Drei Stunden mit dem Zug sollte die Fahrt zum neuen Arbeitsplatz dauern. © Adobe Stock -olly
Drei Stunden mit dem Zug sollte die Fahrt zum neuen Arbeitsplatz dauern. © Adobe Stock -olly

Dieter ist fast 60 und arbeitet als Ausrüstungselektriker. Er ist verheiratet und besitzt ein Haus in Bremen mit großem Garten. Gesund ist er nicht mehr. Er leidet an einer Angststörung, Bluthochdruck und verschiedenen anderen Beschwerden. Bei ihm ist ein Grad der Behinderung von 30 anerkannt.

 

Der Arbeitgeber beantragte Kurzarbeit

 

In seinem Arbeitsbereich arbeiteten vor Beginn der Corona-Pandemie noch über 200 Beschäftigte. Dann kam die Kurzarbeit. Der Arbeitgeber drosselte die Produktionskapazitäten. Trotzdem gab es keine Auslastung der Produktion. Gleichzeitig stieg die Nachfrage in einem anderen Bereich.

 

Der Arbeitgeber vereinbarte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich und einen Sozialplan zum Personalabbau. Dieser sah ein Programm zum freiwilligen Ausscheiden aus dem Unternehmen vor. Die bislang in Bremen eingesetzten Mitarbeiter*innen, die nach Hamburg wechselten, erhielten eine monatliche Aufwendungspauschale.

 

Leiharbeitnehmer*innen wurden nicht mehr weiter beschäftigt. Dadurch sank die Zahl der Mitarbeiter*innen in Bremen auf rund 100. Einige Ausrüstungselektriker sollten in Bremen bleiben.

 

Dieter droht die Versetzung

 

Nun soll auch Dieter versetzt werden. Einverstanden ist er nicht. Auch der Betriebsrat unterstützt das Vorhaben des Arbeitgebers nicht. Der aber bleibt hart. Dieter soll in Hamburg arbeiten. Dazu müsste er täglich fast 140 km hin und zurück fahren. Das würde mit der Bahn fast drei Stunden dauern. Sein Gesundheitszustand lasse das nicht zu, sagt Dieter. 

 

Das Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven soll jetzt entscheiden, ob Dieter vorläufig in Bremen bleiben kann, bis über seine Versetzung endgültig entschieden ist. 

 

Das Arbeitsgericht hat ein Einsehen. Es verweist darauf, dass ein*e Arbeitnehmer*in Anspruch auf Beschäftigung in der bisherigen Tätigkeit am bisherigen Arbeitsort hat, wenn sich eine vom Arbeitgeber vorgenommene Versetzung als unwirksam erweist. 

 

Der Arbeitgeber habe ein Recht, seinen Arbeitnehmer*innen Weisungen zu erteilen. Solange er aber nicht rechtlich korrekt von seinem Weisungsrecht Gebrauch mache, bleibe es bei der bisher zugewiesenen Arbeitsaufgabe am bisherigen Ort, sagt das Gericht. Das gelte auch, wenn beides vertraglich nicht festgelegt sei. Arbeitnehmer*innen hätten dann einen Beschäftigungsanspruch am bisherigen Ort mit dem bisherigen Inhalt.

 

Der Arbeitgeber muss die wechselseitigen Interessen abwägen

 

Der Arbeitgeber muss sein Direktionsrecht nach billigem Ermessen ausüben. Das bedeutet, er muss die wechselseitigen Interessen nach verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen gegeneinander abwägen und dabei allgemeine Wertungsgrundsätze beachten. Dazu gehört, dass die vorgesehene Maßnahme verhältnismäßig, angemessen und zumutbar sein muss. Sie darf nicht gegen die Verkehrssitte verstoßen

 

Der Arbeitgeber muss alle Umstände des Einzelfalles in seine Abwägung einbeziehen. Dazu gehören insbesondere auch die sozialen Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltspflichten.

 

Welche Umstände der Arbeitgeber konkret zu berücksichtigen hat, hängt von der Art der Weisung ab, also davon, ob sich diese auf Zeit, Ort bzw. Inhalt der Arbeitsleistung bezieht. Sofern es um eine personelle Auswahlentscheidung geht, muss der Arbeitgeber soziale Faktoren einbeziehen und eine Sozialauswahl durchführen.

