Copyright: @ Adobe Stock – Ronald Rampsch
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In der Metall- und Elektroindustrie gilt der Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld (TV-T ZUG). Gemäß § 25 des Manteltarifvertrages der Branche (MTV) können Beschäftigte anstatt des tariflichen Zusatzgeldes auf Antrag eine Freistellung von insgesamt acht Tagen beanspruchen.

 

Der Kläger hat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht. Der Arbeitgeber, eine Eisengießerei, hat diesen Antrag auch bewilligt, unter anderem für den 11. und 12. Juni 2019.

 

Der Kläger ist während der Freistellungszeit krank

Die beiden Tage fielen dann aber in eine zweiwöchige Arbeitsunfähigkeit des Klägers. Er forderte die Beklagte auf, ihm zu bestätigen, dass er die zwei Freistellungstagen an anderen Tagen des Jahres 2019 nehmen kann. Es folgte eine Geltendmachung durch die Gewerkschaft IG Metall.

 

Der Arbeitgeber wies die Forderung zurück. Der Anspruch auf Freistellung sei erfüllt, da die freien Tage festgelegt wurden und der Mitarbeiter an den beiden Tagen von der Arbeitsleistung freigestellt war. Ein Anspruch auf Nachgewährung der Tage bestehe nicht.

 

Der DGB Rechtsschutz erhob Klage beim Arbeitsgericht Bielefeld.

 

Beim Arbeitsgericht Bielefeld geht nur der Zahlungsanspruch durch

Da der erste Kammertermin bei Gericht erst im Jahr 2020 stattfand, nahm der Kläger den Antrag, ihm noch zwei weitere Freistellungstage für 2019 zu gewähren, wegen Zeitablaufs zurück und verlangte stattdessen Zahlung des anteiligen Zusatzgeldes.

 

Im MTV steht dazu:

Kann der Freistellungsanspruch aus personenbedingten Gründen nicht oder nicht vollständig im Kalenderjahr genommen werden, so geht der Freistellungsanspruch unter. Im Umfang der nicht realisierten Freistellungstage besteht der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld nach § 2 Nr. 2 a) TV T-ZUG.

 

Das Gericht verurteilte die beklagte Firma dazu, dem Kläger für zwei Tage das tarifliche Zusatzgeld zu zahlen. Es stellte dafür auf den Sinn und Zweck der tariflichen Regelung ab, nämlich den Erholungszweck der Freistellungstage. Deshalb sei der Anspruch auf Freistellung nicht schon im Juni untergangen, sondern erst zum Jahresende. Die Beklagte legte die zugelassene Berufung ein.

 

Anschlussberufung durch den gewerkschaftlichen Rechtsschutz

Mit der Anschlussberufung kann sich die eine Partei der Berufung der anderen Seite anschließen, wenn mehr gewollt ist, als die Berufung zurückzuweisen. So hatte der Kläger, der das tarifliche Zusatzgeld zugesprochen bekommen hatte, die Möglichkeit, das Urteil dennoch anzugreifen.

 

Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) wies die Berufung der Arbeitgeberseite zurück.

Auf die Anschlussberufung der Klägerseite ändert es das Urteil ab. Es stellte fest, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2019 noch zwei Freistellungstage nach dem Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen zustehen.

 

Revision der Arbeitgeberseite hat vor dem Bundesarbeitsgericht keinen Erfolg

Bei dem vom LAG gefundenen Ergebnis verbleibt es. Das BAG wies die Revision der Beklagten zurück:

Die Auslegung des MTV ergebe, dass der Anspruch auf Freistellung an Tagen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht erfüllt werden könne.

 

Dieser Freistellungsanspruch sei auch nicht auf das Kalenderjahr befristet und bestehe daher fort, so das BAG. Er gehe nach dem Tarifvertrag nur dann unter, wenn die Freistellungstage aus personenbedingten Gründen bis zum Jahresende nicht gewährt werden könnten. Das sei zum Beispiel der Fall, wenn wegen einer langandauernden Erkrankung im gesamten restlichen Kalenderjahr eine Freistellung nicht möglich sei. Dann lebe der Anspruch auf das tarifliche Zusatzgeld wieder auf.

 

Diese Voraussetzungen lagen nicht vor. Der Kläger behält daher seinen ursprünglichen Freistellungsanspruch aus dem Jahr 2019 und kann ihn auch in den Folgejahren realisieren.

Das sagen wir dazu:

Die tarifliche Freistellungszeit beruht auf der Vorstellung der IG Metall von „tariflichen Gesundheitstagen“. Dafür wurden drei besonders belastete Arbeitnehmergruppen die Möglichkeit eingeräumt, statt des tariflichen Zusatzgeldes mehr freie Tage beanspruchen zu können. Zwangsläufig muss dann die freie Zeit auch tatsächlich nutzbar sein. Deshalb kann der Anspruch nicht allein dadurch erfüllt werden, dass der Arbeitgeber die freien Tage festlegt.

 

Aber das BAG hat nicht nur bestätigt, dass der tarifliche Anspruch auf zusätzliche freie Tage nicht erfüllt wird, wenn der Arbeitnehmer am Freistellungstag arbeitsunfähig ist. Es hat auch bestätigt, dass der Anspruch nicht auf das Kalenderjahr befristet ist. Der Kläger bekommt also seine zwei freien Tage statt des tariflichen Zusatzgeldes, wie es auch sein ursprünglicher Wunsch war.  

 

Angelika Kapeller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht hat den Kläger vor dem BAG vertreten. Ihr Kommentar:

Es ist offensichtlich, dass die Tarifvertragsparteien den besonders schutzwürdigen Arbeitnehmern mit dem Wahlrecht eine zusätzliche Leistung zukommen lassen wollten. Das Risiko, den gesamten Anspruch dadurch zu verlieren, dass sie im festgelegten Freistellungszeitraum arbeitsunfähig erkranken, würde das Gegenteil bewirken. Dieser „Arbeitsunfähigkeitsfalle“ hat das BAG zu Recht eine Absage erteilt.