Weil es BAFöG gibt, können auch Kinder von Eltern studieren, die nicht vermögend sind. Grundsätzlich aber nur für die Regelstudienzeit. Copyright by Adobe Stock/VRD
Weil es BAFöG gibt, können auch Kinder von Eltern studieren, die nicht vermögend sind. Grundsätzlich aber nur für die Regelstudienzeit. Copyright by Adobe Stock/VRD

Es gibt Begriffe in Gesetzen, deren Inhalt der Gesetzgeber nicht genau bestimmt hat. Sie sind vielmehr vage und mehrdeutig. Jurist*innen nennen diese Begriffe „unbestimmte Rechtsbegriffe“. Bevor ein Gericht einen solchen Begriff anwenden kann, muss es ihn auslegen. Um genau einen solchen „unbestimmten Rechtsbegriff“ handelt es sich bei den „schwerwiegenden Gründen“ im BAFöG.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hatte diesen Begriff bereits in einer Entscheidung von 1995 ausgelegt.


Wenn schwerwiegende Gründe vorliegen, kann man über die Regelstudienzeit hinaus BAFöG bekommen

Schwerwiegende Gründe für ein Überschreiten der Förderungshöchstdauer können demnach nur Umstände sein, die für die Verzögerung von erheblicher Bedeutung sind.  Es muss für den Auszubildenden unmöglich oder nicht zumutbar sein, diese Verzögerung zu verhindern. Es reicht etwa nicht aus, wenn ein Student eine Klausur nicht besteht und deshalb später die Regelstudienzeit nicht schafft.

Die Rechtsprechung unterscheidet zwei Varianten. Der Grund muss

  • entweder subjektiv die Fähigkeit des Auszubildenden betreffen, seine Ausbildung planmäßig durchzuführen, oder
  • objektiv die äußeren Umstände des Ausbildungsganges berühren.

Bei der Auslegung sollen die Gerichte dann noch insbesondere zwei Gesichtspunkte beachten:

  • Das öffentliche Interesse an einer wirtschaftlichen und sparsamen Vergabe der Fördermittel einerseits und des Interesses des Auszubildenden an einer durchgehenden Förderung andererseits müssen gegeneinander abgewogen werden.
  • Die Gewährung von BAFög über die Regelstudienzeit hinaus ist ein Ausnahmefall.

 

Die Prüfer waren anderweitig beschäftigt, deshalb konnte Herr Müller seine Masterarbeit nicht mehr vor Ende der Regelstudienzeit verteidigen

Unsere Kolleg*innen aus dem Büro Hamburg vertraten einen Studierenden vor dem Verwaltungsgericht Hamburg, der sein Studium in der Regelstudienzeit nicht abschließen konnte. Markus Müller (Name von der Redaktion geändert) nahm zum Wintersemester 2015/2016 ein Masterstudium in der Fachrichtung Lateinamerikastudien an der Universität Hamburg auf. Hierfür bewilligte ihm das Studierendenwerk Hamburg BAföG bis zum Ende der Regelstudienzeit Ende September 2017.

Im Juli 2017 beantragte Herr Müller beim Studierendenwerk, ihm Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer für den Bewilligungszeitraum Oktober 2017 bis März 2018 zu gewähren.

Den Antrag begründete er zunächst damit, dass der Termin, zu dem er seine Masterarbeit abgeben müsse, auf den 12. September 2017 falle. Seine Prüfer hätten ihm nun mitgeteilt, dass sie ihm keinen Prüfungstermin für die k:Verteidigung der Masterarbeit:k im Sommersemester 2017 mehr anbieten könnten, da sie anderweitig beschäftigt seien und sich zum Teil nicht in Deutschland aufhielten. Er müsse davon ausgehen, dass der Termin zur Verteidigung der Masterarbeit im Wintersemester 2017/2018 liegen werde.

Die Verteidigung einer Masterarbeit ist Teil der mündlichen Prüfung. Der Proband präsentiert dem Prüfungskomitee die Ergebnisse seiner Arbeit und diskutiert diese mit den Expert*innen. Ziel ist es, ein Prüfungskomitee davon zu überzeugen, dass der Proband selbst auch Experte ist. Ohne erfolgreiche Verteidigung gibt es den Masterabschluss nicht.

Das Studierendenwerk Hamburg bewilligte kein BAFöG für die Zeit nach Ende der Regelstudienzeit

Zudem war bis einschließlich November 2017 die Fachbereichsbibliothek wegen eines Umzuges vorrübergehend geschlossen worden. Die Fakultät für Geisteswissenschaften der Universität Hamburg hatte deswegen selbst eine Verlängerung für Abschlussprüfungen im Sommersemester 2017, die von den Studierenden beantragt werden konnte.

Für die Zeit bis Ende Januar 2018 bewilligte das Studierendenwerk Markus Müller Hilfe zum Studienabschluss. Die Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer lehnte es jedoch ab. Zur Begründung führte es aus, dass es sich bei den seitens des Klägers vorgetragenen studienorganisatorischen Gründen nicht um schwerwiegendes Gründen handele, die nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ein Überschreiten der Förderungshöchstdauer rechtfertigen könnten.

Die Universität Hamburg hat dem Gericht mitgeteilt, dass die letzte Prüfungsleistung am 29. Januar 2018 erbracht worden sei. Es handele sich um eine Studienleistung im Wahlbereich im Rahmen der Veranstaltung „Religion und Spiritualität im gesellschaftlichen Diskurs Lateinamerikas" aus dem Sommersemester 2017. Im Übrigen könne die Universität nicht angegeben, um welche Prüfungsleistung es sich genau handele und wann diese tatsächlich erbracht worden sei, da der zuständige Dozent verstorben sei.

