Weiterbeschäftigung trotz Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Weiterbeschäftigung trotz Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Arbeitnehmer*innen des öffentlichen Dienstes können nach Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit die Weiterbeschäftigung beantragen. Unabhängig hiervon steht Schwerbehinderten ein Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung zu. Darüber hinaus kann jeder Beschäftigte vom Arbeitgeber die Prüfung der Möglichkeit der Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens verlangen.

Anspruch auf Weiterbeschäftigung wegen Fristversäumnis nicht durchsetzbar!

Die Klägerin ist bei der beklagten Stadt in Teilzeit als Schulhausmeisterin beschäftigt. Mit Bescheid vom 11.06.2013 wurde ihr eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 364,24 Euro monatlich bewilligt. Diese Rente war befristet bis zum 30.06.2015. 


Die Klägerin versäumte, innerhalb der tarifvertraglich vorgegebenen Frist von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids, ihre Weiterbeschäftigung bei der beklagten Stadt zu beantragen.


Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis in der Zeit vom 01.07.2013 bis zum 30.6.2015 nicht geruht habe. Das Arbeitsgericht und auch das Landesarbeitsgericht wiesen die Klage ab. Die Revision der Klägerin beim Bundesarbeitsgericht war erfolglos. 

Bundesarbeitsgericht weist darauf hin, dass weitere Möglichkeiten einer Weiterbeschäftigung bestehen

Das Bundesarbeitsgericht kam in seiner Entscheidung vom 17.03.2016 zu dem Ergebnis dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin im streitigen Zeitraum geruht habe. Das ergebe sich aus § 33 TVöD, wonach das Arbeitsverhältnis ab dem Monat nach Zustellung des Rentenbescheids ruht, wenn dem Beschäftigten Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit bewilligt wird - und zwar unabhängig von der Höhe der Rente.


Wenn nur eine teilweise Erwerbsminderung vorliegt, ist der/die Beschäftigte unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts noch in der Lage, zwischen drei und sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. In diesem Fall kann zur Vermeidung des Ruhens des Arbeitsverhältnisses, die Weiterbeschäftigung beantragt werden. 


Der Antrag hat schriftlich und innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids zu erfolgen. Eine Ablehnung des Antrags ist dem Arbeitgeber nur dann möglich, wenn dringende betriebliche Gründe der Weiterbeschäftigung entgegenstehen.


Die gesetzlich garantierten Rechte schwerbehinderter Menschen können durch tarifvertragliche Bestimmungen nicht verkürzt werden. Dieser Personenkreis kann darum unabhängig von der im TVöD  angeordneten Form und Frist eine behinderungsgerechte Beschäftigung verlangen. Darüber hinaus kann jeder Beschäftigte auch während des Ruhens des Arbeitsverhältnisses vom Arbeitgeber die Prüfung der Möglichkeit der Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens verlangen.


§ 33 TVöD schränkt die Möglichkeit des Beschäftigten, der eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bezieht, durch die Fortsetzung des aktiven Arbeitsverhältnisses sein Einkommen zu sichern, nicht so stark ein, dass die durch Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz (GG) gewährleistete Berufsfreiheit verletzt wird.


Da die Klägerin weder einen fristgerechten Antrag nach § 33 Abs. 3 TVöD gestellt noch Weiterbeschäftigung als schwerbehinderter Mensch gemäß § 81 SGB IX bzw. nach § 241 Abs. 2 BGB verlangt hat, war die Klage abzuweisen.


Anmerkung:

Dumm gelaufen!

Arbeitnehmer*innen des Öffentlichen Dienstes, bei denen der Rentenversicherungsträger eine teilweise Erwerbsminderung festgestellt hat und denen eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt wurde, haben die Möglichkeit, im Rahmen eines begrenzten Stundenumfangs, die Weiterbeschäftigung zu beantragen. Der Antrag hat nach den tariflichen Bestimmungen innerhalb von zwei Wochen nach Zugang des Rentenbescheids zu erfolgen. 

Bundesarbeitsgericht „kippt“ die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 TVöD

Mit Urteil vom 23.07.2014 hat das Bundesarbeitsgericht (Az: 7 AZR 771/12) jedoch die Zweiwochenfrist „gekippt“. Aus verfassungsrechtlichen Gründen entwickelte der 7. Senat seine Rechtsprechung dahin weiter, dass die Zweiwochenfrist des § 33 Abs. 3 TVöD nicht bereits mit dem Zugang des Rentenbescheids an den Arbeitnehmer, sondern erst mit dem Zugang der daran anknüpfenden Mitteilung des Arbeitgebers, das Arbeitsverhältnis ende aufgrund des Rentenbescheids, in Lauf gesetzt wird. 


