Dem Betriebsrat kann bei entsprechendem Bezug zu Mitbestimmungsrechten ein Anspruch auf Auskunft über erteilte Abmahnungen gemäß § 80 Abs. 2 BetrVG zustehen, auch wenn er bei der Erteilung von Abmahnungen selbst kein Mitbestimmungsrecht hat. Datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen dem Auskunftsanspruch nicht entgegen.

Welcher Sachverhalt lag dem Beschluss des Landesarbeitsgerichts Hamm zu Grunde?


Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Betriebsrats auf Auskunft über erteilte Abmahnungen. Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen der metallverarbeitenden Industrie im Bereich Lager- und Abfalltechnik, Antragsteller ist der ihrem Betrieb gewählte Betriebsrat.

Die Arbeitgeberin erteilte in ihrem Betrieb eine Reihe von Abmahnungen gegen bestimmte Verhaltensweisen von Arbeitnehmern. Diese betrafen unter anderem Verstöße gegen das Ableisten von Mehrarbeit, gegen Radiohören im Betrieb, das Aufsuchen bestimmter Toiletten, gegen ein Rauchverbot sowie gegen Meldepflichten bei Arbeitsunfähigkeit.

Der Betriebsrat verlangte von der Arbeitgeberin mit mehreren Schreiben die Vorlage dieser Abmahnungen. Die Arbeitgeberin lehnte das Auskunftsbegehren des Betriebsrats aber jeweils ab. Daraufhin beschloss der Betriebsrat, sein Auskunftsrecht gerichtlich durchzusetzen und stellte einen entsprechenden Beschlussantrag beim Arbeitsgericht /ArbG) Siegen.

Der Betriebsrat machte geltend, ihm stehe ein Auskunftsanspruch zu. Da die Abmahnung eine Vorstufe zur Kündigung darstelle und der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu beteiligen sei, könne er bei Kenntnis der Abmahnungen bereits im Vorfeld regulierend und arbeitsplatzerhaltend eingreifen und einwirken. Das ArbG gab dem Antrag des Betriebsrats statt

Wie hat das Landesarbeitsgericht Hamm entschieden?


Das LAG wies die Beschwerde der Arbeitgeberin gegen den Beschluss des ArbG Siegen zurück. Der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats folgt aus § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG.
Der Anspruch besteht nicht nur dann, wenn die Aufgaben und Beteiligungsrechte bereits feststehen, sondern schon im Vorfeld, damit der Betriebsrat in eigener Verantwortung prüfen kann, ob seine Zuständigkeit und seine Pflichten betroffen sind.

Dafür spricht, dass die vom Betriebsrat beispielhaft genannten Abmahnungen in allen Fällen kollektivrechtlich zu regelnde Fragen im Sinne von § 87 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 7 BetrVG (Nr. 1 – Fragen der betrieblichen Ordnung, Nr. 2 - Arbeitszeit und Pausen bzw. Nr. 7 - Arbeits- und Gesundheitsschutz) betreffen.

Zwar hat die Arbeitgeberin zutreffend darauf hingewiesen, dass dem Betriebsrat bei der Erteilung von Abmahnungen kein Mitbestimmungsrecht zusteht. Darum geht es dem Betriebsrat aber auch nicht. Dem Betriebsrat geht es vielmehr darum, Abmahnungen, die auf ein etwaiges mitbestimmungswidriges Verhalten der Arbeitgeberin gestützt werden, entgegenzusteuern.

Soweit die Arbeitgeberin anführt, das LAG Köln habe in einem anderen Verfahren (LAG Köln, Beschluss v. 28.08.2009 Aktenzeichen 10 TaBV 30/09) entschieden, dass der Betriebsrat keinen Einblick in alle Abmahnungen verlangen kann, um zu prüfen, ob seine Mitbestimmungsrechte betroffen sind, ist dies nicht maßgeblich.

Denn im vorliegenden Fall hat der Betriebsrat hinreichend konkret vorgetragen, dass Abmahnungen von der Arbeitgeberin erteilt worden sind, die Verstöße rügen, die einen Bezug zu Mitbestimmungstatbeständen des § 87 Abs. 1 BetrVG aufweisen. Damit besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Bestehen von Aufgaben des antragstellenden Betriebsrats. Eines konkreten Anlasses für den Informationsanspruch nach § 80 Abs. 2 Satz 1 BetrVG bedarf es darüber hinaus nicht (vgl. BAG, Beschluss vom 19.10.1999 – 1 ABR 75/98).

Auch datenschutzrechtliche Bestimmungen stehen dem Auskunftsverlangen des Betriebsrats nicht entgegen. Wie das BAG erst kürzlich zum betrieblichen Eingliederungsmanagement entschieden hat (BAG 07.02.2012 – 1 ABR 46/10), ist die Unterrichtung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber keine Datenübermittlung an Dritte im Sinne des BDSG.

Gegen die Entscheidung ist unter dem Aktenzeichen 1 ABR 26/12 eine Rechtsbeschwerde beim BAG anhängig.

Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis:

Mit vorliegender Entscheidung haben zumindest die beiden ersten arbeitsrechtlichen Instanzen die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte gestärkt. Die Entscheidung ist aber noch nicht rechtskräftig. Es ist daher abzuwarten, wie das BAG über die eingelegte Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberseite entscheidet.

Im Bereich der Abmahnung hat ein Betriebsrat grundsätzlich wenig Einfluss. Bei Erteilung und Ausspruch einer Abmahnung hat ein Betriebsrat keine Mitbestimmungsrechte. Er muss nicht mal angehört werden. Das bleibt auch nach der Entscheidung des LAG so.
Der Betriebsrat kann aber – so das LAG – einen Auskunftsanspruch für bereits erteilte Abmahnungen geltend machen. Der Arbeitgeber muss dann über Form und Inhalt der Abmahnung die verlangten Informationen erteilen. Dies ergebe sich aus den Mitbestimmungsrechten des Betriebsverfassungsgesetzes.

Das Auskunftsrecht besteht aber nur, wenn glaubhaft gemacht werden kann, dass ein Bezug zu Mitbestimmungsrechten besteht. Rein individuelle, den einzelnen Arbeitnehmer betreffende Abmahnungen (etwa wegen Schlechtleistung oder Verspätung) dürften wegen fehlendem Bezug zu Mitbestimmungsrechten auch keinen Auskunftsanspruch des Betriebsrates auslösen.

Mit guten Argumenten dürfte jedoch für eine Vielzahl von Abmahnungen ein solcher Bezug herstellen lassen. Dies ist dann ggf. vor Gericht anhand des Katalogs des § 80 BetrVG stichhaltig und konkret zu begründen.
Es ist ausreichend, wenn das Gericht eine „gewisse Wahrscheinlichkeit“ in Bezug auf die Mitbestimmungstatbestände sieht.
Die Entscheidung könnte sich daher als nützliches Werkzeug erweisen, um mitbestimmungswidrigem Verhalten entgegenzuwirken. Sollte der Arbeitgeber kollektivrechtliche und mitbestimmungspflichtige Regelungen erlassen, ohne den Betriebsrat zu beteiligen und dann aufgrund dieser Regelungen Abmahnungen aussprechen, kann der Betriebsrat über den Auskunftsanspruch Informationen erlangen. Anhand derer kann er sich dann gegen die Verletzung seiner Mitbestimmungsrechte zur Wehr setzen.

Beschluss des LAG Hamm, vom 17.02.2012, 10 TaBV 63/11