Das Verwaltungsgericht geht von „schwerwiegenden Gründen“ aus

Das Verwaltungsgericht Hamburg gab Herrn Müller recht und verurteilte das Studierendenwerk, ihm nachträglich für den Zeitraum Oktober 2017 bis einschließlich Februar 2018 BAFög zu bewilligen.

Nach Auffassung des Gerichts konnte Herr Müller mithilfe der DGB Rechtsschutz GmbH nachweisen, dass er Förderungshöchstdauer aus schwerwiegenden Gründen überschritten hat.
Dies ergebe sich für den Zeitraum bis einschließlich November 2017 bereits daraus, dass die Fachbereichsbibliothek geschlossen gewesen sei. Auf den Zeitraum der Schließung der Bibliothek habe Herr Müller keinen Einfluss gehabt. Es sei aber davon auszugehen, dass er für die Anfertigung seiner Masterarbeit die Bibliothek benötigt habe.
Er hätte sich auch nicht durch eine umsichtige Planung seines Studiums früher für die Masterarbeit anmelden können. Er habe nämlich zuvor zahlreiche Module und ein Auslandssemester erfolgreich absolvieren müssen. Die Masterarbeit habe er nur jeweils binnen der letzten zwei Wochen des vorangegangenen Semesters anmelden können, zum Sommersemester also zwischen dem 15. und 31. März. Dieses Zeitfenster habe Herr Müller genutzt den Abgabetermin am 12. September 2017 genannt bekommen.

Ausbildungsförderung bekommt Markus Müller aber nur bis Ende Februar

Um einen weiteren Monat habe sich die Prüfung verzögert, weil der Prüfer aufgrund seines Auslandsaufenthaltes keinen früheren Termin zur Verteidigung der Masterarbeit als den 11. Dezember 2017 anbieten konnte. Auch das habe Markus Müller nicht zu vertreten. Zudem hatte er erst gegen Ende der Bearbeitungszeit seiner Masterarbeit erfahren, dass sich sein Prüfer bis Dezember im Ausland aufhalten würde.

Herr Müller könne jedoch nur bis einschließlich Februar 2018 Ausbildungsförderungsleistungen beanspruchen. Für den Monat März 2018 könne er die begehrte Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus dagegen nicht mehr verlangen. Denn seine Ausbildung gilt als mit Ablauf des Monats Februar 2018 als beendet.

Hier geht es zur Entscheidung

Rechtliche Grundlagen

Bundesgesetz über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG)
§ 15 Förderungsdauer

(1) Ausbildungsförderung wird vom Beginn des Monats an geleistet, in dem die Ausbildung aufgenommen wird, frühestens jedoch vom Beginn des Antragsmonats an.
(2) Ausbildungsförderung wird für die Dauer der Ausbildung - einschließlich der unterrichts- und vorlesungsfreien Zeit - geleistet, bei Studiengängen an Hochschulen und an Akademien im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6 jedoch grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer nach § 15a. Für die Teilnahme an Einrichtungen des Fernunterrichts wird Ausbildungsförderung höchstens für 12 Kalendermonate geleistet.
(2a) Ausbildungsförderung wird auch geleistet, solange die Auszubildenden infolge von Erkrankung oder Schwangerschaft gehindert sind, die Ausbildung durchzuführen, nicht jedoch über das Ende des dritten Kalendermonats hinaus.
(3) Über die Förderungshöchstdauer hinaus wird für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie
1. aus schwerwiegenden Gründen,
2. infolge der in häuslicher Umgebung erfolgenden Pflege eines oder einer pflegebedürftigen nahen Angehörigen im Sinne des § 7 Absatz 3 des Pflegezeitgesetzes, der oder die nach den §§ 14 und 15 des Elften Buches Sozialgesetzbuch - Soziale Pflegeversicherung - mindestens in Pflegegrad 3 eingeordnet ist,
3. infolge einer Mitwirkung in gesetzlich oder satzungsmäßig vorgesehenen Gremien und Organen
a) der Hochschulen und der Akademien im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6,
b) der Selbstverwaltung der Studierenden an Ausbildungsstätten im Sinne des Buchstabens a,
c) der Studentenwerke und
d) der Länder,
4. infolge des erstmaligen Nichtbestehens der Abschlussprüfung,
5. infolge einer Behinderung, einer Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu 14 Jahren
überschritten worden ist.
(3a) Auszubildenden an Hochschulen und an Akademien im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 6, die sich in einem in sich selbständigen Studiengang befinden, wird als Hilfe zum Studienabschluss für höchstens zwölf Monate Ausbildungsförderung auch nach dem Ende der Förderungshöchstdauer oder der Förderungsdauer nach Absatz 3 Nummer 1, 3 oder 5 geleistet, wenn die Auszubildenden spätestens innerhalb von vier Semestern nach diesem Zeitpunkt zur Abschlussprüfung zugelassen worden sind und die Prüfungsstelle bescheinigt, dass sie die Ausbildung innerhalb der Dauer der Hilfe zum Studienabschluss abschließen können. Ist eine Abschlussprüfung nicht vorgesehen, gilt Satz 1 unter der Voraussetzung, dass die Auszubildenden eine Bestätigung der Ausbildungsstätte darüber vorlegen, dass sie die Ausbildung innerhalb der Dauer der Hilfe zum Studienabschluss abschließen können.