Ob Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft vorliegt hängt auch davon ab, wie oft der Arbeitnehmer zum Dienst eilen muss. Copyright by Adobe Stock/ Robert Kneschke
Ob Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft vorliegt hängt auch davon ab, wie oft der Arbeitnehmer zum Dienst eilen muss. Copyright by Adobe Stock/ Robert Kneschke

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit der Frage zu beschäftigen, inwieweit Zeiten der Bereitschaft eines Arztes als Arbeitszeit zu werten sind. Und ob diese entsprechend bezahlt werden müssen.
 

Bei Organtransplantation muss es schnell gehen

Geklagt hatte ein Oberarzt, der über seine regelmäßige Arbeitszeit hinaus sogenannte »Hintergrunddienste« leistete. Diese bestehen im Wesentlichen darin, dass er telefonisch erreichbar sein muss, insbesondere um zu entscheiden, ob Spenderorgane angenommen werden.
 
Hierfür hatte er nach Vorgaben der zuständigen Stelle Eurotransplant 30 Minuten Zeit. In dieser Zeit musste er die mitgeteilten Daten bezüglich Spender, Organ, Patient und Dialysearzt prüfen, den/die in Frage kommende*n Patient*in sowie den/die zuständige*n Dialysemediziner*in anzurufen sowie gegenüber Eurotransplant zu erklären, ob er das Organspendeangebot annimmt. Diese Fragen konnte der Kläger von zu Hause aus klären, da er die erforderlichen Informationen einem Aktenordner entnehmen kann, den er immer bei sich haben musste.
 
Gelegentlich wurde der Oberarzt auch zu Einsätzen im Klinikum gerufen. Seine Arbeitgeberin hatte ihm weder vorgeschrieben, wo er sich während des Hintergrunddienstes aufhalten muss, noch, innerhalb welcher Zeit er im Klinikum zu erscheinen hat.
 
Er war der Meinung, ihm stehe eine Vergütung als Arbeitszeit und nicht lediglich als Rufbereitschaft zu. Er werde nicht nur in erheblichem Maße zur Arbeit herangezogen, sondern sei auch außerhalb der reinen Arbeitszeit in seinen Aktivitäten sehr eingeschränkt.
 

Rufbereitschaft nur, wenn in Ausnahmefällen Arbeit zu erwarten ist

Für das Arbeitsverhältnis gilt der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte). Dieser regelt unter anderem die Rufbereitschaft. Der Arbeitgeberdarf nur dann anordnen, dass sich Ärztinnen und Ärzte außerhalb der Arbeitszeit an einem bestimmten Ort aufhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen, wenn diese Arbeit erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen anfällt.
 
Für diese Zeiten sieht der TV-Ärzte eine pauschale Vergütung vor. Für Rufbereitschaft von mindestens zwölf Stunden besteht ein Anspruch auf den doppelten Stundenlohn, bei weniger als zwölf Stunden für jede angefangene Stunde 12,5 Prozent des Stundenlohns.
 
Die Differenz zwischen der Pauschalvergütung für Bereitschaftszeit und der vollen tariflichen Vergütung hatte der Oberarzt eingeklagt. Das Landesarbeitsgericht Köln hatte ihm Recht gegeben und ihm knapp 40.000 € für August 2017 bis Juni 2018 zugesprochen.
 

Rufbereitschaft hätte nicht angeordnet werden dürfen

Dieses Urteil hat das BAG aufgehoben. Der Arbeitseinsatz des Klägers übersteige zwar den im TV Ärzte vorgesehenen geringen Anteil zu erwartender Arbeit. Daraus folge aber nicht automatisch, dass diese Zeit voll vergütet werde.
 
Maßgeblich für die Frage, ob (grundsätzlich vergütungspflichtiger) Bereitschaftsdienst oder (nur beschränkt vergütungspflichtige) Rufbereitschaft vorliege, sei der Umfang der Aufenthaltsbeschränkung. Auch während der Rufbereitschaft dürfte sich der Arbeitnehmer nur so weit von dem Arbeitsort entfernen, dass er die Arbeit alsbald aufnehmen kann. Damit es sich um vollwertige Arbeitszeit handelt, bedürfe es einer zusätzlichen Beschränkung.
 
Zumindest Rufbereitschaft liegt nach Ansicht des BAG schon deshalb vor, weil der Kläger in dieser Zeit kurzfristig telefonisch erreichbar sein und erforderlichenfalls zeitnah in der Klinik erscheinen müsse.
 
Die Arbeit fiel aber nach den Feststellungen des Gerichts nicht nur in Ausnahmefällen an: Der Kläger sei in etwa der Hälfte der Hintergrunddienste zur Arbeit herangezogen worden, insgesamt habe er zu 4 Prozent aller Rufbereitschaftsstunden tatsächlich gearbeitet. Unerheblich sei, dass der Kläger nur an einem Viertel der Rufbereitschaftstage in der Klinik erschienen sei.
 

Dennoch keine Vergütung für den Oberarzt

Die Beklagte hätte nach Überzeugung des Gerichts also die vom Kläger geleisteten Hintergrunddienste nicht anordnen dürfen.
 
Dies führt nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht dazu, dass der Kläger eine höhere Vergütung erhält. Denn die Tarifvertragsparteien hätten bewusst für den Fall einer tarifwidrigen Anordnung von Rufbereitschaft keine höhere Vergütung vorgesehen. Wäre dies der Fall, so hätten sie im Tarifvertrag Arbeitsanteile für die jeweiligen Formen der Arbeitsbereitschaft festlegen müssen. Diesen Willen habe das Gericht respektiert.
 
