Ein Tarifvertrag regelt gemäß dem TVG die Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien. Parteien eines Tarifvertrages können auf Seiten der Arbeitnehmer*innen ausschließlich Gewerkschaften sein, auf Seiten der Arbeitgeber diese selbst (Haustarifverträge) oder Arbeitgeberverbände (Flächentarifverträge).
 
Nach dem TVG werden die Rechte und Pflichten der Arbeitnehmer*innen und Arbeitgeber*innen in Rechtsnormen, geregelt, die den Inhalt, den Abschluss und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen sowie betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen können. Für Arbeitsverhältnisse, die Tarifgebunden sind, gelten also die Regelungen eines Tarifvertrages gleichsam wie ein Gesetz. Es ist nicht einmal erforderlich, dass etwa ein betroffener Arbeitnehmer oder Arbeitgeber die Regelungen überhaupt kennt.

Grundsätzlich gelten Tarifnormen nur für Gewerkschaftsmitglieder

Diese normative Wirkung hat ein Tarifvertrag aber nicht, wenn das Arbeitsverhältnis nicht tarifgebunden ist. Tarifbindung setzt nämlich voraus, dass die/der betroffene Arbeitnehmer*in Mitglied der Gewerkschaft ist, die den Tarifvertrag abgeschlossen hat. Bei Flächentarifverträgen ist zudem erforderlich, dass der Arbeitgeber Mitglied in einem Arbeitgeberverband ist, der ebenfalls den Tarifvertrag vereinbart hat. Davon gibt es allerdings auch Ausnahmen: das Bundesministerium für Arbeit und Soziales kann Tarifverträge im Einvernehmen mit einem aus je drei Vertretern der Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer bestehenden Ausschuss als allgemeinverbindlich erklären. Diese Tarifverträge gelten dann für alle Arbeitnehmer*innen innerhalb seines Geltungsbereichs.

Zwar vereinbaren die meisten Arbeitgeber heute auch in Arbeitsverträgen die Geltung bestimmter Tarifverträge. In diesem Fall sind die Regelungen des Tarifvertrages  jedoch keine Rechtsnormen, sondern lediglich Bestandteil des Arbeitsvertrages. Das hat erhebliche Bedeutung für den Schutz der/des Arbeitnehmer*in: Gelten die Bestimmungen des Tarifvertrages normativ gilt das „Günstigkeitsprinzip“. Zulasten der Arbeitnehmer*innen darf nicht von den Regelungen abgewichen werden, anders als bei Arbeitsverhältnissen, die nicht tarifgebunden sind.

Gute Tarifverträge gibt es nur, wenn starke Gewerkschaften sie aushandeln, die im Zweifel auch in der Lage sind, Streiks durchzuführen

Gute Tarifverträge benötigen aber starke Gewerkschaften mit vielen Mitgliedern. Das Aushandeln guter Arbeitsbedingungen und möglichst hoher Löhne setzt nämlich voraus, dass die Gewerkschaften den nötigen Verhandlungsdruck aufbauen können. Das können sie nur, wenn sie im Zweifel auch mit Arbeitskampfmaßnahmen drohen und stark genug sind, Kampfmaßnahmen überhaupt durchführen zu können. Zu Streiks dürfen nur Gewerkschaften aufrufen und  -jedenfalls gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts- auch nur zur Durchsetzung von Zielen, die durch einen Tarifvertrag geregelt werden können. Das ist ein weiterer Grund, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein und nicht lediglich als „Trittbrettfahrer“ von den guten Tarifverträgen zu profitieren.
 
Das TVG ist also ein wichtiges Gesetz, das erheblich zu einer Arbeitswelt beiträgt, die Arbeitnehmer*innen eine nennenswerte Teilhabe am gesellschaftlichen Wohlstand sichert. Die ersten anerkannten Tarifverträge gibt es in Deutschland seit über 100 Jahren. Im Stinnes-Legien-Abkommen vom 15. November 1918 erkannten die Arbeitgeberverbände die Gewerkschaften als Vertreter der Arbeitnehmer an. Arbeitsbedingungen sollten künftig in Tarifverträgen (damals noch: Kollektivvereinbarungen) rechtsverbindlich geregelt werden. Das Abkommen war die Satzung der Zentralarbeitsgemeinschaft der industriellen und gewerblichen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (ZAG), eine Art Bündnis zwischen Gewerkschaften und Industrie. Die ZAG entstand bereits kurz vor Ende des ersten Weltkrieges und behandelte insbesondere arbeits- und sozialpolitische Fragen mit Blick auf die Umstellung von Kriegs- auf Friedenswirtschaft. Die Novemberrevolution von 1918 bescherte dann der deutschen Arbeiterbewegung für einen kurzen Moment in der Geschichte eine Macht, die die Arbeitgeber letztlich zur Sicherung ihrer Eigentümerrechte in das Abkommen zwang.

