Kein Maulkorb für den Betriebsrat. Copyright by Christos Georghiou/Fotolia
Kein Maulkorb für den Betriebsrat. Copyright by Christos Georghiou/Fotolia

Darf ein Betriebsrat sich öffentlich via Twitter zu betrieblichen Angelegenheiten äußern?
Mit dieser brisanten Frage im Spannungsfeld von Meinungsfreiheit und dem Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit bewegt sich die Entscheidung des LAG Niedersachsen.
 
Die Arbeitgeberin im vom LAG zu entscheidenden Fall ist ein Unternehmen, das mehrere Fachkliniken betreibt. Der bei ihr gewählte Betriebsrat äußerte sich zu Themen der Betriebsratsarbeit öffentlich über Twitter, etwa unter anderem dergestalt:
 
„#Einigungsstelle # Urlaub abgeschlossen, # Urlaubsplan genehmigt. # Newsletter kommt zeitnah in die Bereiche!“
 
„#Einvernehmen herrscht immer, wenn kein unmittelbarer Zwang ausgeübt wird.“
 
BV #ClinicPlanner abgeschlosssen! Die #Einigungsstelle ist damit beendet und es gibt eine tragfähige Regelung zum #Dienstplanprogramm

 
und
 
„Möglichkeit zum vorzeitigen #Stufenaufstieg nach # TvÖD nutzen! Bei besonders guten Leistungen durch Antrag möglich. Mit Vorgesetzen reden.“
 

Arbeitgeberin will Twittern verbieten

Die Arbeitgeberin wollte die Äußerungen des Betriebsrats via Twitter unterbinden.
Die Nutzung dieses sozialen Netzwerkes stelle einen Verstoß gegen die Grundsätze der vertrauensvollen Zusammenarbeit dar, so ihre Argumentation. Jedenfalls müsse man derartige Äußerungen zu betrieblichen Angelegenheiten nicht hinnehmen. Zudem sei die Nutzung des Twitter-Kontos für die Wahrnehmung der dem Gremium obliegenden Aufgaben auch nicht erforderlich. So sei es weder Aufgabe des Betriebsrates, noch sei er befugt, der Öffentlichkeit über betriebliche Vorgänge zu berichten.
 

Hintergrund: Das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit

Grundgedanke des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) ist der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit des Betriebsrates mit dem Arbeitgeber.
 
Betriebsrat und Arbeitgeberseite sollen zum Vorteil des Betriebs und der dort Beschäftigten zusammenwirken.   
Konkretisiert wird das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit durch die §§ 74 und 75 im BetrVG.
Normiert sind hierin das Gleichbehandlungsgebot, der Schutz und die Förderung des Persönlichkeitsrechts der Beschäftigten. Außerdem verlangt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit von den Mitgliedern des Gremiums die Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen (§79 BetrVG) und die Pflicht, nicht durch einseitige Handlungen in die Leitung des Betriebs einzugreifen (so § 77 Absatz 1 Satz 2 BetrVG).
Wichtig ist auch: Arbeitskämpfe sind den Betriebsparteien verboten! Zur Lösung von Konflikten muss die Einigungsstelle angerufen werden. Streik und/oder gar Aussperrung sind Sache der Tarifparteien, also Gewerkschaft und Arbeitgeber.
 

Runde 1 geht an Arbeitgeberin

Da der Betriebsrat weiterhin über Twitter Nachrichten verbreitete, zog die Arbeitgeberin vor Gericht. Im Beschlussverfahren vor dem Arbeitsgericht begehrte sie die Feststellung, dass die Äußerungen des Gremiums über Twitter rechtswidrig waren.
Das Arbeitsgericht stimmte der Arbeitgeberin zu.
Sofern sich die Arbeitgeberin nicht zuvor bereits in der Öffentlichkeit zu einer betrieblichen Angelegenheit geäußert habe, habe das Gremium hierzu auch keine Berechtigung.
 

Erfolg in zweiter Instanz

Der Betriebsrat legte gegen die Entscheidung des Arbeitsgericht Beschwerde ein.
So wollte das Gremium geklärt wissen, was im Zusammenhang mit der Sachlage unter „betrieblichen Angelegenheiten“ zu verstehen sei. Insofern ginge der Beschluss des Arbeitsgericht viel zu weit, so der Betriebsrat.  
Zudem seien die „Tweets“ gar nicht an die Öffentlichkeit adressiert, sondern nur an die Twitter-Nutzer in der Belegschaft. Demgegenüber sei von jeher das „Schwarze Brett“ als Informations-Forum anerkannt  - hier seien Informationen und andere Äußerungen der Öffentlichkeit ebenso zugänglich. Twitter sei mit dem „Schwarzen Brett“ vergleichbar.
 

