Unwirksame Vertragsklausel führt zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Copyright by Nasared/Fotolia
Unwirksame Vertragsklausel führt zum Fortbestand des Arbeitsverhältnisses. Copyright by Nasared/Fotolia

Mit einer ganzen Reihe von Problemen musste sich das Arbeitsgericht Freiburg in seinem Urteil auseinandersetzen. Die Thematik des Falls bot dem Gericht die Möglichkeit zur Stellungnahme zu den Problemfeldern Befristung, Wirksamkeit arbeitsvertraglicher Ausschlussfristen und Überstunden. 
Die Klägerin wurde vom Freiburger Büro der DGB Rechtsschutz GmbH vertreten.
 

Befristete, geringfügig vergütete Beschäftigung 

Die im April 1952 geborene Klägerin, Mitglied der Gewerkschaft Ver.di, war seit Juli 2014 bei dem Beklagten, Betreiber eines Pflegedienst, als examinierte Krankenschwester tätig.
Der Arbeitsvertrag lautete  - auszugsweise  - wie folgt:
 
"§ 5  - Kündigung  -
 
Das Vertragsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Erreichen des gesetzlich festgelegten Rentenalters oder durch Erleiden einer dauerhaften Erwerbsunfähigkeit, spätestens mit Vollendung des 65. Lebensjahres.
 
§ 17  - Verfallklausel  -

 
Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis […] verfallen wenn sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach deren Fälligkeit […] schriftlich geltend gemacht werden. Wird ein Anspruch abgelehnt oder erfolgt keine Erklärung binnen zwei Wochen, verfällt der Anspruch, wenn er nicht innerhalb von zwei Monaten nach Ablehnung oder Ablauf der zweiwöchigen Erklärungsfrist gerichtlich geltend gemacht wird.“
 
Zudem regelte der Arbeitsvertrag Zuschläge für Nacht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit.
 
Die Klägerin übte die vertraglich geschuldete Tätigkeit tatsächlich bis Ende September 2017 aus.
Der Beklagte gab dann als Inhaber des Pflegedienstes seinen Betrieb aus gesundheitlichen Gründen auf. Der vorhandene Patientenstamm wurde aufgeteilt und an andere Pflegedienste übergeben.
Seit Dezember 2015 bezieht die Klägerin gesetzliche Rente.
 
Für die vier Monate November 2017 bis Februar 2018 erhielt die Klägerin kein Gehalt.  
Mit Schreiben vom 10. Januar 2018 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 28. Februar 2018. Hiergegen erhob die Klägerin allerdings keine Kündigungsschutzklage.
 

Ende des Arbeitsverhältnisses unklar.

Die Klägerin verlangt vom Beklagen die Vergütung für die vier Monate November 2017 bis Februar 2018 sowie Vergütung von Überstunden, außerdem Zuschläge für Sonntagstätigkeit.
Die Beklagte geht demgegenüber davon aus, dass das Arbeitsverhältnis mit Erreichen des für die Klägerin maßgeblichen gesetzlichen Rentenalters  - 65 Jahre und 6 Monate -, also Ende Oktober 2017 wegen der Befristung endete.
Auf alle Fälle sei das Arbeitsverhältnis spätestens durch die Kündigung vom Januar 2018 zu Ende Februar 2018 beendet worden.
Was die Gehaltsansprüche der Klägerin aufgrund behaupteten Annahmeverzugs angehe, so müsse sich die Klägerin anderweitigen Verdienst bzw. Erwerbsmöglichkeiten entgegen halten lassen.
Überstunden habe er im Übrigen nie angeordnet, diese seien also auch von ihm nicht zu vergüten.
Letztlich seien diese Ansprüche der Klägerin jedenfalls wegen § 17 des Arbeitsvertrages verfallen.
 

Erfolg vor Gericht

Das Arbeitsgericht Freiburg gab der Klage ganz überwiegend statt.  
 
Zunächst stellt das Arbeitsgericht fest, dass grundsätzlich als „gesetzliches Rentenalter“ der Klägerin nur das vollendete Lebensalter von 65 Jahre und 6 Monaten maßgeblich ist.
Seit 2012 wird die Regelaltersgrenze für die Jahrgänge 1947 bis 1958 um jeweils einen Monat pro Jahr (für die Jahrgänge 1959 bis 1964 um jeweils 2 Monate ) angehoben.
 

