Eine Klausel in einer Tantiemen-Richtlinie des Arbeitgebers, wonach der Anspruch durch eine »vom Arbeitnehmer verursachte« Kündigung verfällt, ist unwirksam, wenn die Tantiemenzahlung eine zusätzliche Vergütung für die im Bezugszeitraum erbrachte Arbeitsleistung darstellt.
Welcher Sachverhalt lag dem Urteil des Landessarbeitsgerichts zu Grunde?
Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf Auszahlung einer Resttantieme aus einem inzwischen beendeten Arbeitsverhältnis. Der 1961 geborene Kläger war seit 1989, zuletzt aufgrund eines 2009 geschlossenen Anstellungsvertrages als »Technischer Bereichsleiter« bei der Beklagten beschäftigt. Die Bruttojahresvergütung des Klägers betrug zuletzt ca. 93.000,- EUR. Der Anstellungsvertrag bestimmt, dass der Kläger zusätzlich zum Gehalt eine Tantiemenzahlung erhält.
Höhe und Zusammensetzung der Tantieme regelt eine für den Konzern der Beklagten geltende Richtlinie. Diese bestimmt, dass der Anspruch eines tantiemenberechtigten Mitarbeiters sich aus mehreren Komponenten, z. B. einem Anteil am Unternehmensergebnis und einer Leistungsprämie zusammensetzt. Nach § 4 Absatz 6 der Richtlinie verfällt der Anspruch bei einer »vom Arbeitnehmer verursachten Beendigungsgründen des Arbeitsverhältnisses«.
Der Arbeitnehmer kündigte das Arbeitsverhältnis zum 31.8.2011. Die Arbeitgeberin erstellte zum 19. 7.2011 eine Tantiemeabrechnung für das Jahr 2010, die einen dem Kläger per 31.07.2011 auszuzahlenden Betrag von 5.572,- € auswies. Mit seiner Klage beim ArbG Düsseldorf eingereichten Klage machte der Kläger die Zahlung weiterer 30.369,- EUR als Resttantieme geltend. Er verwies darauf, dass auf seinem Konto per 30.06.2011 ein Guthaben in dieser Höhe als verdiente Tantieme ausgewiesen sei. Er vertrat die Rechtsauffassung, dass die Verfallklausel im § 4 der Tantiemerichtlinie unwirksam wäre und die Auszahlung der bereits verdienten Tantieme nicht verhindern könnte.
Wie hat das Landesarbeitsgericht entschieden?
Wie bereits das Arbeitsgericht sah das LAG den Anspruch des Klägers als berechtigt an und wies die Berufung des Arbeitgebers zurück. Der Anspruch des Klägers auf die Resttantieme bestimmt sich nach § 611 BGB in Verbindung mit dem Anstellungsvertrag von 2009 und in Verbindung mit der 2009 geltenden Tantiemerichtlinie. Die Beklagte kann sich nicht auf
die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie und die Fälligkeitsklausel im § 4 Abs. 4 der Tantiemerichtlinie zu berufen, denn beide greifen nicht ein bzw. sind rechtsunwirksam, so das LAG.
Leistungsentgelt ist keine Prämie des Arbeitgebers
Die Verfallklausel im § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie stellt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB dar und ist deshalb im Ergebnis unbeachtlich. Die Tantiemerichtlinie, die ab dem 01.01.2010 auf das Arbeitsverhältnis der Parteien einwirkt, stellt eine allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne von § 305 Abs. 1 BGB dar. Auch nach dem Sachvortrag der Beklagten wird bei der Berechnung der drei Einzelkomponenten der Tantieme überwiegend auf die jeweils zu bemessende individuelle Leistung des Klägers abgestellt, bzw. auf das von ihm mit beeinflusste Bereichs- oder Unternehmensergebnis.
