Dass Eltern vor einer solchen Situation graust, kann der Arbeitgeber in diesem Falle wohl nicht verstehen. Copyright by  patrick/Adobe Stock
Dass Eltern vor einer solchen Situation graust, kann der Arbeitgeber in diesem Falle wohl nicht verstehen. Copyright by patrick/Adobe Stock

Seit Januar 2019 gibt es die Brückenteilzeit. Diese Möglichkeit, die Arbeitszeit vorübergehend zu verringern, möchte ein Mitglied der IG BCE nutzen. Als alleinerziehender Vater zweier Kinder im Alter von fünf und sieben Jahren ist er an die Betreuungszeiten von Kindergarten und Schule gebunden.
Er beantragt deshalb, seine Arbeitszeit für fünf Jahre auf 25 Stunden pro Woche zu reduzieren und ihn in der Zeit von 8:00 bis 13:00 Uhr einzusetzen.
 

Der Arbeitgeber lehnt Antrag ab

Doch der Arbeitgeber, ein Unternehmen zur Entwicklung und Herstellung von Mineralsalzen, meint, das sei nicht möglich. Er verweist auf das Dreischichtsystem in der Produktion. Die Frühschicht beginnt um 06:00 und endet um 14:00 Uhr.
 
Es gibt Gespräche, der Betriebsrat bemüht sich um eine Einigung. Denn er sieht viele Möglichkeiten einer Beschäftigung in Teilzeit. Doch leider kommen von Seiten des Arbeitgebers nur Vorschläge, wie der Vater seiner Aufsichtspflicht entgehen soll, um weiter Vollzeit arbeiten zu können. Die Kinder könnten sich doch zwei Wecker stellen und selbständig aufstehen, sich versorgen und aus dem Haus gehen. Sicher fände sich doch eine Mutter, die die Kinder dann am Mittag aus den Einrichtungen abholen könne. Natürlich konnten solch unglaubliche Ideen den Konflikt nicht lösen.
 

DGB Rechtsschutz Lüneburg beantragt Erlass einer einstweiligen Verfügung

Der Vater klagt beim Arbeitsgericht Lüneburg. Gleichzeitig bemüht er sich weiter um eine Betreuung für seine Kinder und nimmt erstmal Urlaub. Für eine kurze Zeit hilft ein Au-Pair-Mädchen.
 
Die Zeit drängt. Da sich keine Lösung findet und eine Entscheidung im Klageverfahren erst Mitte Februar 2020 ergehen wird, hilft nur noch ein einstweiliges Verfügungsverfahren.
Vertreten wird der Kläger vom DGB Rechtsschutz Lüneburg. Dieser beantragt beim Arbeitsgericht, dem Arbeitgeber aufzugeben, den Vater bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren mit 25 Stunden in der Woche und einer Verteilung der Arbeitszeit auf fünf Tage in der Woche in der Zeit von 08:00 bis 13:00 Uhr zu beschäftigen.
 

Das Arbeitsgericht Lüneburg bejaht Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund

Vorläufigen Rechtsschutz können Gerichte nur gewähren, wenn die klagende Partei glaubhaft machen kann, dass der Anspruch (hier auf Teilzeit) besteht und Eile zur Abwehr wesentlicher Nachteile geboten ist.
 
Bei dem Anspruch aus § 9a Teilzeit- und Befristungsgesetz kommt es darauf an, ob betriebliche Gründe einer befristeten Teilzeit entgegenstehen. Solche Gründe konnte der Arbeitgeber im einstweiligen Verfahren nicht glaubhaft machen. Es gibt Bereiche in der Produktion, in denen unabhängig vom Dreischicht-System gearbeitet wird. Auch im Lager und in der Werkstatt gibt es unterschiedliche Regelungen zur Arbeitszeit.
Das Gericht ist deshalb überzeugt, dass in der Produktion eine Reihe von Tätigkeiten anfallen, die der Kläger auch in einer verkürzten Frühschicht sinnvoll erbringen könne. Eine Unterbrechung der Produktion oder gar Stillstände würden dabei nicht riskiert.
 

Aufsichtspflicht vs. Arbeitspflicht

Lebensnah sieht das Gericht eine Notlage des Klägers. Auf der einen Seite steht seine Verpflichtung, in der Zeit von 06:00 bis 14:00 Uhr zu arbeiten. Auf der anderen Seite steht seine Aufsichtspflicht gegenüber seinen Kindern, die aktuell nur von 7:30 bis 13:30 Uhr in Kindergarten und Schule betreut werden können. Das Gericht löst dieses Dilemma erfreulicherweise zu Gunsten des alleinerziehenden Vaters.
 
