Mit einem äußerst dreisten Fall einer sogenannten unbilligen Weisung hatte das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg kürzlich zu tun.
Arbeitsvertrag enthält Versetzungsklausel
Der Kläger, seines Zeichens gelernter Pferdewirt, ist seit August 2016 bei der Beklagten, einem Logistik-Unternehmen in Zossen, Brandenburg, als Lagerarbeiter beschäftigt. Der Arbeitsweg beträgt für den Kläger sechs Kilometer, die Strecke bewältigt der Kläger in rund sechs Minuten.
Der Kläger betreibt neben seiner Tätigkeit für die Beklagte privat einen eigenen Hof mit zehn Pferden, um die er sich selbst kümmert.
Der Arbeitsvertrag des Klägers enthält folgende Regelung zu Tätigkeit und Arbeitsort:
„Der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer entsprechend seinen Leistungen und Fähigkeiten mit einer anderen im Interesse des Arbeitgebers liegenden gleichwertigen Aufgabe betrauen, an einen anderen Ort sowie vorübergehend auch bei einem anderen Konzernunternehmen einsetzen“
Versetzung, als Kündigung scheitert
Als die Beklagte den Kläger kündigte, wehrte sich dieser, so dass die Beklagte die Kündigung im Rahmen der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Potsdam zurücknahm.
Allerdings forderte die Beklagte den Kläger sodann auf, sich am nächsten Tag um 7:00 Uhr morgens in ihrer Niederlassung in Dresden zu melden. Die Niederlassung Dresden befindet sich rund 170 Kilometer entfernt von Zossen, dem bisherigen Arbeitsort des Klägers.
Bei guter Verkehrslage ist es möglich, die einfache Strecke mit dem Auto in gut eineinhalb Stunden zu bewältigen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln beträgt die Fahrtzeit allerdings rund fünf Stunden. Der Kläger verfügte zum Zeitpunkt der Versetzungsmitteilung nicht über eine Fahrerlaubnis. Seinen Führerschein hatte der Kläger wegen eines Verkehrsdelikts abgeben müssen.
Kläger ignoriert Versetzung und erhält erneut Kündigung
Der Kläger erschien am nächsten Tag nicht in der Niederlassung Dresden, sondern wie üblich im Betrieb der Beklagten in Zossen. Die Beklagte erteilte dem Kläger daher eine Abmahnung. Damit verbunden war die erneute Aufforderung, in Dresden die Arbeit anzutreten.
Da die Beklagte dem Kläger am gleichen Tag keine Arbeit mehr zuwies, ging er nach Hause. Dies hatte eine zweite Abmahnung für den Kläger zur Folge. Auch am nächsten Tag erschien der Kläger nicht in der Niederlassung in Dresden.
Die Beklagte kündigte daher das Arbeitsverhältnis. Der Kläger verweigere unberechtigt seine Arbeitsleistung. Die Regelung im Arbeitsvertrag ermögliche ihr eine Versetzung nach Dresden. Dort werde der Kläger als deutschsprachiger Lagerarbeiter dringend benötigt. Demgegenüber seien in Zossen alle Stellen besetzt.
Arbeitsgericht und LAG geben Kläger recht:
Der Kläger erhob Kündigungsschutzklage. Er vertrat die Auffassung, die Klausel im Arbeitsvertrag sei nicht wirksam. Er könne in Anbetracht des von ihm zu versorgenden Hofes mit zehn Pferden nicht plötzlich nach Dresden zur Arbeit fahren.
Außerdem sei ihm dies mit dem Auto nicht möglich, da er derzeit nicht über eine Fahrerlaubnis verfüge. Der Kläger hatte in der ersten Instanz vor dem Arbeitsgericht Potsdam und auch nun im Berufungsverfahren vor dem LAG Erfolg.
Hintergrund: Das Weisungsrecht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber hat im Rahmen des Direktionsrechtes eine Weisungsbefugnis gegenüber dem Arbeitnehmer. Durch das Direktionsrecht gibt der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer konkrete Arbeitsanweisungen. So bestimmt der Arbeitgeber etwa den Ort, an welchem sein Arbeitnehmer die Arbeitsleistung zu erbringen hat.
Allerdings: Das Direktionsrecht hat keine grenzenlose Geltung. Es finden sich etwa Grenzen im Arbeitsvertrag oder in einen anwendbaren Tarifvertrag. Eine Beschränkung des Weisungsrechts dergestalt, dass der Kläger nur in einem bestimmten Gebiet, insbesondere am Heimatort, eingesetzt werden kann, enthält der Arbeitsvertrag des Klägers nicht.
Aber das Weisungsrecht aufgrund des Arbeitsvertrages hat auch seine Grenze. Arbeitgeber müssen Weisungen nach „billigem Ermessen“ ausüben, also die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtigten und mit seinen eigenen abwägen.
Das LAG macht deutliche Ausführungen dazu, was von der Beklagten bei der Versetzung beachtet werden muss: Übliche Kriterien sind etwa Vor-und Nachteile jenseits des Arbeitsverhältnisses, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Arbeitnehmers und die sozialen Lebensverhältnisse sowie familiäre Pflichten.
Weisung „aus dem Nichts“
Diese Grundsätze wendet das LAG konsequent an und sieht im vorliegenden Fall keine wirksame Versetzung. Die Strecke nach Dresden sei dem Kläger schlicht nicht zumutbar.
Hier spielte die Bewirtung seines Hofes jenseits seiner Tätigkeit für die Beklagte eine Rolle - diese war der Beklagten auch bekannt. Zudem verfüge der Kläger derzeit nicht über eine Fahrerlaubnis. Er müsse öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen und es wäre ihm gar nicht möglich gewesen, am Tag nach der Gerichtsverhandlung wegen der ersten Kündigung um 7:00 Uhr in Dresden die Arbeit anzutreten.
Klare Worte findet das LAG, was das Verhalten der Beklagten angeht: Von „Rechtsmissbrauch“ und „Disziplinierung“ ist hier die Rede. Demgegenüber war die Beklagte recht wortkarg, als es um die Darlegung der betrieblichen Notwendigkeit für die Versetzung ging. Diesbezüglich vernahm das LAG lediglich die pauschale Behauptung, in der Niederlassung Dresden würde ein deutschsprachiger Lagerarbeiter gebraucht.
Nach früherer Rechtsprechung musste ein Arbeitnehmer einer unwirksamen Versetzung Folge leisten, bis ihre Unwirksamkeit vom Gericht festgestellt wurde. Die neue Rechtsprechung des 10. Senats des BAG sieht dies anders. Eine unwirksame Versetzung muss ein Arbeitnehmer überhaupt nicht, auch nicht vorläufig, beachten. Dieser Rechtsprechung folgt das LAG hier.
Das sagen wir dazu:
Das Verhalten der Beklagten kann man nur als peinlich bezeichnen. Die Versetzung war die Quittung für den verlorenen Prozess. Das Verhalten der Beklagten ist leider kein Einzelfall. Allzu oft zeigen sich Arbeitgeber als schlechte Verlierer. Statt nach einem verlorenen Prozess wieder Frieden einkehren zu lassen, versuchen Arbeitgeber lieber den Arbeitnehmer rauszuekeln.
Dies erscheint vor dem Hintergrund des von Arbeitgeberseite stets beklagten Fachkräftemangels reichlich seltsam.
Je weiter das Direktionsrecht, desto höher die Vergleichbarkeit
Im vorliegenden Fall ist auch das Wort „Rechtsmissbrauch“, welches das LAG Berlin – Brandenburg benutzt, durchaus nicht fehl am Platze.
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers ist grundsätzlich weit gefasst. Je weniger der Arbeitsvertrag regelt, umso weiter ist das Direktionsrecht des Arbeitgebers. So war es der Beklagten im vorliegenden Fall aufgrund der arbeitsvertraglichen Regelung an sich möglich, den Kläger an jeden Ort in der Bundesrepublik zu versetzen, vorbehaltlich der Abwägung der gegenseitigen Interessen.
Dies hat im Grunde auch Vorteile für Arbeitnehmer: Je „grobmaschiger“ das Direktionsrecht im Arbeitsvertrag formuliert ist, desto höher ist die Vergleichbarkeit des Arbeitnehmers im Falle der Sozialauswahl im Rahmen einer betriebsbedingten Kündigung.
Landesarbeitsgericht setzt neue Rechtsprechung um
Umso verwerflicher ist es, wenn ein Arbeitgeber sein Weisungsrecht missbraucht, um den Arbeitnehmer zu schikanieren. Hier soll dann die Macht des Faktischen helfen, der Arbeitnehmer soll aus Angst vor einer Kündigung „gehorchen“ und die Versetzung akzeptieren.
Zu begrüßen ist auch, dass das LAG bereits auf die neuere Rechtsprechung des BAG zu unbilligen Weisungen Bezug nimmt. Hier ist das letzte Wort noch nicht gesprochen, welche Linie das BAG in Zukunft konsequent verfolgen wird, bleibt abzuwarten.
Jedenfalls hilft die neuere Rechtsprechung dem früheren Missstand ab, wonach Arbeitnehmer vorläufig eine unbillige Weisung befolgen mussten, solange bis ein Arbeitsgericht die Unwirksamkeit der Versetzung feststellte. In der Zwischenzeit war der Arbeitnehmer mithin erstmal mit der unzumutbaren Weisung konfrontiert.
Das sagen wir dazu