Verfallklausel benachteiligt Arbeitnehmer unangemessen
Die Verfallklausel in § 4 Abs. 6 der Tantiemerichtlinie steht im Widerspruch zum Grundgedanken des § 611 Abs. 1 BGB, in dem sie dem Kläger bereits erarbeiteten Lohn wieder entzieht. Sie verkürzt außerdem in nicht zu rechtfertigender Weise die nach Artikel 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit des Arbeitnehmers, weil sie die Ausübung seines Kündigungsrechts unzulässig erschwert. Auch die Tatsache, dass dabei teilweise Unternehmensergebnisse mitberücksichtigt werden, verändert den Charakter der hier zu beurteilenden Sonderzuwendung demgegenüber nicht.
Angemessenheit ist im Zeitpunkt der Auszahlung zu prüfen
Die Berufungskammer meint, dass nach Sinn und Zweck der Angemessenheitsprüfung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB auch auf das Auszahlungsjahr und nicht auf die Jahre abzustellen ist, in denen die Tantieme verdient wurde. Gerade mit Blick auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine eventuelle Eigenkündigung des Klägers ist festzustellen, ob die Verfallklausel eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung der Berufsfreiheit im Sinne des Artikel 12 GG darstellt.
Bezogen auf den Zeitpunkt des Ausscheidens ist konkret zu untersuchen, ob dem Kläger seine Kündigung unangemessen erschwert wird, weil die Beklagte unter Hinweis auf die Verfallklausel mit einem Entzug der Resttantieme "drohen" kann. Diese Frage dürfte aber für den vorliegenden Rechtsstreit unschwer zu bejahen sein; die Gefahr, knapp ein Drittel der Jahresgesamtvergütung bei einer Eigenkündigung zu verlieren, ist unzweifelhaft sehr groß und beeinträchtigt den Kläger in seinem Grundrecht nach Artikel 12 GG unangemessen und unzumutbar.
Auswirkungen der Entscheidung auf die Praxis: Carsten Schuld
In Arbeitsverträgen steht häufig, dass der Arbeitgeber einzelne Leistungen nur freiwillig leistet oder sie widerrufen kann. Nicht selten geht es um den Widerruf von bereits zugesagten aber noch nicht ausbezahlten Zulagen. 2002 wurde das Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (das „Kleingedruckte“) auch auf Arbeitsverträge ausgedehnt. Seitdem gilt, dass solche Regelungen ausreichend transparent sein müssen und die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht überraschen oder übervorteilen dürfen. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu seit 2002 schon viele Entscheidungen getroffen. Seit dem ist der Freiwilligkeitsvorbehalt für Geldleistungen in Verträgen kaum noch möglich und der Widerrufsvorbehalt nur dann, wenn die Gründe für den möglichen Widerruf klar genannt sind. Nicht widerruflich sind in der Regel Gehaltsbestandteile, die in der Vergangenheit erarbeitet wurden. Hat der Arbeitgeber die Beschäftigen mit der Aussicht auf eine Tantieme zu besserer Arbeit motiviert, ist es unredlich, diese dann doch nicht zu zahlen. (Es ist wie dem Esel, dem die Mohrrübe an einer Leine vorgehalten wird: Hat er sie die ganze Fahrt über gesehen und darf er sie dann am Ende nicht fressen, fühlt er sich betrogen.)
Das LAG Düsseldorf hat nun noch auf einen weiteren Punkt hingewiesen: Der Verlust von Tantiemenzahlungen (es könnten auch Gratifikationen oder Weihnachtsgeld sein) wegen einer Eigenkündigung schränkt den Arbeitnehmer in seiner Berufsfreiheit ein. Wer den Verlust erheblicher Gehaltsbestandteile fürchten muss, kann nicht mehr frei über seine Berufsausübung entscheiden. Dieses Recht ist aber im Grundgesetz ausdrücklich geschützt. Ein weiteres Argument für Betriebsräte, im Unternehmen gegen Widerrufsvereinbarungen in Arbeitsverträgen vorzugehen und beim Arbeitgeber auf Änderung zu drängen.
Das Urteil des LAG Düsseldorf vom 19.07.2012, 5 Sa 324/12