Befristung unwirksam - Klägerin hat weitergearbeitet

Die gesetzlichen Vorrausetzungen für die Altersrente liegen für die Klägerin seit 1.11.2017 vor.
Laut Arbeitsvertrag sollte das Arbeitsverhältnis allerdings mit dem Ende des Monats enden, in welchem die Klägerin das 65. Lebensjahr vollendet hat  - also bereits Ende April 2017   
 
Dem steht aber - nach richtiger Auffassung des Arbeitsgerichts - § 15 Absatz 5 Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) entgegen. Nach dieser Norm gilt ein befristetes Arbeitsverhältnis als auf unbestimmte Zeit verlängert, wenn es nach dem Ende der vereinbarten Befristung mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt wird. Von dieser Regelung kann gemäß § 22 Absatz 1 TzBfG nicht zum Nachteil eines Arbeitnehmers abgewichen werden.
 

Hintergrund: Weiterarbeit nach Befristungsende

Wichtig zu wissen ist im Zusammenhang mit § 15 Absatz 5 TzBfG, auf wessen Wissen es konkret ankommt (Wortlaut der Norm: „mit Wissen des Arbeitgebers…“).
Das Arbeitsgericht macht zutreffend deutlich, dass Arbeitgeber im Sinne von § 15 Absatz 5 TzBfG nicht jeder Vorgesetzte ist, sondern der Arbeitgeber selbst. Seiner Kenntnis steht aber die Kenntnis der zum Abschluss von Arbeitsverträgen berechtigten Vertreter des Arbeitgebers gleich.
 
Nach dem Zweck der Norm ist für die Kenntnis des Arbeitgebers lediglich nötig, dass der Arbeitgeber die tatsächliche Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wahrnimmt. Ein Irrtum des Arbeitgebers über das Ende der Vertragslaufzeit ist irrelevant. Mit der Regelung verfolgt der Gesetzgeber das Ziel, befristete Arbeitsverhältnisse ohne weiteres in unbefristete Arbeitsverhältnisse zu überführen. Eine ähnliche Norm gilt für das Mietrecht gemäß § 545 BGB, einem Rechtsgebiet dass ähnlich wie das Arbeitsrecht den schwächeren Vertragspartner schützen will.
 
Die Klägerin hatte nach Erkenntnis des Gerichts jedenfalls sowohl nach ihrem Eintritt in Rente ab 1.12.2015 und auch nach Vollendung des 65. Lebensjahres im April 2017 das Arbeitsverhältnis nach den vom Beklagten vorgegebenen Dienstplänen fortgesetzt. Noch deutlicher könne ein Arbeitsverhältnis nach dem vom Arbeitgeber behaupteten Ende wegen Befristung nicht mit Wissen des Arbeitgebers fortgesetzt werden, betont das Arbeitsgericht.
 

Weitere Unwirksamkeitsgründe der Befristung

Ein stattgebendes Urteil eines Gerichts muss lediglich die tragenden Gründe, die die Entscheidung rechtfertigen, aufzeigen. Insofern hätte es das Arbeitsgericht Freiburg bei dem bisher ausgeführten bewenden lassen können. Allerdings nutzt das Gericht den Rechtsstreit zu weiteren, fundierten juristischen Ausführungen:
 

Verstoß gegen AGB-Recht

Das Arbeitsgericht stellt fest, dass § 5 des Arbeitsvertrages, also die Norm, die die Kündigung regelt, eine Allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) ist.
Nach Ansicht des Gerichts stellt § 5 des Arbeitsvertrages eine überraschende AGB dar, die gemäß § 305c Absatz 1 BGB überraschend und daher unwirksam ist. Überraschend sind AGBs dann, wenn sie so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner nicht mit ihnen zu rechnen braucht, ihnen quasi ein „Überrumpelungseffekt“ innewohnt. Der Überraschungseffekt ist umso eher anzunehmen, je belastender die Bestimmung ist.
Nach Ansicht des Arbeitsgerichts ist § 5 des Arbeitsvertrages zwar mit „Kündigung“ überschrieben  - Inhalt der Regelung ist dann aber gerade das Ende des Arbeitsverhältnisses ohne (!) Kündigungserklärung.
Zudem sieht das Gericht einen Verstoß gegen AGB-Recht darin, dass § 5 des Arbeitsvertrages nicht hinreichend transparent formuliert ist, § 307 Absatz 1 Satz 2 BGB.
Der mögliche Eintritt einer das Arbeitsverhältnis beendenden Bedingung - hier wegen Erwerbsunfähigkeit  - hätte im Vertragstext deutlich erkennbar hervorgehoben werden müssen.   
 

