Immer wieder freitags frei – das war der Wunsch des Klägers © Adobe Stock: photophonie
Immer wieder freitags frei – das war der Wunsch des Klägers © Adobe Stock: photophonie

Um fünf Stunden je Woche wollte der Kläger seine Arbeitszeit reduzieren. Auf sein Arbeitsverhältnis ist der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen (MTV) anwendbar, der eine 35-Stunden-Woche vorsieht.

 

30 statt 35 Stunden wollte der Kläger arbeiten

 

Dem Antrag des Klägers auf Reduzierung der Arbeitszeit verweigerte der Arbeitgeber sich, gestützt auf § 9a TzBfG. Danach kann der Arbeitgeber das Verlangen von Beschäftigten nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen. Der MTV trifft zu den möglichen Ablehnungsgründen ebenfalls eine Regelung und bezeichnet diese in § 7.3 MTV wie folgt:

 

„Stellt der Arbeitgeber fest, dass das entfallende Arbeitsvolumen voraussichtlich nicht mit der entsprechenden Qualifikation kompensiert werden kann, hat er das dem Beschäftigten zeitnah mitzuteilen. Auf Wunsch des Beschäftigten ist unter Hinzuziehung eines Betriebsratsmitglieds zu prüfen, ob die erwünschte Arbeitszeitverringerung zu einem späteren Zeitpunkt oder auf einem anderen vergleichbaren Arbeitsplatz möglich ist.

Wird hierbei keine Einigung erzielt, kann der Antrag abgelehnt werden.

Der Arbeitgeber kann den Antrag auch ablehnen, wenn und solange 10% der Beschäftigten des Betriebs von einer verkürzten Vollzeit Gebrauch machen oder wenn eine Gesamt-Überlastquote von 18 % der Beschäftigten mit einer individuellen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 35 Stunden überschritten wird.

Bei Anwendung von § 11.1 -.11.3 gilt eine Quote von 12 % für die Inanspruchnahme einer verkürzten Vollzeit.

Die Ablehnung ist dem Beschäftigten schriftlich spätestens sechs Wochen vor Beginn der verkürzten Vollzeit mitzuteilen.“

 

Die Beklagte hat ihre Produktion in zwei Bereiche gegliedert

 

Der vom DGB Rechtsschutzbüro Siegen vertretene Kläger arbeitet als Produktionshelfer und war zuletzt an einem Laser eingesetzt, den fast alle Mitarbeiter:innen des Betriebes benutzen können. Die Produktion ist in zwei Bereiche unterteilt, wobei in einem Bereich ohne konkrete Aufträge in hoher Zahl Produkte gefertigt werden, während der andere Bereich nur kleine Mengen der Produkte auf ausdrückliche Kundenbestellung hin herstellt.

 

In diesem zweiten Bereich, in dem der Kläger arbeitet, setzt das Unternehmen auf eine möglichst minimale Durchlaufzeit. Das erzielt sie durch flexible Mitarbeiter und hohe Reaktionsmöglichkeiten auf täglich schwankende Kundenbedarfe. Das Ziel des Arbeitgebers ist es, Kunden mit einer Durchlaufzeit von einem Tag zu beliefern.

 

Der Kläger beantragte im Februar 2022 die Reduzierung der Stundenzahl ab dem 1. September 2022 und hatte in diesem Antrag auch die genaue Lage der von ihm gewünschten Arbeitszeit von montags bis donnerstags mitgeteilt. Er erklärte sich außerdem dazu bereit, auch freitags zu arbeiten, wenn Notsituationen eintreten und Aufträge anders nicht zu schaffen sind.

 

2019 war der Kläger länger krank

 

Dem waren längere Fehlzeiten des Klägers im Jahr 2019 vorausgegangen. Die Beklagte hatte damals ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, das zahlreiche gesundheitliche Einschränkungen für mehrere Arbeitsplätze im Unternehmen ergab. Einzig die Montage war letztlich übrig geblieben. Im Anschluss an eine Wiedereingliederung hatte der Arbeitgeber dem Kläger die Möglichkeit gegeben, über einen Zeitraum von etwa drei Monaten noch bestehenden Urlaub in der Weise zu nehmen, dass der Kläger jeweils freitags von seiner Arbeitspflicht freigestellt war.

 

Die Beklagte lehnte den Antrag des Klägers auf Reduzierung der Arbeitszeit dennoch ab. Sie argumentierte, die tariflichen Voraussetzungen dafür seien nicht erfüllt. Zudem stünden dem betriebliche Gründe entgegen. Das Verlangen des Klägers sei bereits deshalb zurückzuweisen, da er entgegen der tariflichen Anordnung als Beginn seiner verkürzten Arbeitszeit einen anderen Termin als den Beginn eines Quartals benenne. Auch habe er nicht den Wunsch geäußert, den Betriebsrat hinzuzuziehen.

