Auszubildende verliert wegen emotionaler Kritik ihre Lehrstelle nicht
Auszubildende verliert wegen emotionaler Kritik ihre Lehrstelle nicht


Geklagte hatte eine in Kasachstan geborene Auszubildende zur Rechtsanwaltsfachangestellten, nachdem die Anwaltskanzlei mit der das Berufsausbildungsverhältnis bestand, eine Kündigung ausgesprochen hatte.
 

Aufhebungsvertrag angeboten wegen angeblicher Überforderung

 
Zum Ende des ersten Lehrjahres “boten“ die Anwälte ihr während einer längeren Krankheit einen Aufhebungsvertrag an. Sie gingen aufgrund der Fehlzeiten davon aus, die Auszubildende sei mit den beruflichen Anforderungen so belastet, dass sich dies sogar auf ihre Gesundheit auswirke.
 
Wörtlich heißt es im Begleitschreiben zum angebotenen Aufhebungsvertrag:
Des Weiteren sind sowohl die Kollegen E. und I., als auch ich selbst der Ansicht, dass Sie den Anforderungen im praktischen Bereich, vor allem wegen der sprachlichen und grammatikalischen Schwierigkeiten nicht gewachsen sind und sich hier nur quälen.
 

Auszubildende wirft dem Ausbilder fehlende Unterstützung vor

 
Die Auszubildende antworte ebenfalls schriftlich und teilte mit, wie sehr sie die Einschätzung der Überforderung getroffen habe. Sie zeigte sich besonders enttäuscht davon, dass der Ausbilder ihr keine Unterstützung im sprachlichen Bereich angeboten habe, ihr dann aber die von Anfang an bekannten Sprachschwierigkeiten vorwerfe.
 
Es heißt im Schreiben wörtlich:
Es ist bedauerlich, dass Sie keinen Beitrag für die gesellschaftliche Integration sprachlich eingeschränkter Personen, wie ich es bin, leisten möchten. In meiner jetzigen Klasse sind etwa 50% der Auszubildenden ausländischer Herkunft und werden auch nicht für ihre Schwächen diskriminiert. Ihre Worte sind wirklich sehr verletzend, Herr X..
 
Abschließend teilte die Auszubildende mit, dass Sie an einer Aufhebung des Ausbildungsverhältnisses nicht interessiert sei, sondern vom Angebot auf ein persönliches Gespräch Gebrauch machen möchte.
 

Fristlose Kündigung wegen Vertrauensbruch

 
Statt eines Gesprächstermins schickten die Anwälte ihrer Auszubildenden die fristlose Kündigung.
Zum einen habe sie das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht. Zum anderen ergebe sich aus ihrem Schreiben und dem Vorwurf einer Diskriminierung ein Vertrauensbruch, der das Ausbildungsverhältnis nachhaltig störe.
 
Ein Berufsausbildungsverhältnis kann nach der Probezeit vom Ausbilder nur aus wichtigem Grund fristlos gekündigt werden. Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Berufsausbildungsverhältnisses bis zum Ablauf der Ausbildungszeit nicht zugemutet werden kann.
 

Auszubildende in erster und zweiter Instanz erfolgreich

 
Gegen diese Kündigung wehrte sich die Auszubildende erfolgreich. Die Arbeitgeber unterlagen beim Arbeitsgericht Mainz und beim Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz.
Ergebnis ist, dass die Kündigung das Berufsausbildungsverhältnis nicht aufgelöst hat.
 
Soweit die beklagten Rechtsanwälte die Kündigung darauf stützen, dass die Klägerin "das Leistungsziel in der praktischen Ausbildung bei weitem nicht erreicht" habe, sahen die Richter darin keinen konkreten Kündigungsgrund, sondern „eine pauschale und inhaltsleere Behauptung“.
 
Zum Thema Sprachschwierigkeiten verwies das LAG auf die dreimonatige Probezeit. Hier war genug Zeit zu prüfen, ob die deutschen Sprachkenntnisse der Klägerin ausreichten, um sie zur Rechtsanwaltsfachangestellten auszubilden. Mangelhafte oder unzureichende deutsche Sprachkenntnisse rechtfertigten unter diesen Umständen keine fristlose Kündigung. Außerdem hätten die Beklagten nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zunächst versuchen müssen, der Klägerin die vermeintlich fehlenden Sprachkenntnisse zu vermitteln.
 

