Widerspruchsfrist gegen Betriebsübergang nicht abgelaufen, aber Wide
Widerspruchsfrist gegen Betriebsübergang nicht abgelaufen, aber Wide

Mit Urteil vom 07.10.2016 hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamburg entschieden, dass die Widerspruchsfrist eines Arbeitnehmers gegen einen Betriebsübergang nicht
in Gang gesetzt wird, wenn das Unterrichtungsschreiben nicht den gesetzlichen Anforderungen genügt.

Da das Unterrichtungsschreiben nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprach, wäre ein Widerspruch gegen den Betriebsübergang grundsätzlich erfolgreich gewesen. Da der Kläger jedoch seit annährend neun Jahren bei der Betriebsübernehmerin tätig war, war das Widerspruchsrecht des Klägers verwirkt.

Fehlerhafte Information über Betriebsübergang im Jahr 2005

Der Kläger war seit 1979 bei der Beklagten beschäftigt. Mit Wirkung zum 01. Januar 2006 kam es aufgrund von Umstrukturierungen des Konzerns zu einem Betriebsübergang, von welchem auch das Arbeitsverhältnis des Klägers betroffen war.
Mit Schreiben vom 14. November 2005 wurde der Kläger über den Betriebsübergang schriftlich informiert. Aus dem Informationsschreiben ergaben sich weder Angaben zum Sitz des Betriebserwerbers und seiner Anschrift noch zum zuständigen Registergericht und zu der Registernummer.
Auch wurde bei den Angaben zu den Haftungsfolgen die eingeschränkte Haftung der Beklagten nicht erwähnt.

Widerspruch des Klägers gegen Betriebsübergang 2014

Erst mit Schreiben vom 01. August 2014 widersprach der Kläger, der mittlerweile acht Jahre und zehn Monate bei dem Betriebserwerber beschäftigt war, dem Betriebsübergang mit Verweis auf das fehlerhafte Informationsschreiben.
Mit Urteil vom 16. März 2016 folgte des Arbeitsgericht Hamburg der Rechtsauffassung des Klägers und gab der Klage statt. Die gegen die erstinstanzliche Entscheidung eingelegte Berufung der Beklagten war erfolgreich. Das Hamburger LAG kam zu dem Ergebnis, dass die Klage unbegründet sei.

Widerspruchsrecht nicht verfristet aber verwirkt

In seinen Entscheidungsgründen führt das LAG aus, dass das Unterrichtungsschreiben über den Betriebsübergang vom 14. November 2005 nicht den gesetzlichen Anforderungen entspreche, so dass die einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt wurde und das Widerspruchsrecht des Klägers daher auch zum Zeitpunkt seines Widerspruchs nicht verfristet war. Die Ausübung des Widerspruchsrecht sei jedoch verwirkt.

Die Anwendung der Grundsätze der Verwirkung sind nicht durch die gesetzliche Widerspruchsfrist ausgeschlossen, denn jedes Recht kann nur unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben ausgeübt werden. Demnach bleibt das Widerspruchsrecht den Arbeitnehmern nicht unbegrenzt, sondern nur so lange erhalten, wie es für eine effektive und verhältnismäßige Sanktionierung des Unterrichtungsfehlers geboten ist.

Mit der Verwirkung, die ein Sonderfall der unzulässigen Rechtsausübung darstellt, soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten ausgeschlossen werden. Da der Kläger für den Betriebsübernehmer fast neun Jahre tätig war, ist das Zeitmoment sehr deutlich ausgeprägt. Das Umstandsmoment sei nach Ansicht des LAG insbesondere auch dadurch erfüllt, dass der Kläger 2011 eine Versetzung durch den neuen Betriebserwerber akzeptierte. Der Beklagte durfte davon ausgehen, dass der Kläger seinen Widerspruch nicht mehr ausübt.

Revision zugelassen

Da die Entscheidung des LAG Hamburg von der Entscheidung des LAG Thüringen vom 9. August 2016 (1 Sa 21/16) in einem Parallelfall insoweit abweicht, als es anders als das LAG Thüringen „reaktive“ Verhaltensweisen des Klägers im laufenden Arbeitsverhältnis ausreichen lässt, um das Umstandsmoment anzunehmen, wurde die Revision zugelassen. Es bleibt nunmehr abzuwarten in welcher Weise das Bundesarbeitsgericht die Sache entscheidet.
Hier finden Sie das vollständige Urteil des LAG Hamburg vom 07.10.2016:
Hier geht es zum Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 23.7.2009 - 8 AZR 538/08 (wird als PDF Datei angehängt)

Das sagen wir dazu:

Wenn Arbeitnehmer*innen mit einem Betriebsübergang nicht einverstanden sind, haben sie das Recht, binnen eines Monats dem Betriebsübergang zu widersprechen.
Wenn das Unterrichtsschreiben unvollständig oder falsch ist, wird die Monatsfrist jedoch nicht in Gang gesetzt. 