Verhandlungsbereit sind Arbeitgeber nur, wenn und insoweit sie es sein müssen

Die ZAG und damit auch deren Satzung war in der Arbeiterbewegung aber durchaus umstritten. Gerade die Sicherung der Eigentumsrechte der Arbeitgeber lief den Zielen großer Teile der Bewegung zu wider. Die in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), der Spartakusgruppe und später in der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) organisierten Arbeitnehmer*innen betrachteten das Abkommen als Verrat an der Revolution. Bereits 1924 verließ der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) die ZAG, nachdem die Arbeitgeberverbände die Abschaffung des 8-Stunden-Tages durchsetzen wollten.
 
Die geschichtliche Bedeutung der ZAG ist denn auch eher gering, abgesehen vom Stinnes-Legien-Abkommen. Allerdings blieb auch den Kollektivvereinbarungen nur eine kurze Gnadenfrist: am 2. Mai 1933 besetzten Nationalsozialisten in ganz Deutschland die Gewerkschaftshäuser und zerschlugen die Gewerkschaften. Die Regelung von Arbeitsbedingungen durch Kollektivvereinbarungen war damit beendet. Nach Auffassung der Nazis sollten die Unternehmer als „naturgegebene Führer“ wieder „Herr im Hause“ sein. Ein „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ hob 1934 Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie auch rechtlich wieder auf. Die Arbeitsbedingungen regelten fortan sogenannte „Treuhänder der Arbeit“, die dem Reichsarbeitsministerium unterstanden. Die Folgen waren für Arbeitnehmer*innen fatal: sinkende Reallöhne, längere Arbeitszeiten, Bindung an einen bestimmten Arbeitsplatz und überhaupt ein Absinken aller Schutzstandards.
 

Das TVG ist älter als das Grundgesetz

Nach dem zweiten Weltkrieg und der Befreiung vom Nationalsozialismus versuchten die westlichen Besatzungsmächte, in ihren Besatzungszonen die schlechte Versorgungslage der Bevölkerung durch eine koordinierte Wirtschaftspolitik unter Beteiligung deutscher Abgeordneten in den Griff zu bekommen. Dazu wurde zunächst in der sogenannten „Bizone“ (gemeinsame Verwaltung der amerikanischen und britischen Besatzungszone) ein Wirtschaftsrat gegründet. Dieser Wirtschaftsrat verabschiedete im April 1949, fast zwei Monate vor Inkrafttreten des Grundgesetzes, das TVG. Durch Artikel 125 des Grundgesetzes  wurde das Gesetz als Bundesrecht legitimiert.  Im Jahr 1953 trat dann ein Gesetz in Kraft, mit dem die Geltung des TVG auch auf die Bundesländer erstreckt wurde, die nicht zur Bizone gehörten.
 
Seitdem wurde das TVG mehrmals verändert, zweimal sogar neu gefasst. Die heute noch geltende Fassung ist von 1969, die indessen im Laufe der Jahre auch mehrmals verändert wurde. Set nunmehr 70 Jahren aber gilt: Tarifverträge sind Rechtsnormen, die in Gewerkschaften organisierte Arbeitnehmer*innen gute Arbeitsbedingungen sichern.
 

Dort wo keine Tarifverträge gelten, zahlen Arbeitgeber wenige und arbeiten Arbeitnehmer*innen länger

Leider sind nach Angaben des Statistischen Bundesamtes (DESTATIS) heute nur noch 46% aller Arbeitsverhältnisse tarifgebunden (Statistik von 2014). In 52% aller Betriebe gilt überhaupt kein Tarifvertrag, in manchen Branchen sogar in fast 90% der Betriebe. Interessanterweise gibt es gerade in den Wirtschaftsbereichen, in denen nur wenige Arbeitgeber der Tarifbindung unterliegen, die niedrigsten Löhne. Auffällig ist auch die Situation in Wirtschaftsbereichen, die traditional einen hohen Organisationsgrad aufweisen. So werden etwa im Automobilbau vergleichsweise hohe Arbeitsentgelte gezahlt. In den letzten Jahrzehnten sind aber beispielsweise Ingenieurdienstleistungen von den großen Automobilbauern an externe Unternehmen vergeben worden. In vielen dieser Unternehmen gelten keine Tarifverträge. Die Arbeitseinkommen der dort beschäftigten Ingenieur*innen sind häufig 20-30% niedriger als bei Kolleg*innen auf vergleichbaren Arbeitsplätzen bei den Automobilherstellern. Auch die wöchentlich zu leistende Arbeitszeit ist bei den Dienstleistern fast durchgängig deutlich höher.
 
Das Tarifvertragsgesetz kann nur dann erheblich zu besseren Arbeitsbedingungen beitragen, wenn möglichst in allen Branchen mitgliederstarke Gewerkschaften ausreichende Verhandlungsstärke besitzen. Der verhältnismäßig geringe Organisationsgrad hat sicherlich maßgeblich mit dazu beigetragen, dass es in der Bundesrepublik Deutschland heute einen der größten Niedrigsektoren der gesamten Europäischen Union gibt.
 
Quellen und zum Vertiefen:
 
Tarifvertragsgesetz
Arbeitsrecht auf der Homepage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS)
Tarifbindung auf der Homepage des Statistischen Bundesamtes