 

Im März 2022 sei zudem ein Gespräch mit dem Kläger durchgeführt worden. Dabei habe die Personalreferentin versucht, mit dem Kläger eine Einigung herbeizuführen, indem sie ihm die betrieblichen Gründe für die Ablehnung erläuterte. Sie habe dem Kläger auch vorgeschlagen, dass die Arbeitszeit durchaus mit kurzer Ankündigung in der Vorwoche auf vier Arbeitstage verteilt werden könne, wenn für die Beklagte absehbar sei, dass die Kapazitätsplanung und die betrieblichen Abläufe es erlaubten.

 

Das Gericht folgte der Rechtsauffassung der Beklagten nicht

 

Der Kläger könne seinen Anspruch auf das Teilzeit- und Befristungsgesetz stützen, entschied das Arbeitsgericht Siegen. Gemäß § 9a Abs. 2 TzBfG könne der Arbeitgeber das Verlangen von Beschäftigten nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen; ein betrieblicher Grund liege insbesondere vor, wenn die Verringerung der Arbeitszeit die Organisation, den Arbeitsablauf oder die Sicherheit im Betrieb wesentlich beeinträchtige oder unverhältnismäßige Kosten verursache. Einzelne Ablehnungsgründe könne auch ein Tarifvertrag festlegen.

 

Der Beklagten sei es nicht gelungen, betriebliche Gründe in diesem Sinne ausreichend vorzutragen. Erhebliche Beeinträchtigungen des betrieblichen Organisationskonzepts der Beklagten bzw. der zugrundeliegenden unternehmerischen Aufgabenstellung durch den zeitlich begrenzten Arbeitszeitwunsch des Klägers seien nicht zu erkennen.

 

Die Beklagte moniere lediglich, dass die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit das unternehmerische Konzept störe. Der Verringerung der Arbeitszeit des Klägers als solcher stünden keine Gründe entgegen. Das ergebe sich aus den Angaben der Beklagten im Verfahren.

 

Die Argumente der Beklagten waren nicht stichhaltig

 

So trage die Beklagte vor, dass sie in dem Arbeitsbereich, in dem der Kläger aus gesundheitlichen Gründen ausschließlich eingesetzt werden könne, aufgrund der dort betriebenen auftragsbezogenen Produktion einen Wegfall der Arbeitsleistung des Klägers an einem gesamten Werktag nicht kompensieren könne. Der Wegfall von Arbeitsleistung im Umfang jeweils einer Stunde an fünf Werktagen könne indes aufgefangen werden.

 

Neben dem Arbeitsbereich, in dem die Beklagte den Kläger einsetze, gebe es jedoch Produktionsbereiche, die auf Lager produzierten. Der Lagerbestand ermögliche einen flexibleren Einsatz der Beschäftigten, da die Reaktionszeit auf Aufträge länger sei. Dem Vortrag der Beklagten lasse sich nicht entnehmen, weshalb sie gehindert sei, an Freitagen regelmäßig oder im Bedarfsfall einen Arbeitnehmer aus demjenigen Produktionsbereich, der auf Lager produziert, mit den Aufgaben des Klägers zu betrauen.

 

Tarifverträge dürfen Sachverhalte näher regeln

 

Das Teilzeit- und Befristungsgesetz enthalte in § 9a eine Öffnungsklausel. Es könnten dabei aber nur Sachverhalte einer Ablehnung konkretisierend festgelegt werden. Die Voraussetzungen selbst, die die Rechtsprechung an einen Ablehnungsgrund zugelassen habe, dürften die Tarifvertragsparteien nicht herabsenken.

 

Einschlägige Tarifregelungen müssen daher einen für die betreffende Branche allgemein als Ablehnungsgrund geeigneten Sachverhalt beschreiben, der von „hinreichendem Gewicht" sei. Wenn eine Tarifregelung bestehe, dürfe der Arbeitgeber sich auf diese berufen, ohne nachweisen zu müssen, dass der betreffende Ablehnungsgrund im jeweiligen Fall, zum jeweiligen Zeitpunkt und im betreffenden Betrieb ganz konkret das „hinreichende Gewicht" einnehme, um das Teilzeitbegehren ablehnen zu dürfen.

 

Solche Gründe ergäben sich aus dem hier anwendbaren MTV nicht. Der Beklagten gelinge es gerade nicht darzulegen, dass sie das wegfallende Arbeitszeitvolumen nicht mit hinreichender Qualifikation kompensieren könne. Es sei deshalb letztlich ohne Belang, ob der MTV überhaupt dazu diene, Ablehnungsgründe festzulegen.