 

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kann der Widerspruch auch noch längere Zeit nach Ablauf der einmonatigen Frist erklärt werden (BAG vom 23.7.2009 - 8 AZR 538/08). Seine Grenze findet das Widerspruchsrecht jedoch in der Verwirkung.

Um die Verwirkung eines Rechts anzunehmen, bedarf es dreier Voraussetzungen:

  • Zeitmoment: Seit der Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, muss ein längerer Zeitraum verstrichen sein. Was ein „längerer Zeitraum“ ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Mit anderen Worten, das Zeitmoment beginnt - da keine sonderlich hohen Anforderungen diesbezüglich bestehen - wenn der Berechtigte von den Umständen Kenntnis erlangt, die seinen Anspruch begründen.
  • Umstandsmoment: Der Verpflichtete hat sich darauf eingestellt und durfte sich darauf einstellen, der Berechtigte werde aufgrund des geschaffenen Vertrauenstatbestandes sein Recht nicht mehr geltend machen. Das Umstandsmoment liegt mithin vor, wenn der Berechtigte unter solchen Umständen untätig geblieben ist, die den Eindruck erwecken, dass er sein Recht nicht mehr geltend machen wird.
  • Untätigsein: des Berechtigten bezüglich der Durchsetzung des Rechts.

Das Umstandsmoment liegt vor, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde.

 

Man darf gespannt sein, ob das BAG die Entscheidung des Hessischen LAG zugunsten des Klägers aufheben wird. Für den Kläger wäre es sicherlich wünschenswert, doch dürfte es nicht einfach sein, die hohe Hürde der Verwirkung aus dem Weg zu räumen.

Rechtliche Grundlagen

§§ 613a und 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 613a Rechte und Pflichten bei Betriebsübergang

(1) Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft auf einen anderen Inhaber über, so tritt dieser in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Sind diese Rechte und Pflichten durch Rechtsnormen eines Tarifvertrags oder durch eine Betriebsvereinbarung geregelt, so werden sie Inhalt des Arbeitsverhältnisses zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer und dürfen nicht vor Ablauf eines Jahres nach dem Zeitpunkt des Übergangs zum Nachteil des Arbeitnehmers geändert werden. Satz 2 gilt nicht, wenn die Rechte und Pflichten bei dem neuen Inhaber durch Rechtsnormen eines anderen Tarifvertrags oder durch eine andere Betriebsvereinbarung geregelt werden. Vor Ablauf der Frist nach Satz 2 können die Rechte und Pflichten geändert werden, wenn der Tarifvertrag oder die Betriebsvereinbarung nicht mehr gilt oder bei fehlender beiderseitiger Tarifgebundenheit im Geltungsbereich eines anderen Tarifvertrags dessen Anwendung zwischen dem neuen Inhaber und dem Arbeitnehmer vereinbart wird.

(2) Der bisherige Arbeitgeber haftet neben dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach Absatz 1, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach diesem Zeitpunkt fällig werden, als Gesamtschuldner. Werden solche Verpflichtungen nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie jedoch nur in dem Umfang, der dem im Zeitpunkt des Übergangs abgelaufenen Teil ihres Bemessungszeitraums entspricht.

(3) Absatz 2 gilt nicht, wenn eine juristische Person oder eine Personenhandelsgesellschaft durch Umwandlung erlischt.

(4) Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers durch den bisherigen Arbeitgeber oder durch den neuen Inhaber wegen des Übergangs eines Betriebs oder eines Betriebsteils ist unwirksam. Das Recht zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus anderen Gründen bleibt unberührt.
(5) Der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber hat die von einem Übergang betroffenen Arbeitnehmer vor dem Übergang in Textform zu unterrichten über:
1. den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
2. den Grund für den Übergang,
3. die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
4. die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.

(6) Der Arbeitnehmer kann dem Übergang des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Monats nach Zugang der Unterrichtung nach Absatz 5 schriftlich widersprechen. Der Widerspruch kann gegenüber dem bisherigen Arbeitgeber oder dem neuen Inhaber erklärt werden.



§ 242 BGB

Leistung nach Treu und Glauben

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern