des neuen Vorsitzenden und des freigestellten T1 R1 bitten wir die bisherige Freistellung des Betriebsratsmitgliedes K1 H3 weiter beizubehalten.*"

Am 05.05.2010 wurde dann der Kläger zum Betriebsratsvorsitzenden und das Betriebsratsmitglied J2 zu seinem Stellvertreter gewählt.

Im Juni 2010 hat die Beklagte die Vergütung des Klägers wegen "Fehlzeiten durch Betriebsratsarbeit" im Zeitraum ab 26.04. bis 27.05.2010 um einen Bruttobetrag in Höhe von 1.510,82 € für insgesamt 56,67 Stunden gekürzt. Dazu legte sie eine am 02.06.2010 gefertigte detaillierte Aufstellung vor, allerdings erst vor Gericht am 11.11.2010.

Wie hat das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden?


Die Berufung des Klägers ist begründet, während die Berufung der Beklagten als unbegründet zurückzuweisen war.

I. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. § 37 Abs. 2 BetrVG für den Zeitraum ab 26.04. bis 27.05.2010 einen vollen Restvergütungsanspruch in Höhe von 1.510,82 € brutto für insgesamt weitere 56,67 Stunden geleistete Betriebsratstätigkeit.

Nach § 37 Abs. 2 BetrVG darf das Arbeitsentgelt eines Betriebsratsmitgliedes nicht gemindert werden, wenn und soweit die aufgewandte Zeit nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung seiner Aufgaben erforderlich ist.

In Fällen des § 37 Abs. 2 BetrVG ist nach der Rechtsprechung des BAG (Urteil vom 15.03.1995 – 7 AZR 643/94) grundsätzlich von einer abgestuften Darlegungslast auszugehen. Danach hat zunächst das betroffene Betriebsratsmitglied stichwortartig zur Art und zur Dauer der von ihm durchgeführten Amtstätigkeit vorzutragen. Sodann ist es Aufgabe des Arbeitgebers, darzulegen, weshalb unter Berücksichtigung dieser Angaben begründete Zweifel an der Erforderlichkeit bestehen. Erst dann ist es Aufgabe des Betriebsratsmitgliedes, substantiiert auszuführen, aufgrund welcher Umstände es die Betriebsratstätigkeit für erforderlich halten durfte.

Allerdings verlagert sich im konkreten Fall die Darlegungslast auf die beklagte Arbeitgeberin.
Denn in der Vergangenheit hat sich die Beklagte namentlich auch gegenüber dem Kläger mit einer Angabe der Zahl der täglich für Betriebsratsarbeit aufgewandten Zeit begnügt ohne zu irgendeinem Zeitpunkt eine auch nur stichwortartige Erläuterung verlangt zu haben.

Wenn sie diese zum Inhalt einer vertrauensvollen Zusammenarbeit gewordene Handhabung ganz oder teilweise beenden wollte, wäre es im Rahmen des § 2 Abs. 1 BetrVG ihre Pflicht gewesen, die betroffenen Betriebsratsmitglieder rechtzeitig darauf hinzuweisen, Dies hätte sie möglichst schon im Vorfeld des hier streitigen Zeitraums ab 26.04.2010 tun müssen, in jedem Fall aber bei Aufkommen des Konflikts um die Notwendigkeit vom Kläger zu leistender Betriebsratstätigkeit.

Dadurch, dass die Beklagte dem Kläger ihre detaillierte Liste zu »Fehlzeiten durch Betriebsratsarbeit« vom 02.06.2010 erst im Prozess mit Schriftsatz vom 11.11.2010 zugänglich gemacht, hat sie es Kläger erheblich erschwert bzw. unmöglich gemacht, genauer darzulegen, aufgrund welcher Umstände er die Betriebsratstätigkeit im Umfang von 56,67 Stunden, verteilt auf 13 Tage in einem Zeitraum von insgesamt drei Wochen in den Monaten April und Mai 2010, für erforderlich halten durfte.

Entsprechend dem in § 162 BGB zum Ausdruck kommenden Rechtsgedanken, wonach niemand aus einem treuwidrigen Verhalten Vorteile ziehen darf, ist der Beklagten ausnahmsweise im Rahmen des § 138 Abs. 2 ZPO eine erweiterte Erklärungslast aufzuerlegen. Daher muss sie die Umstände darzulegen, die die Erforderlichkeit der vom Kläger angegebenen Tätigkeiten ausschließen. Diesen Anforderungen ist sie nicht gerecht geworden.

Nach Auffassung des LAG Hamm sprechen alle konkreten Einzelfallumstände dafür, dass der Kläger auch die streitigen Stunden dafür aufgewandt hat, erforderliche Betriebsratstätigkeiten zu erledigen.

Angesichts der Beschäftigtenzahl von zum Wahlzeitpunkt 498 Arbeitnehmern mit der sich aus § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG ergebenden Freistellung von »mindestens« einem Betriebsratsmitglied bestand aber die gesetzgeberische Vermutung, dass im Betrieb der Beklagten regelmäßig erforderliche Betriebsratstätigkeit zumindest in einem die Arbeitszeit einer Vollzeitkraft beanspruchenden Umfang anfiel.

Deshalb ist in einer solchen Konstellation nach der zutreffenden Rechtsprechung des BAG (z.B. 26.06.1996 – 7 ABR 48/95 – und 7 AZR 277/88) grundsätzlich auch nicht näher zu prüfen, ob die Erforderlichkeit vorliegt. Ausnahmsweise hat nur dann eine nähere Prüfung stattzufinden, wenn die Freistellung zweckwidrig missbraucht oder eine Tätigkeit verrichtet wurde, die offensichtlich mit der Wahrnehmung von Amtsaufgaben nichts zu tun hat.

Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist davon auszugehen, dass der Kläger - zunächst zusammen mit seinem Kollegen J1 als Betriebsratsvorsitzenden - in der Zeit ab 26. bis 29.04.2010 im geltend gemachten Umfang erforderliche Tätigkeiten wahrgenommen hat. Die Beklagte hat keine Anhaltspunkte dafür genannt, dass beide zusammen den durch § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG vorgegebenen zeitlichen Rahmen auch nur annähernd ausgeschöpft haben. Zudem ist bei der Betriebsgröße von knapp unter 501 Arbeitnehmern eher von der Notwendigkeit der Tätigkeit zweier Vollzeitkräfte auszugehen.

Was den Zeitraum nach dem Rücktritt des Betriebsratsmitgliedes J1 vom Vorsitz ab 29.04.2010 angeht, ergab sich nunmehr für den Kläger als gewähltem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden die Pflicht, bis zur Konstituierung eines Betriebsausschusses alle in einem 11-köpfigen Betriebsrat anfallenden laufenden Geschäfte einschließlich der Aufgaben nach § 26 Abs. 2 BetrVG vollumfänglich wahrzunehmen, obwohl für ihn eine insoweit einschlägige Schulung in der Betriebsratssitzung am 28.04.2010 erst für den Zeitraum ab 14.06.2010 beschlossen worden war. Wenn er vor diesem Hintergrund zahlreiche Gespräche, namentlich auch mit der 2. Bevollmächtigten der IG Metall B2, H4, führte, ist dies ohne Weiteres nachvollziehbar. Die Beklagte ist jedenfalls den diesbezüglichen Darlegungen des Klägers unter Berücksichtigung von § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 138 Abs. 2 ZPO nicht ausreichend entgegengetreten.

Entsprechendes gilt auch für den Zeitraum ab 25. bis 27.05.2010, nachdem der zwischenzeitlich am 05.05.2010 zum Betriebsratsvorsitzenden gewählte Kläger nach einer zweiwöchigen Urlaubs- und schulungsbedingten Abwesenheit in den Betrieb zurückkehrte. Soweit die Beklagte insoweit darauf verweist, der Kläger hätte die Tätigkeit auf eine Zeit nach Beginn seiner Freistellung verschieben können, verkennt sie dabei, dass die in § 38 Abs. 1 Satz 1 BetrVG zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Vermutung sich auf den Verlauf der gesamten Amtsperiode erstreckt (vgl. BAG, 26.06.1996 – 7 ABR 48/95 – AP BetrVG 1972 § 38 Nr. 17), die Notwendigkeit zur Vornahme erforderlicher Betriebsratstätigkeit also nicht für Tage entfällt, insbesondere nach einer zweiwöchigen Abwesenheit.

Der Arbeitgeber hat gegen das Urteil beim BAG unter Aktenzeichen 7 AZN 901/12 Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Es muss zwischen dem Anspruch auf Arbeitsbefreiung wegen Betriebsratsarbeit und der Fortzahlung der Vergütung für diese Tätigkeit unterschieden werden.
Zur Arbeitsbefreiung hat das Betriebsratsmitglied sich beim Vorgesetzten abzumelden, zu sagen, wie lange die Abwesenheit voraussichtlich dauern wird und nach Ende der Betriebsratstätigkeit sich wieder zurück zu melden. Der Arbeitgeber muss der Arbeitsbefreiung nicht zustimmen. Das Betriebsratsmitglied muss nicht sagen, welcher konkreten Betriebsratstätigkeit es nachgehen will (so BAG 15.03.1995, 7 AZR 643/94).
Geht es aber um die Lohnfortzahlung sieht die Sache anders aus. Hier gilt die abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Auf Verlangen muss das Betriebsratsmitglied stichwortartig den Inhalt der Betriebsratstätigkeit benennen. Der Arbeitgeber hat danach substantiiert darzulegen, weshalb er meint, dass die Betriebsratstätigkeit nicht oder nicht im erfolgten Umfang erforderlich war.
Vorliegend hatte sich der Arbeitgeber mehrere Jahre damit begnügt, dass lediglich die Abwesenheitszeiten der Betriebsratstätigkeit gemeldet wurden. Nachfragen dazu gab es nicht. Daraus ist ein Vertrauenstatbestand entstanden. Nun im Nachhinein zu sagen, dass genügt mehr, ist treuwidrig. Wenn dann hätte im Vorfeld der Arbeitgeber darauf hinweisen müssen, dass in Zukunft die einfache Meldung der Abwesenheitszeiten für Betriebsratstätigkeiten nicht mehr genüge.
Im hier zu entscheidenden Fall kamen noch weitere Umstände hinzu. Der Betriebsrat war neu gewählt worden. Aufgrund der Betriebsgröße bestand der Anspruch auf die Freistellung eines Betriebsratsmitglieds. Der Betriebsratsvorsitzende ist plötzlich zu rückgetreten, das Ersatzmitglied musste eingearbeitet werden. Bei dieser Konstellation ist nicht näher zu prüfen, so das Gericht, ob eine Erforderlichkeit der Betriebsratstätigkeit vorgelegen hat.
Beide Parteien sollten die vertrauensvolle Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG leben.

 


Margit Körlings

DGB Rechtsschutz GmbH

Das Urteil des LAG Hamm vom 10.02.2012, 13 Sa 1412/11