 

Das wirtschaftliche Interesse des Arbeitgebers reicht nicht aus

 

Dieters Arbeitgeber habe die Grenzen des billigen Ermessens nicht gewahrt. Das Unternehmen habe zwar ein schwerwiegendes wirtschaftliches Interesse an der Versetzung von Mitarbeiter*innen, auch an derjenigen von Dieter. Es sei jedoch nicht nachvollziehbar, dass Dieter weniger schutzbedürftig sein solle, als die am Standort Bremen im gleichen Bereich als Ausrüstungselektriker verbleibenden beiden Arbeitnehmer.

 

Zwar gebe es in Hamburg einen erhöhten Bedarf an Arbeitskräften. Der Standort Bremen sei dagegen derzeit nicht ausgelastet. Dort würden mehr Arbeitnehmer*innen beschäftigt, als Arbeitsvolumina vorhanden seien. 

 

Dieter ist besonders schutzbedürftig

 

Dieters gesundheitliche Situation begründe eine besondere Schutzbedürftigkeit. Im Rahmen des Eilverfahrens nehme das Gericht zwar nur eine grobe Prüfung der Rechtslage vor. Es erschließe sich jedoch nicht, dass - trotz der genannten Schutzbedürftigkeit - die Auswahl auf Dieter gefallen sei. Der Arbeitgeber müsse näher begründen, warum jedenfalls die beiden am Standort Bremen verbleibenden Ausrüstungselektriker schutzbedürftiger seien oder welche sonstigen Umstände deren Verbleib in Bremen rechtfertigen konnten.

 

Dieter sei durch die Maßnahme in seinen Interessen schwer belastet. Über die üblicherweise zu berücksichtigenden Interessen hinaus wie familiäre Bindungen oder Wohneigentum sei Dieter durch seine angeschlagene Gesundheit stark betroffen. Die Beschwerden stünden einem arbeitstäglichen Pendeln ebenso wie einem Aufenthalt in Hamburg während der Arbeitswoche entgegen. 

 

Arbeitnehmer*innen müssen Weisungen folgen

 

Üblicherweise sei einem Arbeitnehmer in der Regel zuzumuten, einer Anordnung zur Versetzung oder einer arbeitsvertraglichen Weisung zunächst zu akzeptieren und sodann die Rechtmäßigkeit der Maßnahme in einem Hauptsacheverfahren gerichtlich klären zu lassen. Etwas anderes gelte, wenn  die Maßnahme des Arbeitgebers offenkundig rechtswidrig ist.

 

Der Arbeitgeber habe gute Gründe dafür genannt, weshalb Dieter der Versetzungsanordnung Folge leisten müsse. Dieter wolle demgegenüber nicht in Hamburg arbeiten. Rechtlich setze das voraus, dass im Prozess unter Berücksichtigung seiner Ausführungen eine Eilentscheidungen notwendig sei, um wesentliche Nachteile abzuwehren. 

 

Allein der Umstand, dass eine möglicherweise vertragswidrige Beschäftigung aufgrund des Zeitablaufs nicht mehr rückgängig gemacht werden könne, reiche dafür nicht aus. Ebenso wenig genüge die Unsicherheit, ob die Weisung des Arbeitgebers wirksam sei.

 

Die Interessen von Dieter überwiegen

 

Eine positive Entscheidung gegen eine Weisung könne das Gericht nur treffen, wenn Dieter ein deutlich gesteigertes Abwehrinteresse habe. Das sei allenfalls bei erheblichen Gesundheitsgefahren, einer drohenden irreparablen Schädigung des beruflichen Ansehens oder bei schweren Gewissenskonflikten gegeben.

 

Dieter würden bei sofortiger Versetzung wesentliche Nachteile drohen. Ein arbeitstäglichen Pendeln beinhalte eine Gesundheitsgefährdung. Auch wochenweise Fahrten seien nicht zumutbar, denn Dieter könnte seine Arzttermine in Bremen dann nicht wahrnehmen. Müsste Dieter bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens in Hamburg arbeiten, drohe das Risiko einer Gesundheitsschädigung. Das spreche für eine Entscheidung zugunsten von Dieter im Eilverfahren.

 

So hat es das Arbeitsgericht auch entschieden. Unterstützt wurde Dieter durch die Jurist*innen des DGB Rechtsschutzbüros Bremen.

 

Hier geht es zum Volltext des Urteils des Arbeitsgerichts Bremen-Bremerhaven.