 

Die Öffnungsklausel bezieht sich auf den Rahmen des Teilzeitverlangens

 

Die tarifliche Regelung gemäß § 7 MTV schränke den Anwendungsbereich des gesetzlichen Anspruchs auf zeitlich begrenzte Teilzeit auch im Übrigen nicht ein. Es mangele an einer entsprechenden gesetzlichen Öffnungsklausel. § 9a Abs. 6 TzBfG lege lediglich fest, dass durch Tarifvertrag der Rahmen für den Zeitraum der Arbeitszeitverringerung auch zuungunsten des:der Beschäftigten festgelegt werden könne. Damit trete eine tarifliche Regelung, die einen solchen Rahmen vorgebe, aber nicht abschließend an die Stelle des gesetzlichen Anspruchs. Vielmehr gelte in dem Fall die gesetzliche Regelung mit dem tariflich modifizierten Rahmen.

 

Unabhängig von den gesetzlichen Regelungen bestehe natürlich die Möglichkeit, tariflich weitere Optionen zur Flexibilisierung der Arbeitszeit von Arbeitnehmer:innen vorzusehen. Hierdurch könne jedoch der gesetzliche Anspruch nicht in Gänze ausgeschlossen oder in anderer Weise modifiziert werden.

 

Daher müsse der gewünschte Beginn der verringerten Arbeitszeit nicht dem Beginn eines Quartals entsprechen.

 

Der Mitarbeiter kann nun in der gewünschten Weise weiter arbeiten.

 

 

Rechtliche Grundlagen

§ 9a TzBfG

(1) Ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat, kann verlangen, dass seine vertraglich vereinbarte Arbeitszeit für einen im Voraus zu bestimmenden Zeitraum verringert wird. Der begehrte Zeitraum muss mindestens ein Jahr und darf höchstens fünf Jahre betragen. Der Arbeitnehmer hat nur dann einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer beschäftigt.
(2) Der Arbeitgeber kann das Verlangen des Arbeitnehmers nach Verringerung der Arbeitszeit ablehnen, soweit betriebliche Gründe entgegenstehen; § 8 Absatz 4 gilt entsprechend. Ein Arbeitgeber, der in der Regel mehr als 45, aber nicht mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt, kann das Verlangen eines Arbeitnehmers auch ablehnen, wenn zum Zeitpunkt des begehrten Beginns der verringerten Arbeitszeit bei einer Arbeitnehmerzahl von in der Regel
1. mehr als 45 bis 60 bereits mindestens vier,
2. mehr als 60 bis 75 bereits mindestens fünf,
3. mehr als 75 bis 90 bereits mindestens sechs,
4. mehr als 90 bis 105 bereits mindestens sieben,
5. mehr als 105 bis 120 bereits mindestens acht,
6. mehr als 120 bis 135 bereits mindestens neun,
7. mehr als 135 bis 150 bereits mindestens zehn,
8. mehr als 150 bis 165 bereits mindestens elf,
9. mehr als 165 bis 180 bereits mindestens zwölf,
10. mehr als 180 bis 195 bereits mindestens 13,
11. mehr als 195 bis 200 bereits mindestens 14
andere Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit nach Absatz 1 verringert haben.
(3) Im Übrigen gilt für den Umfang der Verringerung der Arbeitszeit und für die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit § 8 Absatz 2 bis 5. Für den begehrten Zeitraum der Verringerung der Arbeitszeit sind § 8 Absatz 2 Satz 1, Absatz 3 Satz 1, Absatz 4 sowie Absatz 5 Satz 1 und 2 entsprechend anzuwenden.
(4) Während der Dauer der zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit kann der Arbeitnehmer keine weitere Verringerung und keine Verlängerung seiner Arbeitszeit nach diesem Gesetz verlangen; § 9 findet keine Anwendung.
(5) Ein Arbeitnehmer, der nach einer zeitlich begrenzten Verringerung der Arbeitszeit nach Absatz 1 zu seiner ursprünglichen vertraglich vereinbarten Arbeitszeit zurückgekehrt ist, kann eine erneute Verringerung der Arbeitszeit nach diesem Gesetz frühestens ein Jahr nach der Rückkehr zur ursprünglichen Arbeitszeit verlangen. Für einen erneuten Antrag auf Verringerung der Arbeitszeit nach berechtigter Ablehnung auf Grund entgegenstehender betrieblicher Gründe nach Absatz 2 Satz 1 gilt § 8 Absatz 6 entsprechend. Nach berechtigter Ablehnung auf Grund der Zumutbarkeitsregelung nach Absatz 2 Satz 2 kann der Arbeitnehmer frühestens nach Ablauf von einem Jahr nach der Ablehnung erneut eine Verringerung der Arbeitszeit verlangen.
(6) Durch Tarifvertrag kann der Rahmen für den Zeitraum der Arbeitszeitverringerung abweichend von Absatz 1 Satz 2 auch zuungunsten des Arbeitnehmers festgelegt werden.
(7) Bei der Anzahl der Arbeitnehmer nach Absatz 1 Satz 3 und Absatz 2 sind Personen in Berufsbildung nicht zu berücksichtigen.