Ein solches Verständnis, so die Richter*innen des 7. Senats, gebieten die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Arbeitnehmers an einen effektiven Bestandsschutz. Mit Rundschreiben vom 21.04.2015 weist das Bundesinnenministerium auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 23.07.2014 die Obersten Bundesbehörden sowie Vereinigungen und Verbände hin und bittet darum, die Fristberechnung im Sinne der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vorzunehmen.


Die in dem vom Bundesarbeitsgericht am 17.03.2016 entschiedenen Fall betroffene Klägerin versäumte, überhaupt einen Antrag auf Weiterbeschäftigung zu stellen, sodass allein aus diesem Grund die Klage keinen Erfolg haben konnte. 


Da jeder Beschäftigte nach § 241 Abs. 2 BGB vom Arbeitgeber die Prüfung der Möglichkeit der Beschäftigung unter Berücksichtigung seines verbliebenen Leistungsvermögens verlangen kann, erstaunt es, dass die Klägerin nicht spätestens, nachdem die für sie negative erstinstanzliche Entscheidung bekannt war, hiervon keinen Gebrauch gemacht hat. 


Wie sich aus der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts ergibt, hat es sich bei der Klägerin um eine anerkannte Schwerbehinderte gehandelt, sodass es ihr auch möglich gewesen wäre, unter Hinweis auf die Bestimmungen des SGB IX die Weiterbeschäftigung zu beantragen. Warum hiervon und von der Möglichkeit aus dem BGB kein Gebrauch gemacht wurde, bleibt für den Autor ein Rätsel.

Ergebnis: Dumm gelaufen!

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 13/16 vom 17.03.2016:

Vollständiges Urteil des Bundesarbeitsgericht vom 23.07.2014, Az: 7 AZR 771/12:

Auszug aus dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD): § 33 Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Kündigung


Im Praxistipp:

  • Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - § 81 Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen
  • Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis
  • Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 12 

Rechtliche Grundlagen

§ 81 SGB IX, § 241 BGB, Art, 12 GG

Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - § 81 Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen

(1) Die Arbeitgeber sind verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere mit bei der Agentur für Arbeit arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen, besetzt werden können. Sie nehmen frühzeitig Verbindung mit der Agentur für Arbeit auf. Die Bundesagentur für Arbeit oder ein Integrationsfachdienst schlägt den Arbeitgebern geeignete schwerbehinderte Menschen vor. Über die Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Richter und Richterinnen wird der Präsidialrat unterrichtet und gehört, soweit dieser an der Ernennung zu beteiligen ist. Bei der Prüfung nach Satz 1 beteiligen die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 und hören die in § 93 genannten Vertretungen an. Erfüllt der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht und ist die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 93 genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden, ist diese unter Darlegung der Gründe mit ihnen zu erörtern. Dabei wird der betroffene schwerbehinderte Mensch angehört. Alle Beteiligten sind vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten. Bei Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung nicht zu beteiligen, wenn der schwerbehinderte Mensch die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ausdrücklich ablehnt.
(2) Arbeitgeber dürfen schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes.
(3) Die Arbeitgeber stellen durch geeignete Maßnahmen sicher, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl schwerbehinderter Menschen eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann. Absatz 4 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.
(4) Die schwerbehinderten Menschen haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf
1. Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können,
2. bevorzugte Berücksichtigung bei innerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens,
3. Erleichterungen im zumutbaren Umfang zur Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung,
4. behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen, Maschinen und Geräte sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit, unter besonderer Berücksichtigung der Unfallgefahr,
5. Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen
unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. Bei der Durchführung der Maßnahmen nach den Nummern 1, 4 und 5 unterstützt die Bundesagentur für Arbeit und die Integrationsämter die Arbeitgeber unter Berücksichtigung der für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften der schwerbehinderten Menschen. Ein Anspruch nach Satz 1 besteht nicht, soweit seine Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.
(5) Die Arbeitgeber fördern die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen. Sie werden dabei von den Integrationsämtern unterstützt. Schwerbehinderte Menschen haben einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist; Absatz 4 Satz 3 gilt entsprechend.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis

(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland Artikel 12

(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.