Bildunterschrift: Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht führt zur Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung.
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Bildunterschrift: Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht führt zur Unwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung. Copyright by CrazyCloud/Fotolia

Der antragstellende Betriebsrat und der Arbeitgeber schlossen im Jahr 2002 eine Rahmenbetriebsvereinbarung (RBV), in der sie unter anderem folgendes vereinbart hatten:
㤠4 Nr. 4.1
Zu Gesprächen, die im Rahmen des Prozesses zur Unternehmens-, Organisations- und Personalentwicklung zwischen Geschäftsleitung, Abteilungsleitung und den Arbeitnehmern stattfinden, in denen es sich um disziplinarische (arbeitsrechtliche) Maßnahmen handelt, wird der Betriebsrat gleichzeitig zu Gesprächen eingeladen.
Unter disziplinarischen Maßnahmen verstehen wir:
 
Ermahnungen
Abmahnungen
Verwarnungen
Kündigungsbegehren
Versetzungen
 
Der Mitarbeiter kann arbeitsrechtlich so entscheiden, dass er dieses Gespräch ohne Beteiligung eines Betriebsratsmitgliedes führen möchte. Bei Nichtbeachtung der ordnungsgemäßen Einladung des Betriebsrates und des Arbeitnehmers hat das Gespräch keine arbeitsrechtliche Konsequenz“.

 
Seit dem Abschluss der RBV verfuhren die Beteiligten bei jährlich etwa 20 Mitarbeitergesprächen nach deren Vorgaben.
 

Arbeitgeber lädt Betriebsrat nicht mehr zu Personalgesprächen ein

Ende Oktober 2015 teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat mit, die oben genannte Regelung verstoße gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer (APR).
Seitdem lud er den Betriebsrat nicht mehr zu Personalgesprächen ein, sondern informierte den betroffenen Arbeitnehmer darüber, dass er nach Wunsch ein Mitglied des Betriebsrats zum Gespräch hinzuziehen könne. Der Betriebsrat begehrte vom Arbeitgeber, er solle die Regel aus der Betriebsvereinbarung anwenden. Die Regelung sei wirksam. 


Außergerichtliche Einigungsbemühungen scheitern

Nachdem es zu keiner außergerichtlichen Einigung kam, beantragte der Betriebsrat beim Arbeitsgericht ,den Arbeitgeber zur Einhaltung der Regelung zu verpflichten.
Das erstinstanzliche Gericht lehnte den Antrag des Betriebsrats ab. Die Beschwerde des Betriebsrats war erfolgreich. Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat der Beschwerde des Betriebsrats entsprochen.
 
Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Rechtsbeschwerde beim Bundesarbeitsgericht (BAG) ein und beantragte, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.

Bundesarbeitsgericht stellt erstinstanzliche Entscheidung wieder her

In seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2018 kam das BAG zu dem Ergebnis, dass die Parteien gegen die ihnen obliegende Pflicht, die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern, verstoßen haben.
Denn in der gleichzeitigen Einladung des Betriebsrats bei Personalgesprächen liege ein Eingriff in das APR eines Arbeitnehmers .
Die Information einer drohenden disziplinarischen Maßnahme aufgrund eines etwaigen fehlerhaften Verhaltens des Arbeitnehmers erführen alle Mitglieder des Betriebsrats.


Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht

Der Eingriff sei nicht verhältnismäßig. Denn die in der  RBV vereinbarte Verfahrensweise ist nicht erforderlich. Der Schutz des Arbeitnehmers als strukturell unterlegene Partei gegenüber dem Arbeitgeber sei ausreichend sichergestellt, wenn die Initiativlast für die Hinzuziehung des Betriebsratsmitglieds beim Arbeitnehmer läge.
Zudem sei die Regelung nicht angemessen, da der Arbeitnehmer nicht entscheiden könne, welches Betriebsratsmitglied am Gespräch teilnimmt. Überdies enthalte die Regelung keine Pflicht zur Verschwiegenheit für das am Gespräch teilnehmende Betriebsratsmitglied.
 
Hier finden Sie den vollständigen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 11.12.2018  - Az: 1 ABR 12/17

Rechtliche Grundlagen

§ 75 Abs. 2 BetrVG – Allgemeines Persönlichkeitsrecht

Betriebsverfassungsgesetz
§ 75 Grundsätze für die Behandlung der Betriebsangehörigen
(1) Arbeitgeber und Betriebsrat haben darüber zu wachen, dass alle im Betrieb tätigen Personen nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit behandelt werden, insbesondere, dass jede Benachteiligung von Personen aus Gründen ihrer Rasse oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihrer Abstammung oder sonstigen Herkunft, ihrer Nationalität, ihrer Religion oder Weltanschauung, ihrer Behinderung, ihres Alters, ihrer politischen oder gewerkschaftlichen Betätigung oder Einstellung oder wegen ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität unterbleibt.

(2) Arbeitgeber und Betriebsrat haben die freie Entfaltung der Persönlichkeit der im Betrieb beschäftigten Arbeitnehmer zu schützen und zu fördern. Sie haben die Selbständigkeit und Eigeninitiative der Arbeitnehmer und Arbeitsgruppen zu fördern.



Allgemeines Persönlichkeitsrecht:

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist als eigenständiges Grundrecht nicht ausdrücklich im Grundgesetz geregelt, sondern lediglich ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut, das sich aus Art. 2 I Grundgesetz (der freien Entfaltung) und Art. 1 I Grundgesetz (der Menschenwürde) ableitet.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 1 I
(1)Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland
Artikel 2 I
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.