Das Landesarbeitsgericht Bremen (LAG) hat in einem von der DGB Rechtsschutz GmbH vertretenen Verfahren einem Arbeitnehmer insoweit Rechtgegeben.

Dieter Harms (Name von der Redaktion geändert) ist beschäftigt bei einem süddeutschen Automobilhersteller, der in Bremen ein großes Werk betreibt. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie im Bezirk Unterweser anzuwenden. Es gibt zudem einen Tarifvertrag vom Februar 2018 über ein tarifliches Zusatzgeld (TV T-ZUG). Nach diesem Tarifvertrag erhalten Beschäftigte, die zum Auszahlungstag in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb ununterbrochen sechs Monate angehört haben, ein tarifliches Zusatzgeld in Höhe von 27,5 Prozent. Dieses wird im Juli ausgezahlt.

Statt des Zusatzgelds können die betroffenen Arbeitnehmer die im Manteltarifvertrag Unterweser (MTV) geregelte tarifliche Freistellungszeit in Anspruch nehmen. Der MTV sieht insoweit vor, dass Beschäftigte unter gewissen Voraussetzungen verlangen können, dass sie statt des tariflichen Zusatzgeldes eine Freistellung in Anspruch zu nehmen können.

Der Arbeitgeber wollte einen Arbeitnehmer nicht freistellen, weil über dessen Vermögen die Privatinsolvenz eröffnet war

Dieter Harms hat im Oktober 2018 beim Arbeitgeber beantragt, das tariflichen Zusatzgeld für 2019 in Freistellungstage umzuwandeln, was dieser ablehnte. Dabei bestritt der Arbeitgeber gar nicht, dass Herr Harms grundsätzlich die Voraussetzungen sowohl für das Zusatzentgelt als auch für dessen Umwandlung erfüllt. Er berief sich allerdings auf Vorschriften aus den Pfändungsrecht. Diese verböten im Fall des Herrn Harms eine Umwandlung des tariflichen Zusatzgeldes in Freizeittage.

Dieter Harms befand sich nämlich bis zur Restschuldbefreiung im April 2019 in Privatinsolvenz. Das Insolvenzverfahren über sein Vermögen hatte das Amtsgericht im April 2013 eröffnet. Bei der tariflichen Wahloption handele es sich um eine von der Zivilprozessordnung (ZPO) untersagte Verfügung. Die Umwandlung des tariflichen Zusatzgelds würde also eine unzulässige Benachteiligung der Gläubiger unterstützen. Damit setze sich der Arbeitgeber dem Risiko aus, dass man ihn doppelt in Anspruch nimmt.

Der Schuldner kann grundsätzlich autonom über den Einsatz seiner Arbeitskraft entscheiden

Das Landesarbeitsgericht Bremen hat jetzt entschieden, dass Regelungen aus den Insolvenz- oder Pfändungsrecht nicht verhinderten, dass der Arbeitgeber Herrn Harms freistellen könne. Er habe vor Oktober 2018 beim Arbeitgeber beantragt, freigestellt zu werden. Zu diesem Zeitpunkt habe er sich in Privatinsolvenz befunden. Die Restschuldbefreiung sei erst im April 2019 erfolgt. Dieter Harms habe jedoch gleichwohl über den Inhalt seines Arbeitsvertrages selbst verfügen können. Denn die Arbeitskraft des Schuldners und dessen Arbeitsverhältnis als solches gehörten nicht zur Insolvenzmasse.

Da der Schuldner grundsätzlich autonom über den Einsatz seiner Arbeitskraft entscheiden könne, stünde das Verfügungsverbot der Insolvenzordnung (InsO) dem Anspruch auf Freistellung nicht entgegen. Diese bestimme zwar, dass Verfügungen des Schuldners über einen Gegenstand der Insolvenzmasse nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unwirksam sind. Das sei eine Konsequenz der Bestimmung, dass ein Schuldner nicht mehr über sein Vermögen verfügen dürfe, wenn darüber das Insolvenzverfahren angeordnet worden sei.

Die Regelung diene dem Schutz der Insolvenzgläubiger gegen eine Minderung der Vermögensmasse durch Verfügungen des Insolvenzschuldners. Das gelte auch für eine Verfügung über künftige Forderungen auf Bezüge aus einem Dienstverhältnis des Schuldners oder an deren Stelle tretende laufende Bezüge insoweit, als die Bezüge für die Zeit nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens betroffen seien.

