Im Paragraphen-Dschungel ist es wichtig, eine Vertretung zu haben, die sich neben dem Arbeitsrecht auch im Sozialrecht auskennt. Copyright by Adobe Stock/vegefox.com
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Der junge Mann, nennen wir ihn Max, war Auszubildender zum Einzelhandelskaufmann in einer Tankstellenkette.
 

Ausbildungsverhältnis endete mit dem Bestehen der Prüfung

Im Juli 2020 bestand Max seine Prüfung. Darüber informierte er seinen Chef sofort, der ihn dennoch weiter zum Dienst einteilte. Am folgenden Tag arbeitete Max, hatte dann zwei Tage frei und wurde danach arbeitsunfähig.
 
In einem persönlichen Gespräch erklärte der Chef Max, es gebe keinen Arbeitsvertrag und er müsse deshalb auch keinen Lohn bezahlen. Dieser  - falschen  - Überzeugung zu trotz kündigte der Arbeitgeber Anfang August rückwirkend zum 22. Juli. Das war der Tag, der auf den Abschluss der Prüfung folgte.
 

Der Arbeitgeber unterlag einigen Irrtümern

  • Angefangen damit, es komme auf einen schriftlichen Arbeitsvertrag an. Allein dadurch, dass er seinen ehemaligen Azubi nach bestandener Prüfung weiterbeschäftigt hatte, war ein Arbeitsverhältnis entstanden.
  • Da Max schwerbehindert ist, hätte es für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Zustimmung des Integrationsamtes bedurft. Der Arbeitgeber sprach die Kündigung ohne eine solche Zustimmung aus.
  • Zudem hielt er die Kündigungsfrist nicht ein. Rückwirkend ist die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses schon mal gar nicht möglich.

 

Vergleich im Kündigungsschutzverfahren

Die mit einer Klage angegriffene Kündigung war ohne Zweifel unwirksam. Im Gütetermin beim Arbeitsgericht wurde geklärt, dass es eine neue  - fristgemäße - Kündigung geben wird.
 
Max hatte große Zweifel, ob eine gedeihliche Zusammenarbeit noch möglich sei. Deshalb entschied er sich, eine Kündigung zum 31.10.2020 zu akzeptieren. Der beklagte Arbeitgeber war im Gegenzug bereit, eine Abfindung von mehr als einem Bruttomonatsgehalt zu zahlen.  
 

Zu welchen Konditionen bestand das Arbeitsverhältnis?

Diese Frage stand noch im Raum. Denn Max hatte auch noch Lohn zu bekommen. Der DGB Rechtsschutz hatte von der Gewerkschaft ver.di die tarifvertraglichen Bedingungen der Branche eingeholt. Für das Arbeitsverhältnis, das sich an die Ausbildung anschloss, gab es keine Vereinbarung. So war der ortsübliche und angemessene Lohn zu ermitteln, wozu auf die tarifliche Vergütung zurückgegriffen wurde.
 
Damit war eigentlich alles geklärt,…
 

…wäre da nicht die Krankenkasse gewesen

Da Max arbeitsunfähig war, hatte der Arbeitgeber im Rahmen der gesetzlichen Lohnfortzahlung noch für sechs Wochen Vergütung zu zahlen. Die Krankenkasse aber mischte sich ein und teilte mit, ein solcher Anspruch bestehe nicht, weil die Erkrankung innerhalb der ersten Wochen des Arbeitsverhältnisses eingetreten sei.
 
Die Ansicht ist falsch. Der Anspruch auf Lohnfortzahlung besteht bei einem Arbeitsverhältnis, das an ein Ausbildungsverhältnis anschließt, ohne dass der Arbeitnehmer vier Wochen warten muss. Das hat das Bundessozialgericht so entschieden. Anhand dieser Rechtsprechung war die Krankenkasse zu überzeugen und der Arbeitgeber zahlte.
 

Krankenkasse berechnet das Krankengeld falsch

Max war noch länger krank. Als die sechs Wochen vorbei waren, war die Krankenkasse an der Reihe. Sie leistete Krankengeld, berechnet allerdings auf Grundlage der Ausbildungsvergütung (925 €) statt des Tariflohns (ca. 2.300 €).
 
Der Widerspruch dagegen war erfolgreich. Max erhielt (und erhält noch immer) Krankengeld berechnet mit einer tariflichen Vollzeitbeschäftigung.

 

Holger Rötter Holger Rötter (DGB Rechtsschutz Schwäbisch Hall), der Max vor dem Arbeitsgericht und gegenüber der Krankenkasse vertreten hat:
 
 „Hier kann man sehen, wie eines in das andere hineingreift und wie wichtig eine gute gewerkschaftliche Vertretung ist.
Falls die Krankenkasse in solchen Fällen das Krankengeld verweigert oder auf Basis der Ausbildungsvergütung berechnet, so sollte man unbedingt Rechtsmittel einlegen.“