Ein Unternehmen muss einem Auszubildenden die tarifliche Ausbildungsvergütung für Zeiten zahlen, in denen es unangemessen wenig gezahlt hatte. Copyright by Adobe Stock/grafikplusfoto
Ein Unternehmen muss einem Auszubildenden die tarifliche Ausbildungsvergütung für Zeiten zahlen, in denen es unangemessen wenig gezahlt hatte. Copyright by Adobe Stock/grafikplusfoto

Lehrjahre seien keine Herrenjahre heißt es in einer alten Volksweisheit. Auch wenn heute die Bedingungen für Auszubildende viel besser sind als noch vor einigen Jahrzehnten, wird insbesondere bei der Ausbildungsvergütung deutlich, dass eine Berufsausbildung etwas anderes ist als ein Arbeitsverhältnis. Die Vergütung ist nämlich nicht in erster Linie etwas, was der Azubi für geleistete Arbeit und dafür bekommt, dass er seinen Lebensunterhalt bestreiten kann. Gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hat die Ausbildungsvergütung insbesondere drei Funktionen:

  • Sie soll den Auszubildenden und seine Eltern bei der Lebenshaltung finanziell unterstützen,
  • Sie soll gewährleisten, dass ein ausreichender Nachwuchs an qualifizierten Fachkräften ausgebildet wird und
  • Sie soll die Leistungen des Auszubildenden in gewissem Umfang „entlohnen"


Das Berufsbildungsgesetz verlangt eine angemessene Vergütung für Auszubildende

Anders als in früheren Zeiten, in denen Lehrlinge häufig gar kein Geld bekamen oder sogar noch welches in Form von „Lehrgeld“ mitbringen mussten, steht Ihnen heute gesetzlich eine Mindestvergütung zu. Das regelt § 17 des Berufsbildungsgesetzes (BBiG).

Der Ausbilder muss dem Auszubildenden eine angemessene Vergütung gewähren. Im Gesetz ist keine absolute Grenze geregelt, ab wann eine Ausbildungsvergütung angemessen ist. Abhängig vom Jahr des Beginns einer Ausbildung bestimmt das Gesetz aber einen monatlichen Betrag, unterhalb dem die Vergütung auf keinen Fall angemessen ist. Für 2020 gilt eine Ausbildungsvergütung im ersten Lehrjahr unterhalb von 515,00 Euro als nicht angemessen. Wird die Ausbildung im Jahr 2021 begonnen, wird ein Betrag von 550 Euro zugrunde gelegt. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung muss diese Grenze jährlich fortschreiben.

Das Gesetz hebt die Grenze für das zweite Lehrjahr um 18 Prozent, für das dritte Lehrjahr um 35 Prozent und für das vierte Lehrjahr um 40 Prozent an. Nach dem Gesetz ist die Vergütung aber entgegen der grundsätzlichen Regel angemessen, wenn eine tarifvertragliche Vergütungsregelung sie bestimmt.


Wenn das Ausbildungsverhältnis nicht tarifgebunden ist, ist eine Vergütung von weniger als 80 Prozent der tariflichen Vergütung nicht angemessen

Es ist aber keineswegs so, dass eine Ausbildungsvergütung auf jeden Fall angemessen ist, wenn sie oberhalb dieser Grenzen liegt.

Unangemessen ist eine Ausbildungsvergütung auch dann, wenn sie die Höhe der in einem Tarifvertrag geregelten Vergütung, in dessen Geltungsbereich das Ausbildungsverhältnis fällt, an den der Ausbildende aber nicht gebunden ist, um mehr als 20 Prozent unterschreitet.
Unser Büro in Ludwigshafen hatte einen Auszubildenden vertreten, dem sein Arbeitgeber nur nach Aufforderung bereit war, mindestens 80 Prozent der tariflichen Vergütung zu zahlen.

Paul Schröder (Name von der Redaktion geändert) war vom 01.08.2016 bis zum 26.06.2019 als Auszubildender für den Beruf des Bürokaufmanns für Spedition und Logistikdienstleistungen beschäftigt. Im Ausbildungsvertrag hatte er mit seiner Ausbilderin, der Spedition Hurtig GmbH, für das erste Ausbildungsjahr eine Vergütung von 552,00 EUR, im zweiten Ausbildungsjahr 612,00 EUR und im 3. Ausbildungsjahr 648,00 EUR monatlich vereinbart. Damit entsprach die vereinbarte Vergütung 80 % der einschlägigen tariflichen Vergütung des privaten Transport -und Verkehrsgewerbes in Rheinland-Pfalz zum Zeitpunkt des Abschlusses des Ausbildungsvertrages.

Die Hurtig GmbH ist nicht tarifgebunden. Zum 01.11.2016 erhöhte sich die Ausbildungsvergütung des Tarifvertrages auf 730,00 EUR brutto monatlich, zum 01. August 2017 auf 790,00 und zum 01.01.2018 auf 840,00 EUR, zum 01. August 2018 auf 880,00 EUR und zum 01. Januar 2019 auf 925,00 EUR brutto pro Monat. Die Spedition zahlte dennoch die vereinbarte Vergütung weiter.


Zahlt der Ausbilder weniger als 80 Prozent, muss er im Zweifel die Differenz zu 100 Prozent der tariflichen Vergütung nachzahlen

Als Herr Schröder die Vergütungshöhe bei der Hurtig GmbH wegen der Tariflohnerhöhung monierte zahlte sie ihm ab August 2018 704,00 EUR brutto pro Monat. Dies entsprach wiederum 80 % der damaligen tariflichen Vergütung. Diesen Betrag bekam Paul Schröder bis zum Ausbildungsende. Während der Ausbildung stellte die Hurtig GmbH ihn für mehrere Fortbildungen frei. Mit Schreiben vom 09.07.2019 machte Paul Schröder bei der Hurtig GmbH die Differenz der tatsächlich gezahlten Ausbildungsvergütung zu der tariflichen Vergütung geltend. Die Spedition zahlte daraufhin die Differenz zu 80 % der tariflichen Vergütung in Höhe von 1.024,00 EUR brutto nach.

Damit war Herr Schröder jedoch nicht einverstanden. Unsere Kolleg*innen in Ludwigshafen haben mit ihm die Rechtsauffassung vertreten, dass er Anspruch auf die volle tarifliche Vergütung hat, weil die Vergütungsvereinbarung unwirksam ist. Eine vertragliche Vereinbarung ist nämlich dann insgesamt unwirksam, wenn sie gegen ein gesetzliches Verbot verstößt. Das bestimmt § 134 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Als angemessene Vergütung ist deshalb diejenige anzunehmen, die der einschlägige Tarifvertrag festlegt.

Dem ist das Arbeitsgericht Ludwigshafen gefolgt.

Dabei sei eine ,,fließende" Beurteilung vorzunehmen, d.h. eine bei Vertragsschluss zulässige Vereinbarung könne im Laufe der Zeit verbotswidrig werden und umgekehrt. Für die Zeiten, in denen die gezahlte Ausbildungsvergütung die 80 % der Tarifvergütung unterschritt, sei die Vereinbarung insgesamt nichtig geworden, sodass die Spedition Herrn Schröder für diese Zeiten 100 Prozent der tariflichen Ausbildungsvergütung zahlen müsse.


Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts Ludwigshafen