Fahrten zu Fortbildungen können Arbeitszeit sein, wenn die Fortbildungen der unmittelbaren Erledigung der Arbeitsaufgaben dienen. Copyright by Rawpixel.com/Fotolia
Fahrten zu Fortbildungen können Arbeitszeit sein, wenn die Fortbildungen der unmittelbaren Erledigung der Arbeitsaufgaben dienen. Copyright by Rawpixel.com/Fotolia

Streitfrage des Falls ist die Vergütungspflicht des Arbeitgebers nicht nur für die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen selbst, sondern auch für die Fahrzeiten zu diesen Veranstaltungen.
 

Arbeitszeit und Dienstreise laut Tarifvertrag 

Der Kläger ist ärztlicher Gutachter in Leipzig. Aufgrund Bezugnahme findet der MTV für die Beschäftigten der medizinischen Dienste der Krankenversicherung (MDK) und des medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS) vom Oktober 1991 (MDK-T) Anwendung.
 
Nach diesem Tarifvertrag wird bei Dienstreisen als Arbeitszeit für jeden Werktag die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme einschließlich An-und Abreise, bei mehrtägigen Dienstreisen mindestens jedoch die dienstplanmäßige bzw. betriebsüblichen Arbeitszeit berücksichtigt.
 
Dauert die Dienstreise einschließlich der Fahrzeiten weniger als die dienstplanmäßige bzw. betriebliche Arbeitszeit, gilt laut Tarifvertrag die tatsächliche Abwesenheit als Arbeitszeit. Reist der Arbeitnehmer aus dienstlichen Gründen an einem arbeitsfreien Tag an oder ab, wird die Fahrzeit zur Hälfte als Arbeitszeit berücksichtigt.
 
Ferner gelten als Dienstreisen laut Tarifvertrag Reisen zur vorübergehenden Erledigung von Dienstgeschäften außerhalb des Dienstortes, die schriftlich angeordnet oder genehmigt worden sind.
 

Kläger nimmt an diversen Fortbildungen teil

Der Kläger nahm im Auftrag des Beklagten im April und November 2015 sowie im Januar und Februar 2016 an einer von diesem organisierten Veranstaltung für ärztliche Gutachter und zudem an drei vom MDK veranstalteten Spezialseminaren teil. Insgesamt wendete der Kläger für An- und Abreise 64,17 Stunden auf, zudem leistete er 13,94 Stunden Büroarbeit.
 
Die Seminare gehören zum Fortbildungskonzept der MDK-Gemeinschaft und sind im Bildungsplan des Beklagten aufgeführt. Die Teilnahme an den Seminaren hatte der Beklagten zuvor genehmigt. Sie lagen nach Erkenntnis des Gerichts in seinem dienstlichen Interesse.
 
Der Beklagte übernahm die Kosten für alle Fortbildungen einschließlich der Reisekosten. Für die Büroarbeit verbuchte der Beklagte allerdings nur 2,5 bzw. 4,02 Stunden als Arbeitszeit
 

Kläger verlangt Anerkennung von Arbeitszeit

Der Kläger forderte den Beklagten auf, ihm 75,72 Stunden auf dem Arbeitszeitkonto gutzuschreiben. Dies lehnte der Beklagte ab. Zwar erklärte er sich im Laufe des Rechtsstreits bereit, die Zeiten der Fortbildungen als Arbeitszeit anzuerkennen. Allerdings verweigerte er weiterhin die Anerkennung der An-bzw. Abreisezeiten als Arbeitszeit.
 
 
Der Kläger verfolgte seinen Anspruch vor Gericht weiter. Er vertrat die Ansicht, bei den Fortbildungen handele es sich um Dienstreisen im Sinne des Tarifvertrages. Für die Definition des Begriffes „Dienstreise“ müsse auf die weiteren Bestimmungen in den Tarifverträgen zurückgegriffen werden. Mit den Besuchen der Fortbildungen habe er jeweils Dienstgeschäften wahrgenommen. Zwar ergebe sich aus einer weiteren tariflichen Regelung Reisekosten folgendes:
 
„Der Umfang der Erstattung notwendiger Kosten bei Reisen in Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen wird mit der Genehmigung festgesetzt. Für die Höhe der Kostenerstattung soll das Maß des dienstlichen Interesses zugrunde gelegt werden.“
 
Diese Regelung betreffe allerdings nur die Reisekostenerstattung als solche, nicht jedoch Fragen der Arbeitszeit.
 

Fortbildung nur aus besonderem Anlass?

Die Beklagte trug demgegenüber vor, dem Tarifvertrag sei zu entnehmen, dass Reisen im Zusammenhang mit Fortbildungsmaßnahmen „Reisen aus besonderem Anlass“ und damit gerade keine Dienstreise im Sinne des Tarifrechts sein. Ein „dienstliches Interesse“ müsse daher besonders zu begründen sein. Für Dienstreisen treffe dies nicht zu, da es ansonsten dieser Sonderregelung im Tarifvertrag nicht bedürfe.
 
Die vom Kläger ausgeübte Tätigkeit in Form von Erstellung von Gutachten für Krankenkasse sei eine unmittelbare vertragliche Aufgabe des Klägers, nicht jedoch der Besuch von Fortbildungen. Der Begriff des Dienstgeschäfts sei ausschließlich an die unmittelbare Arbeitsaufgabe eines Beschäftigten gekoppelt. Die tariflichen Regelungen zur Dienstreise seien mithin auf Fortbildungsmaßnahmen nicht anwendbar.
 