Auch emotionale und unbegründete Kritik von der Meinungsäußerungsfreiheit erfasst

 
Die Richter werteten das Schreiben der Klägerin als deutliche Kritik, die unter den Schutzbereich der Meinungsfreiheit fällt. Der Grundrechtsschutz bestehe dabei unabhängig davon, ob die Meinung rational oder emotional, begründet oder unbegründet sei.
 
Nach den Grundsätzen des Bundesarbeitsgerichts verlören zudem vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen ihren Schutz auch dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden.
 

Subjektive Bewertung prägend, nicht ein beleidigender Charakter

 
Gemessen daran sei der Vorwurf der Diskriminierung aufgrund ihres Migrationshintergrunds und ihrer sprachlichen Schwächen keine unwahre Tatsachenbehauptung, sondern das Ergebnis einer wertenden Betrachtung der Klägerin. Im Vordergrund stünden im Schreiben die Verhältnisse im Betrieb sowie die Reaktion der Klägerin auf die gegen sie erhobenen Vorwürfe.
 
Zu Gunsten der Klägerin wertete das Landesarbeitsgericht, dass sie mit ihrem Schreiben auf „die teils polemischen Vorwürfe der Beklagten“, die sie als kränkend empfand, reagiert hat und das zudem zeitnah.
 

Grobe Beleidigungen sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt

 
Anders sieht es aus, wenn Arbeitnehmer*innen die Grenze zur groben Beleidigung überschreiten. So hat aktuell in einem anderen Fall das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein eine fristlose Kündigung für rechtens erklärt, obwohl das Arbeitsverhältnis fast 25 Jahre bestanden hatte. „Soziale Arschlöcher“ war hier die Kritik am Unternehmen. Das musste der Arbeitgeber trotz der langen Dauer des Beschäftigungsverhältnisses nicht hinnehmen, urteilten die Richter in beiden Instanzen.

Geschäftsführer „soziales Arschloch“ genannt – fristlose Kündigung!

Letztlich entscheidet aber immer der Einzelfall, da die Gerichte alle Umstände werten. Das K.O.-Kriterium für den gekündigten Mitarbeiter hier war, dass eine Entschuldigung ausblieb. Der Arbeitgeber hatte nach dem Vorfall drei Tage abgewartet. Da der Arbeitnehmer die Möglichkeit, den Streit zu bereinigen nicht wahrnahm, sahen die Richter die Beleidigung nicht als Affekthandlung an.
 
 
Links:
 
Das vollständige Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 02.03.2017 (5 Sa 251/16) können Sie hier nachlesen.

Lesen Sie zum Thema „Kündigung wegen Beleidigung“ auch unsere Artikel:

Geschäftsführer „soziales Arschloch“ genannt  - fristlose Kündigung!

Beleidigung von Vorgesetzten auf Facebook rechtfertigt nicht zwingend eine Kündigung

Und zum Thema Kündigung im Ausbildungsverhältnis berichten wir noch über einen eigenen Fall:

Kündigung von Ausbildungsverhältnisses nur bei schweren Verstößen

Rechtliche Grundlagen

§ 22 Berufsbildungsgesetz

Berufsbildungsgesetz (BBiG)

§ 22 Kündigung

(1) Während der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis jederzeit ohne Einhalten einer Kündigungsfrist gekündigt werden.
(2) Nach der Probezeit kann das Berufsausbildungsverhältnis nur gekündigt werden
1. aus einem wichtigen Grund ohne Einhalten einer Kündigungsfrist,
2. von Auszubildenden mit einer Kündigungsfrist von vier Wochen, wenn sie die Berufsausbildung aufgeben oder sich für eine andere Berufstätigkeit ausbilden lassen wollen.

(3) Die Kündigung muss schriftlich und in den Fällen des Absatzes 2 unter Angabe der Kündigungsgründe erfolgen.

(4) Eine Kündigung aus einem wichtigen Grund ist unwirksam, wenn die ihr zugrunde liegenden Tatsachen dem zur Kündigung Berechtigten länger als zwei Wochen bekannt sind. Ist ein vorgesehenes Güteverfahren vor einer außergerichtlichen Stelle eingeleitet, so wird bis zu dessen Beendigung der Lauf dieser Frist gehemmt.