Links
 
Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts

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Höchstarbeitszeit gilt auch bei gestückelten Verträgen

Das sagen wir dazu:

Ein spätestens im Ergebnis erstaunliches Urteil: Der Arbeitgeber hat den Oberarzt zwar entgegen den Vorschriften des Tarifvertrags beschäftigt – das sagt das BAG ganz deutlich – der Verstoß gegen die Vorschrift bleibt aber völlig folgenlos, weil die Tarifvertragsparteien nicht geregelt haben, was im Falle eines solchen Verstoßes gelten soll.

Gewerkschaften müssen sich auf das Urteil einstellen

Gewerkschaften müssen daher zukünftig darauf achten, ihre Tarifverträge mit entsprechenden Klauseln zu versehen. Aus diesen muss sich klar ergeben, dass immer dann, wenn eine Vorschrift unter bestimmten Voraussetzungen eine geringere Vergütung vorsieht, die volle Vergütung zu zahlen ist, wenn diese Voraussetzungen nicht vorliegen.

Eine solche Klausel in den Tarifvertrag hinein zu verhandeln dürfte allerdings nicht einfach sein, da die Arbeitgeberseite eine solche Belastung ihrer Mitglieder naturgemäß nur sehr ungern hinnehmen wird. Eventuell wird man dies mit einem Nachgeben an anderer Stelle erkaufen müssen, sofern man nicht auf eine solche Klausel verzichten mag.

Damit bringt das BAG die tarifschließenden Gewerkschaften in eine missliche Lage, die zudem vollkommen unnötig ist. Denn das BAG hätte keinesfalls bei der Erkenntnis stehen bleiben müssen, dass es im Tarifvertrag an einer Regelung fehlt.

Vergütung kann auch stillschweigend vereinbart sein

Denn in diesem Fall können Gerichte immer noch das Gesetz zu Rate ziehen, wie es etwa die Vorinstanz getan hat: Das LAG Köln hatte dem Arzt seine volle Vergütung zugesprochen und dies auf § 612 Abs. 1 und 2 BGB gestützt. Nach dieser Vorschrift gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Der Arbeitnehmer hat dann Anspruch auf die übliche Vergütung.

Das LAG kam, wie auch das BAG, zu dem Ergebnis, dass die Klinik tarifwidrige Dienste angeordnet hat. Da es für die ja unzweifelhaft geleistete Tätigkeit keine arbeitsvertragliche oder tarifvertraglichen Grundlage gab, greife § 612 BGB ein. Die Lösung der Vorinstanz ist damit überzeugender als die des BAG.

EuGH hat Recht der Arbeitnehmer bei Ruhezeit jüngst gestärkt

Zumal vor dem Hintergrund, dass der EuGH erst kürzlich noch mal in zwei Entscheidungen deutlich gemacht hat, dass es für Arbeitnehmer*innen nur zwei „Aggregatzustände“ gibt, nämlich „Arbeitszeit“ und „Ruhezeit“(s.o.).

Auch wenn dieser Fall den EuGH nicht erreichen wird, weil er für Fragen der Vergütung der Arbeitszeit nicht zuständig ist, widerspricht es doch dem Geist dieser Entscheidungen, dass eine Zeit, die jedenfalls keine „Ruhezeit“ ist, nicht vergütet werden soll.

Rechtliche Grundlagen

§§ 7, 9 TV Ärzte

§ 7 Sonderformen der Arbeit

[…]

(6) 1Die Ärztin/Der Arzt hat sich auf Anordnung des Arbeitgebers außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit an einer dem Arbeitgeber anzuzeigenden Stelle aufzuhalten, um auf Abruf die Arbeit aufzunehmen (Rufbereitschaft). 2Der Arbeitgeber darf Rufbereitschaft nur anordnen, wenn erfahrungsgemäß lediglich in Ausnahmefällen Arbeit anfällt. 3Rufbereitschaft wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass Ärzte vom Arbeitgeber mit einem Mobiltelefon oder einem vergleichbaren technischen Hilfsmittel ausgestattet sind. 4Durch tatsächliche Arbeitsleistung innerhalb der Rufbereitschaft kann die tägliche Höchstarbeitszeit von zehn Stunden überschritten werden (§§ 3, 7 Absatz 1 Nr. 1 und Nr. 4 Arbeitszeitgesetz).

§ 9 Ausgleich für Rufbereitschaft und Bereitschaftsdienst

(1) 1Für die Rufbereitschaft wird eine tägliche Pauschale je Entgeltgruppe gezahlt. 2Für eine Rufbereitschaft von mindestens zwölf Stunden wird für die Tage Montag bis Freitag das Zweifache, für Samstag, Sonntag sowie für Feiertage das Vierfache des tariflichen Stundenentgelts der jeweiligen Entgeltgruppe und Stufe (individuelles Stundenentgelt) gezahlt. 3Maßgebend für die Bemessung der Pauschale nach Satz 2 ist der Tag, an dem die Rufbereitschaft beginnt. 4Für Rufbereitschaften von weniger als zwölf Stunden werden für jede angefangene Stunde 12,5 v.H. des individuellen Stundenentgelts nach der Entgelttabelle gezahlt. 5Hinsichtlich der Arbeitsleistung wird jede einzelne Inanspruchnahme innerhalb der Rufbereitschaft mit einem Einsatz im Krankenhaus einschließlich der hierfür erforderlichen Wegezeiten auf eine volle Stunde gerundet. 6Für die Inanspruchnahme wird das Entgelt für Überstunden sowie etwaiger Zeitzuschläge bezahlt. 7Für die Zeit der Rufbereitschaft werden Zeitzuschläge nicht gezahlt.