Diskriminierung wegen Alter

Auch in Hinblick auf das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) arbeitet sich das Arbeitsgericht Freiburg am Vortrag des Beklagten ab.
So erkennt das Gericht obendrein in § 5 des Arbeitsvertrages eine rechtswidrige Altersdiskriminierung.
Der Vertrag enthält eine Bezugnahme auf das gesetzlich festgelegte Rentenalter und eine Höchstbefristung auf das 65. Lebensjahr.
Da die Regelaltersgrenze ansteigt, regelt § 5 des Arbeitsvertrages also eine Befristung auf einen Zeitpunkt vor (!) dem gesetzlichen Renteneintrittsalter der Klägerin. Aus diesem Grund ist die Befristungsabrede unwirksam, da diese Vereinbarung nicht gerechtfertigt ist.
Außerdem würde laut § 5 des Vertrages das Arbeitsverhältnis auch dann enden, wenn die Klägerin Erwerbsunfähigkeitsrente beziehen würde  - ein weiterer Fall der Diskriminierung.
 

Anspruch wegen Annahmeverzug

Das Gericht erkennt die Gehaltsansprüche der Klägerin für die Monate November 2017 bis Februar 2018 unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzugs an.
Der Beklagte berief sich im gesamten Prozess auf das von ihm behauptete Ende des Arbeitsverhältnisses zum 31.10.2017. Die Klägerin musste ihre Arbeitsleistung daher nicht tatsächlich anbieten. Dafür spricht unter anderem auch, dass der Beklagte für die Zeit nach ab Oktober keinerlei Einsatzpläne mehr anfertigte, vielmehr selbst den Betrieb im September 2017 einstellte und die zu pflegenden Personen auf andere Pflegedienste übertragen hatte.
 
Die Klägerin muss sich demgegenüber auch keine anderweitige erzielte Vergütung anrechnen lassen.
Die Klägerin arbeitete beim Beklagten in Teilzeit. Die anderweitige, von der Klägerin jenseits der Arbeitszeiten beim Beklagten ausgeübte Tätigkeit, ist nicht durch die fehlende Beschäftigung beim Beklagten verursacht und steht mit dieser in keinem Zusammenhang.  
 

Ausschlussfrist zu kurz

Die Verfallklausel in § 17 des Arbeitsvertrages ist nach Auffassung des Arbeitsgerichts unwirksam. Nach der Rechtsprechung des BAG muss eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist mindestens drei  - statt wie hier nur zwei  - Monate umfassen.
Zudem nimmt die Ausschlussfrist nicht den Mindestlohn in der Pflegebranche, § 2 PflegeVVo iVm. § 9 Satz 3, § 13 AentG, von der Ausschlussfrist aus und ist daher unwirksam. Der gesetzliche Mindestlohn nach dem Mindestlohngesetz spielt hier keine Rolle, da das Mindestlohngesetz erst zum 1.1.2015 in Kraft getreten ist, der Arbeitsvertrag aber vorher, 2014, abgeschlossen wurde.
 

Vergütung von Überstunden und Zuschläge

Die Klägerin hat im Prozess die von ihr geleisteten Überstunden schlüssig dargelegt. Dieser Vortrag im Prozess korrespondiert auch mit den für die jeweiligen Monate vom Beklagten erstellten, bindenden Einsatzplänen. Dass die vom Beklagten angeordneten Überstunden auch tatsächlich von der Klägerin geleistet wurden, folgt für das Gericht aus einer lebensnahen Betrachtung:
Wäre eine pflegebedürftige Person nicht gepflegt worden, hätte dies der Beklagte sicherlich erfahren. Die Klägerin hatte also den Einsatzplan befolgt und die ihr auferlegten Überstunden geleistet.
Der Anspruch auf die Überstundenzuschläge folgt aus der diesbezüglichen arbeitsvertraglichen Vereinbarung.
 
Das Urteil des Arbeitsgerichts Freiburg ist in Anbetracht der vielen behandelten Problemkreise äußerst interessant. Man muss dem beklagten Arbeitgeber also in gewisser Weise dankbar sein, dass er so viele Fehler begangen hat.
Die Klägerin konnte als Ver.di - Mitglied demgegenüber von Anfang an auf juristisch fundierte Unterstützung bauen  - Dank dem gewerkschaftlichen Rechtsschutz.
Übrigens: Zuschläge für Überstunden und Arbeit an Sonn- und Feiertagen gibt es nur durch Tarifverträge, sofern nicht, wie vorliegend, ausnahmsweise ein Arbeitsvertrag diese Ansprüche begründet.
 

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