Ein Arbeitgeber darf dem Betriebsrat wegen öffentlicher Kritik an der Unternehmensführung nicht fristlos kündigen. Wenn die Kritik auf wahren Tatsachen beruht, muss der Chef das hinnehmen. Der Betriebsrat kann sich auf das Recht der Meinungsfreiheit berufen.

Eine Betriebsratsvorsitzende gab im Herbst 2008 in einem Fernsehinterview an, dass bei ihrer Arbeitgeberin die Arbeitspausen nicht eingehalten, aber trotzdem abgezogen würden. Diese Sendung wurde im März 2010 ausgestrahlt. Die Arbeitgeberin kündigte der Gruppenführerin daraufhin fristlos und ordentlich. Das Arbeitsverhältnis endete durch die ordentliche Kündigung.

Das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz wies die Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz zurück. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet.

Das LAG wies die Beklagte darauf hin, dass ein Betriebsrat im Rahmen seiner Zuständigkeit selbst darüber entscheiden kann, wann und in welchem Umfang eine öffentliche Stellungnahme angebracht ist. Insoweit kann auch er sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG unter Beachtung der allgemeinen Berücksichtigung des § 2 Abs. 1 BetrVG berufen. Der Arbeitgeber muss durchaus eine Kritik an seiner Betriebsführung hinnehmen. Die Grenze ist erst erreicht, wenn konkrete Gefahren für Betriebsabläufe oder für die Außenwirkung des Unternehmens drohen. Selbst dann müssen die Reaktionen oder Sanktionen des Arbeitgebers dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen.

Hier sei zu beachten, dass sich die vorgebrachte Kritik der Klägerin als Betriebsratsvorsitzende zu unterblieben, aber gleichwohl nicht als Arbeitszeit bezahlte  und Pausen sich auf einen wahren - nicht bestrittenen - Sachverhalt stützte. Die Klägerin hätte in ihrer Funktion ein reales Interesse am Abstellen von gesetzeswidrigen Missständen gehabt und durfte daher den "gewählten Weg beschreiten". Aus dem Vorbringen der Beklagten selbst ergäbe sich zudem, dass sich die Klägerin bei ihrem Chef beschwert hätte. Auch wenn die Einzelheiten dieses nachgesuchten Gesprächs nicht ausgeführt wurden, zeige sich an der Reaktionen des Arbeitgebers, dass es zwischen der Klägerin und der Beklagten deutliche Spannungen gegeben hat; in jedem Fall aber auch, dass die Pausenproblematik zum Thema mit der Beklagten gemacht worden war. Insgesamt kommt diesem Kündigungssachverhalt daher nicht ein solches Gewicht zu, dass mit einer außerordentlichen Kündigung hätte reagiert werden dürfen. Das Ultima-ratio-Prinzip, dem für die Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung zentrale Bedeutung zukommt, gebietet die Prüfung, ob dem Arbeitgeber in der konkreten Situation ein milderes Mittel wie etwa eine Abmahnung oder die Einhaltung der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre.

Nach Meinung der erkennenden Kammer war für die Beklagte auch unter Prognoseaspekten und unter Berücksichtigung des zeitlich lange zurückliegenden "Vorfalls" durchaus eine Abmahnung oder jedenfalls eine Weiterbeschäftigung für die Dauer der ordentlichen Kündigung zumutbar.

Die als zutreffend unterstellte Aussage der Klägerin anlässlich der Aushändigung der außerordentlichen Kündigung ("Sie sind doch selber schuld, Sie haben mich schlecht behandelt. Ich war dazu gezwungen.") ist weder ein außerordentlicher Kündigungsgrund oder ein den Kündigungsgrund verstärkendes Moment. Die nachträgliche Aussage in einer belastenden Situation aus Anlass der Übergabe einer Kündigung führt nicht zu einer nachteiligen Gewichtung des Kündigungsgrundes.

Matthias Bauer:

Die Betriebsratsvorsitzende hatte das umstrittene Interview im Herbst 2008 gegeben, das im April 2010  nochmals ausgestrahlt wurde, woraufhin der Arbeitgeber die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch außerordentliche aber auch ordentliche Kündigung betrieb. Die Besonderheit, dass die Gerichte hier die ordentliche Kündigung nicht beanstandeten ist darauf zurückzuführen, dass die Beklagte per Gesellschafterbeschluss zum Ende September 2010 aufgelöst wurde. In diesem Fall kann auch das unter Sonderkündigungsschutz stehende Betriebsratsmitglied ordentlich gekündigt werde, aber frühestens zum Zeitpunkt der Stilllegung (§ 15 Abs.1 Kündigungsschutzgesetz).
Wenn ein Arbeitgeber offensichtlich über Jahre hinweg weder die Pausen nach dem Arbeitszeitgesetz einhält, noch den Lohn für in dieser Zeit geleistete Arbeit zahlt, dann ist für das Unternehmen das Geheimhalten dieses gesetzes- und vertragswidrigen Vorgehens wohl eher das geringere Problem. Jahrelange Managementfehler, die letztlich in der Stilllegung enden, werden nicht dadurch egalisiert, dass diejenigen entfernt werden, die die Misere ansprechen und offenkundig machen.


Das LAG Mainz rechtfertigt das Verhalten der Betriebsratsvorsitzenden unter dem Aspekt der freien Meinungsäußerung nach Artikel 5 des Grundgesetzes. Dem muss man in diesem Fall folgen, denn sie hatte mit ihren eigenen Worten „keine andere Wahl mehr“, selbst auf die Gefahr hin dem Unternehmen als Zulieferer einer großen Handelskette zu schaden. Die Pflichten ihres Amtes beschränken sich eben nicht auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit nach § 2 BetrVG oder die arbeitgeberseits verlangte Geheimhaltung nach § 79 BetrVG.
Sie hat mit Betriebsrat für die Rechte der Arbeitnehmer einzustehen, was u.a. §§ 75 und 80 BetrVG beschreiben. Tatsächlich hatte sie die  Möglichkeiten der Einflussnahme gegenüber dem Arbeitgeber an keiner Stelle, geschweige denn, dass es „Verhandlungen mit dem ernsten Willen zur Einigung“ i.S. von § 74 BetrVG gegeben hätte. So ist ihre Entscheidung, den Druck über die öffentlichen Medien zu nutzen, hier zu rechtfertigen Betriebsräten in vergleichbaren Situationen sei aber eine sorgfältige Interessenabwägung anempfohlen, weil die Wahrnehmung des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 GG nicht schrankenlos ist und nicht zu einer Gefährdung des Unternehmens führen darf. Das wäre im vorliegenden Fall kritischer zu diskutieren gewesen, hätte die kurze Zeit später erfolgte Stilllegung des Unternehmens nicht die ordentliche fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne weiteres ermöglicht.