Das BAG bejaht einen Anspruch des Klägers aus dem Tarifvertrag. Nach diesen wird bei Dienstreisen für jeden Werktag die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme einschließlich An-und Abreise berücksichtigt.
 

BAG: Fahrzeiten sind Arbeitszeit

Dies folgt für das BAG aus einem Umkehrschluss einer tarifvertraglichen Regelung, nach der Reisezeiten bei der Erfassung in Bezug auf die Feststellung der Höchstarbeitszeiten nach dem Arbeitszeitgesetz nicht berücksichtigt werden.
 
Hieraus folgt für das BAG, dass die Tarifparteien Reisezeiten grundsätzlich als Arbeitszeiten verstanden wissen wollten. Lediglich im Hinblick auf die Höchstarbeitszeiten sollen Reisezeiten keine Rolle spielen, um auch Reisen zu Veranstaltungen zu ermöglichen, die einen weiten Anreiseweg verlangen. Ansonsten müsste ein Arbeitnehmer nach spätestens zehn Stunden seine Dienstreise für mindestens elf Stunden unterbrechen.
 
Zwar haben nach Auffassung des BAG die Tarifparteien den Begriff der „Dienstreise“ nicht explizit definiert. Allerdings finde sich eine Begriffsbestimmung in Hinblick auf die Reisekosten. Als Dienstreisen gelten demnach Reisen zu vorübergehenden Erledigung von Geschäften außerhalb des Dienstortes der Beschäftigten, die schriftlich angeordnet oder genehmigt sind.
 

BAG schließt sich Bundesverwaltungsgericht an

Dies decke sich mit dem allgemeinen Sprachgebrauch, wonach eine Dienstreise eine Reise in einer dienstlichen Angelegenheit bzw. in dienstlichem Auftrag ist. In Hinblick auf den Begriff „Dienstgeschäft“ nimmt das BAG auch Bezug auf die neuere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
 
Danach knüpft der Begriff des Dienstgeschäfts an das Amt im konkret-funktionellen Sinne an. Als Dienstgeschäft seien die dem Beamten zur Erledigung übertragen dienstlichen Aufgaben zu verstehen, so das Bundesverwaltungsgericht.
 
Dienstgeschäfte eines Arbeitnehmers sind nach Ansicht des BAG mithin die zur unmittelbaren Erledigung übertragen Arbeitsaufgaben. Ob dies der Fall ist, müsse nach den Umständen des Einzelfalls beurteilt werden. Für den vorliegenden Fall sei die Tätigkeit des Klägers sowie der Inhalt der Fortbildung entscheidend.
 

Fortbildung unerlässlich

Die Teilnahme des Klägers an den Fortbildungsveranstaltungen stellt für das BAG ein Dienstgeschäft im Sinne des Tarifrechts dar. Der Beklagte hat den Kläger mit der Teilnahme an diesen Veranstaltungen beauftragt, die Pflichtveranstaltungen für ärztliche Gutachter sind bzw. zum Fortbildungskonzept der MDK-Gemeinschaft gehören.
 
Damit hat der Beklagte nach Auffassung des BAG hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass die Teilnahme als unerlässlich angesehen wird, um die Gutachtertätigkeit weiterhin fachgerecht ausüben zu können.
 
Aus der tariflichen Regelung, wonach bei Dienstreisen für jeden Werktag die Zeit der dienstlichen Inanspruchnahme, einschließlich An und Abreise, bei mehrtägigen Reisen mindestens jedoch die dienstplanmäßige bzw. betriebsüblichen Arbeitszeit berücksichtigt wird, folgte letztlich, dass Reisezeit im Rahmen von Dienstreisen auch zu vergütende Arbeitszeit ist.
 
Links:
 
Urteil des Bundesarbeitsgerichts
 
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Das sagen wir dazu:

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist richtig. Zwar liegt der Entscheidung eine Tarifnorm zugrunde. Diese entspringen allerdings einer zunehmend wichtiger werdenden, grundlegenden Überlegung: Arbeitszeit ist die Zeit, die der Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsvertrages schuldet und in welcher er abhängig Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbringt. In seiner Freizeit schuldet der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber keine Arbeitsleistung.

Arbeitszeit ist Zeit, die dem Arbeitgeber nützt

Aufgrund neuer, als „modern“ bezeichneter Arbeitszeitmodelle verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit für Arbeitnehmer zunehmend. Die Arbeitszeit breitet sich aufgrund moderner Kommunikationsmittel zunehmend ins Privatleben aus. Das – derzeit viel gepriesene – Home-Office verlagert die Arbeitszeit in die heimischen vier Wände

Das Urteil geht demgegenüber in die richtige Richtung: Auch die An- und Abreise im Rahmen einer Dienstreise dient der Erbringung der Arbeitsleistung am vom Arbeitgeber gewünschten Ort. Da es sich im vorliegenden Fall nicht um den normalen, üblichen Weg zur Arbeitsstätte und zurück handelt, sondern um einen Fortbildungsort als speziellen Arbeitsort, muss konsequenterweise auch die Zeit der An- und Abreise zur Fortbildung als Arbeitszeit gelten.

Arbeitsrecht ist vor allem Arbeitnehmer-Schutzrecht: Eine andere Entscheidung des BAG hätte bedeutet, dass der Arbeitnehmer seine Freizeit für den Arbeitgeber opfert, also überobligatorische Aufwendungen in zeitlicher Hinsicht tätigt. Ohne Verbuchung als Arbeitszeit ist dies nicht hinnehmbar. Hilfreich für Arbeitnehmer ist daher, wenn ein Tarifverträge hierzu deutliche, günstige Regelungen enthalten.