Erst ab 2019 erhalten Azubis in betrieblich-schulischen Gesundheitsberufen Ausbildungsvergütungen. Copyright by Adobe Stock/ktasimar
Erst ab 2019 erhalten Azubis in betrieblich-schulischen Gesundheitsberufen Ausbildungsvergütungen. Copyright by Adobe Stock/ktasimar

Neumanns Nichte Tanja hat sich von August 2016 bis Sommer 2019 zur Diätassistentin in einem Klinikum ausbilden lassen. Die Ausbildung ist als dreijährige schulische Ausbildung an einer staatlich anerkannten Schule beschrieben, die mit einem Examen abschließt.
 
Diese Ausbildungen sind förderfähig nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG).
 
Tanja erhielt auf ihren Antrag seit Beginn BAföG in Höhe von 347 € monatlich. Der letzte Bewilligungsbescheid war für den Zeitraum von August 2018 bis Juli 2019. Eine Ausbildungsvergütung gab es nicht
 

Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes regeln Ausbildungsvergütung

Dann die gute Nachricht. Im Jahr 2018 einigte sich der Bund mit den kommunalen Arbeitgeberverbänden und den Gewerkschaften. Ab Januar 2019 waren die Schüler*innen, die im öffentlichen Dienst in Gesundheitsberufen ausgebildet werden, in den Geltungsbereich der für Auszubildende des öffentlichen Dienstes geltenden Tarifverträge einzubeziehen. Zuvor mussten Azubis in den Berufen Diätassistent, Ergotherapeut, Logopäde, Medizinisch-technischen Assistent, Orthoptist und Physiotherapeut ganz ohne Ausbildungsvergütungen auskommen.
 
Für Tanja bedeutete das, dass sie einen Ausbildungsvertrag ab Januar 2019 für die Restlaufzeit der Ausbildung bekam. Die Ausbildungsvergütung für das dritte Ausbildungsjahr betrug danach etwas über 1.000 € brutto monatlich.
 

Anrechnung der Ausbildungsvergütung          

Tanja teilte Anfang 2019 der BAföG-Stelle mit, dass sie jetzt eine Ausbildungsvergütung bekommt.        
Das Gesetz regelt, dass die Ausbildungsvergütung als Einkommen auf ihren Bedarf im Grundsatz anzurechnen ist.
 
Tanja war klar, dass das Einkommen irgendwie angerechnet würde. Und da es deutlich über dem monatlich bewilligten BAföG lag, ging sie auch davon aus, dass ihr ab Januar 2019 kein BAföG mehr zustehen wird. Da bereits Januar und Februar ausgezahlt waren, bevor sie den neuen Bescheid erhielt, war für sie ebenso klar, dass sie für diese zwei Monate je 347 € zurückzahlen muss.
 

Rückzahlungsbescheid betrifft auch die Monate ohne Ausbildungsvergütung           

Tanja ist aber völlig entsetzt, als sie einen neuen Bescheid bekommt mit dem rückwirkend ab August 2018 die Förderung auf null gesetzt wird. Sie soll auch noch 1.735 € für die Monate August 2018 bis Dezember 2018 zurückzahlen. Dagegen will sie sich wehren.
 

Klage oder Widerspruch je nach Bundesland

Welche Vorgehensweise im konkreten Fall die richtige ist, ergibt sich aus der Rechtsbehelfs- bzw. Rechtsmittelbelehrung, die am Ende des Bescheides zu finden ist. In einigen Bundesländern wurde das Widerspruchsverfahren (auch Vorverfahren genannt) aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung abgeschafft. Dort muss gegen einen Bescheid direkt vor dem Verwaltungsgericht geklagt werden. So ist es auch bei Tanja, die Klage erhebt.  
 

Das Zuflussprinzip ist hier nicht entscheidend

Tanja beruft sich auf das sog. Zuflussprinzip, dass in vielen Rechtsgebieten, so z.B. bei Bezug von Arbeitslosengeld II gilt. Einkommen wird oft immer punktgenau für den Monat angerechnet, in dem es zufließt. Da ihr die Ausbildungsvergütung erst 2019 zugegangen ist, meint sie, dürfte das Einkommen nicht für 2018 berücksichtigt werden.
 

Berechnung muss pro Bewilligungszeitraum erfolgen

Beim BAföG sind für die Anrechnung des eigenen Einkommens der Auszubildenden deren „Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum“ maßgebend.
Das Verwaltungsgericht Hannover führt in einem aktuellen Urteil (15.1.2020 - AZ 3 A 1306/19) aus, schon diese gesetzliche Formulierung lege nahe, dass es für die Anrechnung auf den Förderanspruch im gesamten Bewilligungszeitraum nicht darauf ankomme, wann innerhalb dieses Zeitraums das Einkommen erzielt wird.
 
Dass auch ein nur in einem Teil des Bewilligungszeitraums erzieltes Einkommen auf den gesamten Bewilligungszeitraum umzulegen ist, ergäbe sich zudem konkret aus § 22 Abs. 2 BAföG. Danach wird auf den Bedarf jedes Kalendermonats des Bewilligungszeitraums der Betrag angerechnet, der sich ergibt, wenn das Gesamteinkommen durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraums geteilt wird.
 

Kein verkürzter Bewilligungsabschnitt

Tanja meint, dass der Bewilligungsabschnitt auf die Monate August bis Dezember 2018 zu verkürzen ist, und nur der Bescheid für die Zukunft aufgehoben werden müsste. Auch mit dieser Möglichkeit hat das Gericht sich befasst und sie verneint.
 
Über die Ausbildungsförderung wird in der Regel für ein Jahr entschieden. Damit wird auch der jeweils für die Anrechnung des eigenen Einkommens maßgebliche Bewilligungszeitraum bestimmt. Der Bescheid wird nur dann geändert, wenn sich ein für die Leistung maßgeblicher Umstand ändert. Zu einer Verkürzung des Bewilligungszeitraums berechtigt bzw. verpflichtet diese Vorschrift aber nur bei einem Abbruch oder einer längerfristigen Unterbrechung (Beurlaubung) der Ausbildung. Denn nur in den Fällen fallen die allgemeinen Fördervoraussetzung nachträglich weg. Die tarifliche Änderung mit Einführung der Ausbildung ist kein Abbruch der Maßnahme. Tanja macht wie geplant die dreijährige schulische Ausbildung.
 

Argument: Geld ist ausgegeben, zieht nicht

Tanja beruft sich auf die sogenannte Entreicherung, denn das Bafög hat sie natürlich zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts ausgegeben. Auch das Argument zieht jedoch nicht.
Leider ist auch hier das Gesetz eindeutig. Es lässt keinen Raum für das Berufen auf subjektive Umstände oder auf Vertrauensschutz. Es knüpft nur auf die objektiven Tatsachen an. Einkommen ist im Bewilligungsabschnitt erzielt und wird daher umgelegt auf alle Monate im Bewilligungszeitraum.
 

Kein Verstoß gegen das Sozialstaatsprinzip

Auch das Sozialstaatsprinzip gebiete es nicht, so die Richter, eine im Laufe des Bewilligungszeitraums veränderte Einkommenssituation erst für die Zukunft zu berücksichtigen. Die anteilige Anrechnung des Einkommens auf jeden Monat des Bewilligungszeitraums erfolgt erst im Nachhinein, nachdem diese Einkünfte den Auszubildenden tatsächlich zugeflossen sind. Auch die daraus resultierende Pflicht zur Rückzahlung der danach zu viel erhaltenen Leistungen tritt erst nachträglich ein. Die gesetzliche Regelung stelle damit erst nachträglich auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Auszubildenden ab, ohne die Zugangsmöglichkeit zur Ausbildung selbst in Frage zu stellen, so das Verwaltungsgericht.        
        

Bedeutende Tarifeinigung mit Fallstricken

Erstmals erhalten Auszubildende in betrieblich-schulischen Gesundheitsberufen Ausbildungsvergütungen. Dass diese Verbesserung auch wieder Fallstricke haben kann, zeigt dieser Fall.

Rechtliche Grundlagen

Auszüge aus dem BAföG

§ 22 BAföG
1) Für die Anrechnung des Einkommens des Auszubildenden sind die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum maßgebend. (…)
(2) Auf den Bedarf jedes Kalendermonats des Bewilligungszeitraums wird der Betrag angerechnet, der sich ergibt, wenn das Gesamteinkommen durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraums geteilt wird. (…)

§ 50 BAföG
(1) Die Entscheidung ist dem Antragsteller schriftlich oder elektronisch mitzuteilen (Bescheid). (…)
(3) Über die Ausbildungsförderung wird in der Regel für ein Jahr (Bewilligungszeitraum) entschieden.