Neumann ist Menüfahrer und liefert Essen an Kitas, Schulen und Einzelhaushalte aus. Er arbeitet montags bis freitags ohne Pause von 8:00 bis 13:00 Uhr in der 25 Stundenwoche. Auf diese Arbeitszeiten hat er sich von Beginn an verlassen und auch nur so gearbeitet.

Arbeitgeber ändert die Arbeitszeiten

Im Juli 2020 beruft sich der Chef auf sein Direktionsrecht und teilt die Zeiten neu auf. Montags bis donnerstags soll Neumann 20 Minuten weniger arbeiten und freitags sieben Stunden inklusive einer Pause.

Neumann nimmt die neuen Zeiten nur unter Vorbehalt einer gerichtlichen Überprüfung an. Dies ist geschickt, um den Streit nicht eskalieren zu lassen, und trotzdem sein Ziel weiterzuverfolgen, die alten Zeiten zurück zu bekommen. Verweigert ein Beschäftigter eine andere Arbeitszeit, sieht der Arbeitgeber eine Vertragsverletzung und Abmahnung sowie Kündigung können folgen.

Da es bei Neumann nur um einen Tag ging, konnte er mit der Vorbehaltserklärung so sinnvoll handeln. Eine Krankenschwester, die nachts arbeitet und tagsüber teilweise die Kinder betreut, ist natürlich anders unter Zugzwang, wenn der Arbeitgeber einseitig die Zeiten ändert.

Neumann erhebt Klage vor dem Arbeitsgericht

Der Chef brachte im Prozess diverse, jedoch nicht überzeugende Gründe vor, warum es jetzt betrieblich notwendig sei, dass Neumann freitags länger arbeite. Der DGB Rechtsschutz Hagen, der den Kläger vor Gericht vertrat, hat all das bestritten. Er konnte sogar einwenden, dass die Firma noch Menüfahrer für die Zeit von 7:45 bis 13:00 Uhr suchte, also fast deckungsgleich mit den alten Arbeitszeiten. Zudem gab es eine mündliche Zusage im Zusammenhang mit dem Vertragsschluss und eine handschriftliche Eintragung der Arbeitszeit auf dem Personalbogen durch Neumann selbst.

Mit seiner Frau hatte Neumann die familiäre Entscheidung getroffen, dass er in Teilzeit arbeitet, sie Vollzeit mit Pendelzeiten und er daher alleine den Haushalt führt, den gemeinsamen Hund in der Mittagszeit versorgt und sich außerdem noch bei Bedarf um den über 80-jährigen Schwiegervater kümmert. Das dieses Modell bei einer Arbeitszeit von sieben Stunden plus Wegezeiten nicht mehr möglich ist, war ein weiteres Argument gegen die einseitig vom Chef geänderten Zeiten.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Arbeitsgericht Hagen gab Neumann recht. Zwar habe er keinen Anspruch aus dem Arbeitsvertrag, denn die Eintragung auf dem Datenbogen diente lediglich dazu seine persönlichen Daten zur Personalakte zu nehmen. Außerdem enthielt der Arbeitsvertrag eine Klausel, wonach der Arbeitgeber unter Berücksichtigung der betrieblichen Belange, Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit sowie Länge und Dauer der Pausen bestimmen kann.

Die Neuverteilung durch den Arbeitgeber überschreite jedoch die Grenzen des billigen Ermessens, so das Gericht.

Das billige Ermessen

Sofern keine Regelung im Arbeitsvertrag, Tarifvertrag oder einer Betriebsvereinbarung entgegensteht können Arbeitgeber Inhalt, Ort und Dauer der Arbeit bestimmen, müssen dies jedoch nach billigem Ermessen tun. Dies verlangt eine umfangreiche Interessenabwägung nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, nach Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und Zumutbarkeit. Die Umstände des Einzelfalls sind in die Abwägung einzubeziehen, wozu auch die sozialen Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten zählen.

Die Entscheidung des Chefs ist an diesen Grundsätzen zu messen. Das Arbeitsgericht beanstandet die Ermessensausübung.

Die Begründung des Arbeitsgerichtsgerichts

Das Gericht hält der Beklagten vor, dass sie mittels Stellenanzeige für fast genau die Zeiten, die der Kläger begehrt, Fahrer sucht. Und auch sonst sei nicht klar, warum Neumann für die Arbeit am Freitagnachmittag benötigt werde.

Bei Neumann lässt das Gericht die vollzeitbeschäftigte Ehefrau, Haushalt und den Schwiegervater nicht als Argument gelten. Denn von montags bis donnerstags könne Neumann am Nachmittag seinen diesbezüglichen familiären Verpflichtungen nachkommen und zum Beispiel notwendige Termine auf diese Tage legen.

Tierschutz ist ausschlaggebender Grund

Die Interessenabwägung des Gerichts geht jedoch aus Gründen des Tierschutzes zugunsten von Neumann aus. Er könne seinen Hund nicht sieben Stunden zuzüglich Wegezeiten allein lassen.

Zur Begründung führt das Gericht an, dass Hunde Rudeltiere sind, die bei längerfristigen Alleinsein aufgrund ihrer Urängste in Stress geraten. Zudem müsse dafür Sorge getragen sein, dass sie regelmäßig ihre Notdurft verrichten können.

Die Unterbringung bei einem Tiersitter oder in einer Tierpension wäre eventuell möglich. Die dadurch ausgelösten Kosten könnten Neumann aber nur dann zugemutet werden, wenn tatsächlich gewichtige betriebliche Gründe vorlägen und eine pflichtgemäße Ermessenausübung erfolgt wäre.

Das Urteil des Arbeitsgericht Hagen, Urteil vom 16. Februar 2021 - 4 Ca 1688/20 hier im Volltext

Das sagen wir dazu:

Nein, es ist kein Luxusproblem. Teilzeit arbeiten viele Beschäftigte aus der familiären Entscheidung heraus, weil einer für Kinder, Eltern/Schwiegereltern oder auch für die Versorgung der gemeinschaftlich angeschafften Tiere zuständig ist. Schön, dass die Tierbetreuung auch einen Stellenwert bekommt. 

Der Arbeitsvertrag von Neumann und auch von vielen anderen Arbeitnehmern*innen lässt einseitige Änderung durch den Arbeitgeber zu. Auch nach vielen Jahren entsteht kein Anspruch darauf, dass alles immer so bliebt. Gibt es dann Streit, muss der Arbeitgeber nur das Ermessen richtig ausüben. Daher ist jedem (jeder) Teilzeitbeschäftigten zu raten, auf eine vertragliche Festlegung der Arbeitszeiten zu bestehen. Denn dann müsste der Arbeitgeber eine Änderungskündigung aussprechen. Die Hürden hängen dann für ihn deutlich höher.

Rechtliche Grundlagen

§ 106 GewO / § 315 BGB

§ 106 Gewerbeordnung - Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.

§ 315 BGB - Bestimmung der Leistung durch eine Partei

(1) Soll die Leistung durch einen der Vertragschließenden bestimmt werden, so ist im Zweifel anzunehmen, dass die Bestimmung nach billigem Ermessen zu treffen ist.

(2) Die Bestimmung erfolgt durch Erklärung gegenüber dem anderen Teil.

(3) Soll die Bestimmung nach billigem Ermessen erfolgen, so ist die getroffene Bestimmung für den anderen Teil nur verbindlich, wenn sie der Billigkeit entspricht. Entspricht sie nicht der Billigkeit, so wird die Bestimmung durch Urteil getroffen; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung verzögert wird.