Eine ambulante Behandlung in der Gerinnungsambulanz eines Universitätsklinikums ist eine Spezialuntersuchung © Adobe Stock: DC Studio
Eine ambulante Behandlung in der Gerinnungsambulanz eines Universitätsklinikums ist eine Spezialuntersuchung © Adobe Stock: DC Studio

Im April 2022 hatte der Kläger einen Schlaganfall erlitten. Ein halbes Jahr später musste er zu einer Untersuchung ins naheliegende Universitätsklinikum. Er vereinbarte in der Gerinnungsambulanz einen Termin. Die dortige Ärztin stellte ihm zum Nachweis des Behandlungstermins eine Bescheinigung für den Arbeitgeber aus.

 

Die Abwesenheitszeit zog der Arbeitgeber vom Arbeitszeitkonto ab

 

Der Kläger war für die Dauer der Untersuchung 7,25 Stunden im Betrieb abwesend. Die Vergütung für die Zeit der Abwesenheit zahlte der Arbeitgeber nicht. Nach Auffassung der Jurist*innen aus dem DGB Rechtsschutzbüro Siegen war der Arbeitgeber dazu nicht berechtigt. Sie erhoben Klage beim Arbeitsgericht. Damit wollten sie die Gutschrift der abgezogenen Arbeitszeit erreichen.

 

Die Klage begründeten sie damit, auf den Arbeitsvertrag seien die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfahlen anwendbar. Danach müsse der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt für Abwesenheiten wegen eines Arztbesuches weiter zahlen, wenn es sich um eine notwendige Spezialuntersuchung handele, die während der Arbeitszeit durchgeführt werden müsse.

 

Die Ärzte hatten die notwendige Untersuchung bestätigt

 

Der Kläger habe eine Spezialuntersuchung durchführen lassen. Die Behandlung während der Arbeitszeit sei für ihn unvermeidbar gewesen. Das ergebe sich aus der vorgelegten ärztlichen Bescheinigung.

 

Das Arbeitsgericht Siegen bestätigte den Anspruch des Klägers. Die Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, dem Kläger für den Tag der Untersuchung 7,25 Stunden von seinem Arbeitszeitkonto abzuziehen.

 

Soweit Beschäftigten kein Anspruch auf Weiterzahlung des regelmäßigen Arbeitsentgelts im Krankheitsfall - Krankengeld, Übergangsgeld oder Verletztengeld -  zustehe, gebe der Tarifvertrag vor, dass das regelmäßige Arbeitsentgelt bei Arztbesuchen für die unvermeidliche Ausfallzeit während der Schicht weitergezahlt werden müsse. Dazu sei erforderlich, dass es sich bei diesen Arztbesuchen um eine notwendige Spezialuntersuchung handele, die während der Arbeitszeit durchgeführt werden müsse und der Arzt dies auch so bescheinige (§ 34.4 d des Manteltarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie NRW).

 

Die ambulante Behandlung war eine Spezialuntersuchung

 

Diese Voraussetzungen lägen im Fall des Klägers vor. Es habe sich bei der ambulanten Behandlung des Klägers um einen Arztbesuch anlässlich einer notwendigen Spezialuntersuchung gehandelt.

Den Begriff der Spezialuntersuchung definiere der Tarifvertrag nicht. Als Begriff finde er sich auch nicht im Duden oder Wörterbuch. Vom Wortsinn und Kontext her könne es sich nur um das Gegenteil zu einer „Allgemeinuntersuchung" handeln, also eine Untersuchung, für die man besondere - also spezielle - medizinische Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. besondere - also spezielle – medizinische Geräte benötige.

 

Das Universitätsklinikum bildete eine eigene Sektion für Hämostaseologie

 

Der Kläger habe die Gerinnungsambulanz eines Universitätsklinikums aufgesucht. Diese Ambulanz bezeichne sich als „Sektion Hämostaseologie – Hämophilirezentrum“. Bereits die Bildung einer eigenen Sektion in einem Universitätsklinikum belege, dass es sich bei den dort vorgenommenen Untersuchungen um Spezialuntersuchungen handele.

 

Die Hämostaseologie in der Gerinnungsambulanz beschäftige sich mit Vorgängen der Blutstillung nach Verletzungen und den damit verbundenen Krankheiten. Es handele sich um die Lehre von der Blutgerinnung und ihrer Störungen. Die Hämostaseologie sei das Spezialgebiet der Medizin, das sich mit all jenen Faktoren befasse, die zur Beendigung einer Blutung unabdingbar seien bzw. zu einer Störung der Blutung führten. So beschreibe es „Wikipedia“.

 

Die Hämophilie – auch Bluterkrankheit genannte – sei eine Erbkrankheit, bei der die Blutgerinnung gestört sei.

 

Eine Begründung musste der Kläger nicht abliefern

 

Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich in dieser Ambulanz lediglich einer allgemeinen Untersuchung unterzogen habe, die er überall hätte durchführen lassen können, seien nicht ersichtlich, so das Arbeitsgericht. Der Kläger habe auch keineswegs offenlegen müssen, was genau bei ihm aus welchem Grund untersucht worden sei. Dazu verpflichte ihn weder der Tarifvertrag noch andere rechtliche Vorschriften.

 

Die Spezialuntersuchung habe der Kläger auch nachweislich währen der Arbeitszeit durchführen müssen. Das ergebe sich aus der vom Kläger vorgelegten Bescheinigung. Darin stehe sowohl das Datum als auch die Uhrzeit geschrieben, zu welcher der Kläger habe erscheinen müssen. Das reiche aus.

 

Eine Begründung für die Untersuchung müsse sich aus der Bescheinigung nicht ergeben. Der Tarifvertrag verlange nur, dass der Arzt die notwendige Untersuchung bescheinige, nicht jedoch, diese auch zu begründen.