Die Arbeitskraft gehört nicht zur Insolvenzmasse

Zwar gehöre auch das pfändbare Arbeitseinkommen zur Insolvenzmasse, nicht aber die Arbeitskraft des Schuldners oder dessen Arbeitsverhältnis als solches. Damit seien auch die streitgegenständlichen Freistellungsansprüche nicht erfasst. Denn hierbei handele sich, ähnlich wie beim Persönlichkeitsrechte und höchstpersönlichen Rechtsbeziehungen nicht um Vermögensrechte. Nur diese gehören aber zur Masse.

Die Arbeitskraft sei Ausdruck der eigenen Persönlichkeit, also kein Vermögensobjekt, und falle somit nicht in die Insolvenzmasse. Der Schuldner könne nicht gezwungen werden, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Insoweit habe auch der Treuhänder keine Möglichkeit, die Tätigkeit des Schuldners als solche zu beeinflussen.

Der Insolvenzmasse werde zudem nur das zugewiesen, womit der Schuldner für seine Schulden hafte, das heißt was Zugriffsobjekt in der Zwangsvollstreckung sein könne. Mit den Zwangsmitteln der Zivilprozessordnung (ZPO) könne aber nicht durchgesetzt werden, dass ein Schuldner arbeite.  Insoweit gebe es ein Vollstreckungsverbot, das dem Schutz der Menschenwürde diene.

Es gebe keine Pflicht eines Schuldners, die Insolvenzmasse durch den Einsatz seiner Arbeitskraft zu vermehren

Sei ein Arbeitnehmer Schuldner, sei er nicht nur berechtigt, das Arbeitsverhältnis zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen, sondern könne auch den Inhalt des Arbeitsverhältnisses verändern.

Da der Schuldner über seine Arbeitskraft frei verfügen könne, bliebe ihm auch die entsprechende Verfügungsbefugnis bezüglich vertraglicher Beziehungen, die seine Arbeitskraft beträfen. Es gebe keine Pflicht eines Schuldners, die Insolvenzmasse dadurch zu vermehren, dass er seine Arbeitskraft einsetze. Der Schuldner kann daher auch ein Vertragsänderungsangebot mit reduzierter Arbeitszeit zu deutlich reduzierten Bezügen annehmen. Daher sei es insolvenzrechtlich nicht zu beanstanden, wenn Dieter Harms durch die tarifliche Freistellungszeit seine Arbeitszeit für das Jahr 2019 reduzieren möchte und dadurch im Ergebnis weniger Insolvenzmasse entstehe als bei Entgegennahme des tariflichen Zusatzgeldes.

Herr Harms durfte die konkreten Freistellungstage auch erst in der zweiten Instanz bezeichnen

Das LAG folgte damit in Wesentlichen dem Urteil des Arbeitsgerichtes Bremen-Bremerhaven aus der ersten Instanz. Lediglich in einem Punkt änderte das LAG das erstinstanzliche Urteil ab: Dieter Harms hatte die Freistellung für das Jahr 2019 beantragt. Das war selbstredend jetzt nicht mehr möglich. Der Kläger hatte in der zweiten Instanz deshalb konkret acht Tage im September 2020 bezeichnet, an denen der Arbeitgeber ihn freistellen soll.

An dieser Stelle sah der Arbeitgeber indessen die Chance, den Rechtsstreit doch noch zu gewinnen, da Herr Harms einen entsprechenden Antrag in erster Instanz gar nicht gestellt hatte. Das LAG stellte allerdings klar, dass Herr Harms durch den Antrag keinen anderen Streitgegenstand in das Verfahren eingeführt habe.

Es handele sich der Sache nach nicht um eine Klageänderung im Sinne der ZPO, sondern um eine Erweiterung des Klageantrages. Nach der ZPO sei es nicht als eine Änderung der Klage anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes der Klageantrag in der Hauptsache erweitert werde. Insbesondere sei hier nicht ein weiterer prozessualer Anspruch eingeführt oder der bisherige Anspruch durch einen anderen ersetzt worden, sondern der bereits anhängige Anspruch in der Hauptsache qualitativ erweitert.

Das LAG hätte aber auch eine Klagänderung insoweit zugelassen. Es führte aus, dass das Gericht sie als sachdienlich angesehen hätte. Denn eine solche Klageänderung sei als sachdienlich zuzulassen, wenn der bisherige Streitstoff eine verwertbare Entscheidungsgrundlage bleibe und die Änderung es fördere, den Streit beizulegen und einen neuen Prozess zu vermeiden.

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