Arbeitnehmer*innen, die die notwendige Kinderbetreuung als Verfügungsgrund nennen, müssen zuvor alle zumutbaren Anstrengungen unternommen haben, die Betreuung sicherzustellen. Davon kann der Kläger das Arbeitsgericht Lüneburg überzeugen. Er hat keine Eltern vor Ort oder sonstige Personen, die ihn bei der Kinderbetreuung unterstützen. Die Mutter der Kinder hat die Familie verlassen.
 

Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Schön, wenn eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf mal keine leere Phrase ist. Wenn schon nicht der Arbeitgeber, so hat zumindest das Arbeitsgericht diese ernst genommen.
 
Hoffentlich wird es bei der Entscheidung bleiben. Aktuell beschäftigt sich das Landesarbeitsgericht Niedersachsen damit, da der Arbeitgeber das Urteil aus Lüneburg nicht akzeptiert hat.

 

UPDATE:

Beim Landesarbeitsgericht gab es im Januar 2020 eine Einigung über die reduzierte Arbeitszeit des Klägers. Mit einer wechselnden Wochenarbeitszeit von 35 und 32,5 Stunden kann er Arbeit und Familie nun hoffentlich vereinbaren. Dabei spielt eine Rolle, dass das Jugendamt die Mutter der Kinder nicht ganz aus ihren elterlichen Pflichten "entkommen" ließ.

 

 

 
LINKS:
 
Das vollständige Urteil des Arbeitsgerichts Lüneburg ist hier nachzulesen.

Lesen Sie über einen Fall, in dem wir eine befristete Teilzeit vor Gericht vereinbaren konnten.

Rechtliche Grundlagen

Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (TzBfG)

§ 9a Zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum verringert wird. Der begehrte Zeitraum muss mindestens ein Jahr und darf höchstens fünf Jahre betragen. Der Arbeitnehmer hat nur dann einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer beschäftigt.
(2) Der Arbeitgeber kann das Verlangen des Arbeitnehmers nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen; § 8 Absatz 4 gilt entsprechend. Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als 45, aber nicht mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt, kann das Verlangen eines Arbeitnehmers auch ablehnen, wenn zum Zeitpunkt des begehrten Beginns der verringerten Arbeitszeit bei einer Arbeitnehmerzahl von in der Regel
1. mehr als 45 bis 60 bereits mindestens vier,
2. mehr als 60 bis 75 bereits mindestens fünf,
3. mehr als 75 bis 90 bereits mindestens sechs,
4. mehr als 90 bis 105 bereits mindestens sieben,
5. mehr als 105 bis 120 bereits mindestens acht,
6. mehr als 120 bis 135 bereits mindestens neun,
7. mehr als 135 bis 150 bereits mindestens zehn,
8. mehr als 150 bis 165 bereits mindestens elf,
9. mehr als 165 bis 180 bereits mindestens zwölf,
10. mehr als 180 bis 195 bereits mindestens 13,
11. mehr als 195 bis 200 bereits mindestens 14
andere Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nach Absatz 1 verringert haben.
(3) Im Übrigen gilt für den Umfang der Verringerung der Arbeitszeit und für die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit § 8 Absatz 2 bis 5. Für den begehrten Zeitraum der Verringerung der Arbeitszeit sind § 8 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1, Absatz 4 sowie Absatz 5 Satz 1 und 2 entsprechend anzuwenden.
(4) Während der Dauer der zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit kann der Arbeitnehmer keine weitere Verringerung und keine Verlängerung seiner Arbeitszeit nach diesem Gesetz verlangen; § 9 findet keine Anwendung.
(5) Ein Arbeitnehmer, der nach einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit nach Absatz 1 zu seiner ursprünglichen vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zurückgekehrt ist, kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit nach diesem Gesetz frühestens ein Jahr nach der Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit verlangen. Für einen erneuten Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit nach berechtigter Ablehnung auf Grund entgegenstehender betrieblicher Gründe nach Absatz 2 Satz 1 gilt § 8 Absatz 6 entsprechend. Nach berechtigter Ablehnung auf Grund der Zumutbarkeitsregelung nach Absatz 2 Satz 2 kann der Arbeitnehmer frühestens nach Ablauf von einem Jahr nach der Ablehnung erneut eine Verringerung der Arbeitszeit verlangen.
(6) Durch Tarifvertrag kann der Rahmen für den Zeitraum der Arbeitszeitverringerung abweichend von Absatz 1 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers festgelegt werden.
(7) Bei der Anzahl der Arbeitnehmer nach Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 sind Personen in Berufsbildung nicht zu berücksichtigen.