Meinungsfreiheit für Betriebsrat

Das Landesarbeitsgericht hob die Entscheidung der ersten Instanz auf.
Für ein Verbot der Äußerung über Twitter sieht das Landesarbeitsgericht keine rechtliche Grundlage.
Demgegenüber kann sich der Betriebsrat auf die Meinungsfreiheit berufen. Die Meinungsfreiheit ist ein Rechtsgut von Verfassungsrang und im Grundgesetz als Grundrecht garantiert  - Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Die Grundrechte stehen jedoch in erster Linie den Bürgern zu, also „natürlichen“ Personen. Fraglich war im vorliegenden Fall daher, ob der Betriebsrat als gesetzliche Institution, also als Gremium, die Meinungsfreiheit für sich in Anspruch nehmen darf.
Eine eindeutige Entscheidung des Bundesarbeitsgericht hierzu gibt es bisher noch nicht.  
Das Landesarbeitsgericht  (LAG) geht zugunsten des Betriebsrates aber von einer teilweisen Grundrechtsfähigkeit aus. Soweit das Gremium eigene Rechte und Pflichten wahrnimmt, muss ihm auch eine mindestens teilweise Rechtsfähigkeit zustehen.
Entscheidend für das Beschwerdegericht ist: Der Betriebsrat ist zu einer eigenständigen Willensbildung und zu eigenem Handeln fähig. Er kann sich eine Meinung durch seine Mitglieder bilden und diese äußern. Im Ergebnis kann sich also der Betriebsrat grundsätzlich auf die Meinungsfreiheit berufen.
 
Bleibt die Frage, ob die Meinungsäußerung via Twitter rechtmäßig war.
Hierzu stellt das LAG Niedersachsen fest, dass der Betriebsrat nicht darauf beschränkt ist, seine Meinung nur in bestimmten Räumlichkeiten zu äußern. Vielmehr steht dem Gremium selbst die Entscheidung zu, wann, zu welcher Gelegenheit und auf welche Art und Weise eine öffentliche Stellungnahme angebracht ist.
 
Das Gericht der ersten Instanz jedenfalls ging nach Auffassung des LAG mit seiner Entscheidung zu weit, da in seiner Entscheidung viel zu stark in die Meinungsfreiheit des Betriebsrates eingegriffen wurde.
Aus ähnlichen Entscheidungen ist anerkannt: Ein Betriebsrat darf zu einer geplanten und in der Presse besprochenen Betriebsstilllegung Stellung beziehen, ohne dass zuvor die Arbeitgeberin die Diskussion angestoßen hatte. Das Gremium darf also die Diskussion zu einem betrieblichen Thema auf diesem Weg anstoßen. Der Betriebsrat darf also vor allem „agieren“, keinesfalls nur „reagieren“.
 
Der Entscheidung des LAG ist uneingeschränkt zuzustimmen.
Moderne Zeiten bringen moderne Kommunikationsmittel mit sich. Folgerichtig gesteht das LAG dem Gremium im vorliegenden Fall auch die Kommunikation via Twitter zu. Ebenso üblich sind im Übrigen heute auch „Newsletter“, die der Betriebsrat via E-Mail versendet.
Nun stellt sich in Zusammenhang mit dem Internet allerdings die Frage nach dem Gedächtnis einer Suchmaschine wie etwa Google.
Sicherlich, die „Tweets“ des Betriebsrates sind auch für in der Vergangenheit liegende Zeiträume im Internet auffindbar.
Allerdings steht dieser Tatsache das Argument entgegen, dass der Betriebsrat ohnehin lediglich übliche Äußerungen tätigen darf. Auch nach langer Zeit sind also die erlaubten Äußerungen zu betrieblichen Belangen auffindbar.
Die Grenze wäre dort zu ziehen, wo das Gremium Geschäftsgeheimnisse oder vertrauliche Informationen über Beschäftigte öffentlich über Twitter verbreitet. In einem solchen Fall könnte der Arbeitgeber dies im Rahmen eines Beschlussverfahrens unterbinden. Solche Äußerungen müssten sofort gelöscht werden.
 
Bleibt noch die Problematik des Wirkungsgrades:  
Im Grunde sind die Äußerungen des Gremiums über Twitter weltweit wahrnehmbar. Soll also die ganze Welt wissen können, was im Betrieb XY gerade in Hinblick auf den Betriebsrat aktuell anliegt? Wichtig ist hier zu beachten: „Follower“ des jeweiligen Konto des Gremiums werden wohl nur jene sein, die es auch angeht, also Beschäftigte des Betriebs.
Bei Weltkonzernen, etwa Autoherstellern mag dies in Zusammenhang mit aktuellem Tagesgeschehen ausnahmsweise anders sein  - hier muss aber der Arbeitgeber dann grundsätzlich mit seiner „Prominenz“ leben. Der Betriebsrat soll auch dann nicht in seiner Meinungsfreiheit eingeschränkt sein.
 
Hier geht es zum Urteil

Rechtliche Grundlagen

§ 2 Betriebsverfassungsgesetz

Betriebsverfassungsgesetz
§ 2 Stellung der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.

(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.

(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.