Wirksame Anfechtung eines Ausbildungsvertrags? Copyright by Adobe Stock/andyller
Wirksame Anfechtung eines Ausbildungsvertrags? Copyright by Adobe Stock/andyller

Der seit August 2018 in einem Berufsausbildungsverhältnis zur Fachkraft für Lagerlogistik stehende Kläger hatte im Rahmen seiner Ausbildung Zugriff auf verschiedene hochwertige Vermögensgüter der Arbeitgeberin.
Im Rahmen des Einstellungsverfahrens wurde er gefragt, ob gegen ihn "gerichtliche Verurteilungen vorliegen oder schwebende Verfahren" anhängig seien. Die Frage war mit  "Nein" oder "Ja" zu beantworten.
Obwohl  ein Strafverfahren wegen Raubes gegen den Auszubildenden lief, kreuzte er die Frage mit "Nein" an. Als er in dem Verfahren zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, informierte der Auszubildende seine Arbeitgeberin. Diese reagierte damit, den Ausbildungsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten. Hieraufhin erhob der Auszubildende Klage und beantragte festzustellen, dass das Ausbildungsverhältnis nicht beendet sei.
 

Anfechtung wegen arglistiger Täuschung geht ins Leere

Das Arbeitsgericht Bonn folgte der Rechtsauffassung des Klägers und entschied zu dessen Gunsten.
Ein Recht zur Anfechtung, so die Bonner Arbeitsrichter*innen, des Ausbildungsvertrags wegen arglistiger Täuschung habe nicht bestanden. Denn in der unzutreffenden Beantwortung der Frage zu "gerichtliche Verurteilungen/schwebende Verfahren" liege keine arglistige Täuschung.
 

Frage nach "gerichtliche Verurteilungen/schwebende Verfahren" unzulässig

Nach Auffassung des Gerichts, sei die gestellte Frage zu weitgehend und damit unzulässig. Nicht jede denkbare Straftat begründe Zweifel an der Eignung für die Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik. Die wahrheitswidrige Beantwortung der im Einstellungsverfahren gestellten unzulässigen Frage stelle daher keine arglistige Täuschung dar. Für zulässig erachtete das Gericht jedoch nach Strafverfahren wegen Vermögensdelikte zu fragen.
 

Keine Pflicht des Auszubildenden sich zu offenbaren

Auch sei der Kläger nicht verpflichtet gewesen, das Strafverfahrens wegen Raubes zu offenbaren. Allein daraus, dass er im Rahmen der Ausbildung auch Zugriff auf hochwertige Vermögensgegenstände der Arbeitgeberin habe, lasse sich kein Zweifel an der Eignung für den Ausbildungsplatz begründen. Nahezu jeder Arbeitnehmer oder Auszubildende, so das Gericht, erhalte Zugriff auf hochwertige Vermögensgegenstände des Arbeitgebers.
Hier geht es zur Entscheidung des Bonner Arbeitsgerichts vom 20.5.20200
Für Interessierte: Bundesarbeitsgericht  zum Thema: „Anfechtung  - ordentliche Kündigung“, Urteil vom 20.3 2014, Az: 2 AZR 1071/12

Das sagen wir dazu:

Der Entscheidung des Bonner Arbeitsgerichts ist im Ergebnis zuzustimmen.

Aus dem für den Auszubildenden positiv verlaufenen Verfahren kann aber nicht abgeleitet werden, dass man im Rahmen des Einstellungsverfahrens jedwede Frage verneinend beantworten kann, ohne Gefahr zu laufen, dass es zu einer Kündigung oder Anfechtung des Ausbildungs- oder Arbeitsvertrags kommt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kann die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der Einstellung zulässigerweise gestellten Frage den Arbeitgeber nach § 123 Abs. 1 BGB dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn die Täuschung für dessen Abschluss ursächlich war.
Unspezifische Fragen nach Ermittlungs- und Strafverfahren jedweder Art, so wie in dem vom Bonner Arbeitsgericht entschiedenen Fall, an einen Bewerber, stellen sich jedoch regelmäßig als unzulässig dar, weil sie das Geheimhaltungsinteresse des Bewerbers nicht berücksichtigen. 

Eine Pflicht zur ungefragten Offenbarung von Umständen (hier in Gestalt schwebender Verfahren) kommt nur in Betracht, wenn die Umstände dem Bewerber die Erfüllung seiner vorgesehenen vertraglichen Leistungspflicht von vornherein unmöglich machen oder seine Eignung für den in Aussicht genommenen Arbeits- oder Ausbildungsplatz entscheidend berühren. 

Wäre der Auszubildende im Rahmen des Einstellungsverfahrens konkret nach Strafverfahren wegen Vermögensdelikten gefragt worden und hätte er eine solche Frage mit "Nein" beantwortet, ist anzunehmen, dass das Ausbildungsverhältnis durch eine Anfechtung sein Ende gefunden hätte.

Rechtliche Grundlagen

§ 123 Abs. 1 BGB

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
§ 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung

(1) Wer zur Abgabe einer Willenserklärung durch arglistige Täuschung oder widerrechtlich durch Drohung bestimmt worden ist, kann die Erklärung anfechten.