Gutachten soll Wege- und Umkleidezeiten im Einsatzbetrieb Tönnies klären. Doch dem Sachverständigen wird der Zutritt verweigert.
Gutachten soll Wege- und Umkleidezeiten im Einsatzbetrieb Tönnies klären. Doch dem Sachverständigen wird der Zutritt verweigert.

Die Kläger der Verfahren sind Mitglieder der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Sie sind angestellt bei dem Unternehmen Besselmann Services GmbH & Co. KG, das für Kunden aus der Lebensmittelbranche Personal stellt. 

Eingesetzt werden sie als Helfer im Produktionsbereich bei der Tönnies Lebensmittel GmbH und Co. KG in Rheda-Wiedenbrück. 

Umkleide- und Wegezeiten werden im Einsatzbetrieb Tönnies nicht erfasst

Die Arbeitszeit der Produktionsmitarbeiter wird erst am Arbeitsplatz erfasst, die Umkleide- und Wegezeiten werden nicht festgehalten und auch nicht bezahlt. 

Vor Ort sind die Begebenheiten so, dass die Beschäftigten zunächst das Drehkreuz am Personaleingang passieren, die Umkleideräume betreten, die Arbeitskleidung in Empfang nehmen und sich umkleiden. Dabei muss die komplette Oberbekleidung sowie die Schuhe ausgezogen und gegen Arbeitskleidung und Schutzkleidung getauscht werden. 

Nach dem Umkleiden erfolgt ein längerer Fußweg zum Arbeitsplatz. Erst da angekommen, wird die Arbeitszeit festgehalten.

Außergerichtliche Klärungsversuche der Gewerkschaft ergebnislos

Die NGG bemühte sich zunächst außergerichtlich darum, eine Einigung über die Vergütung der Umkleide- und Wegezeiten zu finden. Da dies scheiterte, erhob der DGB Rechtsschutz Bielefeld Klagen beim Arbeitsgericht Bielefeld. Dort streiten die Parteien schon seit Dezember 2014 über die Höhe der Umkleide- und Wegezeiten.

Umkleide- und Wegezeiten müssen vergütet werden

Klar ist, dass die Umkleide- und Wegezeiten zu vergüten sind. 

Nach der Rechtsprechung gilt der Grundsatz, dass Umkleidezeiten und durch das Umkleiden veranlasste innerbetriebliche Wegezeiten vergütungspflichtige Arbeitszeit darstellen, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. Und es besteht eine von Hygienevorschriften vorgegebene Verpflichtung, sich im Einsatzbetrieb in Weißkleidung umzukleiden. 

Der verklagte Personaldienstleister beruft sich darauf, dass er keinen faktischen oder rechtlichen Einfluss auf die Art und Weise der Zeiterfassung bei seinem Kunden, der Fa. Tönnies, habe. Das kann nur unerheblich sein, was auch die zuständige Richterin so sehen dürfte, denn andernfalls wäre die Ermittlung der genauen Zeiten sinnlos. 

Auch dass die Vorgabe zum Tragen der Arbeitskleidung seitens des Kunden Tönnies und nicht durch die Arbeitgeberin erfolgt, dürfte unerheblich sein. Denn es gehört zur arbeitsvertraglichen Nebenpflicht der Arbeitnehmer*innen, solche Vorgaben des Kundenbetriebes einzuhalten. Zudem würden die Mitarbeiter ohne das Umkleiden gar keinen Zutritt zu ihrem Arbeitsplatz erhalten. 

Zeiten fürs Umkleiden und Weg zum Arbeitsplatz streitig

Streitig ist indes die Höhe der Umkleide- und Wegezeiten. Das Umkleiden und der Weg zum Arbeitsplatz nehmen laut den klagenden Arbeitnehmer*innen 15 Minuten in Anspruch. Eingeklagt ist eine Vergütung von 30 Minuten pro Arbeitstag. 

Die Beklagte hat einen eigenen Mitarbeiter den Weg vom Drehkreuz zum Arbeitsplatz ablaufen lassen und gibt diesen mit 7 Minuten an. Kein unrealistischer Wert, die Klägerseite liegt nur eine Minute darüber. 

Anders sieht das bei den Zeiten für den Umkleidevorgang aus. Das Umkleiden sei in 2 Minuten möglich, so die Arbeitgeberin. Lebensfremd für einen Umkleidevorgang, der ja neben dem An- und Auskleiden auch das Betreten der Umkleideräume, das Öffnen und Schließen des Spinds, das Einräumen der eigenen Kleidung in den Spind erfasst. Die Umkleidezeiten sind nach Einschätzung der Klägerseite mit nicht weniger als 5 Minuten pro Umkleidevorgang als Arbeitszeit anzusetzen. 

Gerichtliche Aufklärung zu den Umkleide- und Wegezeiten erforderlich

Da die Parteien zeitlich unterschiedliche Angaben machen, muss eine gerichtliche Aufklärung her. 

Eine Möglichkeit wäre eine Inaugenscheinnahme durch das Gericht gewesen. Eine solche kam nicht zustande, da gerichtlich nicht beabsichtigt und auch von der Beklagtenseite abgelehnt. Bei der Beweiserhebung handele es sich um einen Vorgang und dieser unterliege der richterlichen Inaugenscheinnahme nicht, so deren Argumentation. Interessant, da in einem ähnlichen Rechtsstreit durch das Arbeitsgericht Paderborn die Wege- und Umkleidezeiten durch richterliche
Inaugenscheinnahme ermittelt wurden. (Unserer Artikel hierzu: „Umkleiden im Wert von 3.500 €

Deshalb kam es letztlich zu der Beauftragung eines Sachverständigen durch das Gericht. Dieser soll die Umkleide- und Wegezeiten ermitteln.

Einsatzbetrieb sieht kein Zutrittsrecht des Sachverständigen

Und hier kommt die Fa. Tönnies als Einsatzbetrieb ins Spiel. Es bestünde kein Zutrittsrecht. Da man nicht Beteiligte des Verfahrens sei, werde keine Veranlassung gesehen, Dritten Zutritt zu gewähren, um gutachterliche Feststellungen zum Betrieb zu treffen. 

Zunächst hieß es seitens der Fa. Tönnies noch, man bitte um einen entsprechenden richterlichen Hinweis, sollte aus rechtlichen Gründen eine Verpflichtung bestehen, dem beauftragten Gutachter Zutritt zu gewähren.

Der richterliche Hinweis folgte prompt: Ein Zutrittsrecht sei gegeben, so die Mitteilung des Arbeitsgerichts, verbunden mit dem Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Beschluss vom 05.05.1987, 1 BvR 1113/85).

Doch anders als es die erste Stellungnahme erwarten ließ, gibt man sich bei der Fa. Tönnies damit nicht zufrieden. Es meldet sich eine Anwaltskanzlei und führt gegenüber dem Arbeitsgericht aus, warum sich aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts kein Zutrittsrecht des Gutachters zum Einsatzbetrieb ergäbe. Unter anderem wird damit argumentiert, dass die Eigentümerin der Grundbesitzung (nicht die Tönnies Lebensmittel GmbH und Co. KG!) keinerlei Vertragsbeziehungen zu den Parteien des Prozesses habe. 

Eine Reaktion des Gerichts hierzu liegt noch nicht vor, wir wissen also nicht, ob und wie es weitergehen wird. 

Anmerkung der Redaktion:

Das Vorgehen von Personaldienstleister und Einsatzbetrieb spricht hier wohl für sich, so dass wir uns weitere Anmerkungen sparen. 

Von einer Entscheidung wären nicht nur die beiden vom DGB Rechtsschutz vertretenen Kläger*innen betroffen, sondern zahlreiche Helfer, die durch den Personaldienstleister Besselmann beim Kunden Tönnies eingesetzt werden. Die NGG schätzt, dass das von den 4.000 Beschäftigten einige Hunderte allein in Rheda-Wiedenbrück betrifft. Letztlich dürfte die Entscheidung dann auch Einfluss haben auf alle ca. 10.000 Beschäftigten im Tönnies Konzern.