Rote Karte für den Arbeitgeber: wer ein Betriebsratsmitglied maßregelt, muss gegebenenfalls Schadensersatz zahlen. Copyright by Adobe Stock/Edler von Rabenstein
Rote Karte für den Arbeitgeber: wer ein Betriebsratsmitglied maßregelt, muss gegebenenfalls Schadensersatz zahlen. Copyright by Adobe Stock/Edler von Rabenstein

Wer sich ehrenamtlich engagiert für die Interessen seiner Arbeitskolleg*innen einsetzt, soll etwaige Schikanen seines Arbeitgebers nicht fürchten müssen. Deshalb sind Mitglieder des Betriebsrates in besonderer Weise geschützt. So sind etwa ordentliche Kündigungen gegen sie unwirksam (§ 15 Kündigungsschutzgesetz). Der Arbeitgeber darf sie auch nicht mittelbar benachteiligen, indem er zum Bespiel ihre berufliche Entwicklung blockiert. Das bestimmt § 78 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG).


Mitglieder des Betriebsrates sind grundsätzlich vor Schikanen des Arbeitgebers geschützt

Das Arbeitsentgelt von Mitgliedern des Betriebsrats unterliegt ebenfalls dem Schutz des Gesetzes. Es darf einschließlich eines Zeitraums von einem Jahr nach Beendigung der Amtszeit nicht geringer bemessen werden als das Arbeitsentgelt vergleichbarer Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung. Dies gilt auch für allgemeine Zuwendungen des Arbeitgebers (§ 37 Absatz 4 BetrVG).

Im Einzelfall ist es oftmals aber gar nicht so einfach, dem Arbeitgeber nachzuweisen, dass er arbeitsrechtliche Maßnahmen mit dem Ziel ergreift, Betriebsratsmitglieder zu maßregeln, die ihm unlieb sind. Denn selbstverständlich können diese auch von Änderungen im Betriebsablauf betroffen sein, ohne dass eine böse Absicht dahintersteckt. Schließlich verbietet § 78 BetrVG dem Arbeitgeber auch, Betriebsratsmitglieder zu bevorzugen.


Wer etwas haben will, muss darlegen und beweisen, dass es ihm zusteht

Im deutschen Zivilrecht gilt grundsätzlich, dass derjenige die Beweislast für Tatsachen, die zum Tatbestand einer Rechtsnorm gehören, trägt, der sich vor Gericht auf diese Rechtsnorm beruft. Er muss vom Grundsatz her alles darlegen und beweisen, was ihm nützt. Das Gericht darf von Amts wegen den Sachverhalt nicht ermitteln.

Das gilt nur dann nicht, wenn das Gesetz im Einzelfall etwas anderes bestimmt. Dieser Grundsatz wurde bereits in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem Professor Leo Rosenberg klargestellt. Deshalb sprechen die Rechtswissenschaftler*innen auch von der „Rosenbergschen Formel“.

Unser Kolleg*innen aus Neuruppin waren mit folgendem Fall befasst: Rudi Salheimer (Name von der Redaktion geändert) ist Haustechniker in einem Team eines Freizeitzentrums mit Bäderbetrieb. Seit Februar 2018 war er Mitglied des Betriebsrats und bis zum 19.11.2019 auch dessen Vorsitzender.


Bis einschließlich Juli 2019 beschäftigte der Arbeitgeber Herrn Salheimer regelmäßig in allen Schichten und in allen Arbeitsbereichen            

Die Aufgaben des Teams gliedern sich in zwei Bereiche, nämlich zum einen in die laufende Instandhaltung des Gebäudes, seiner Installationen und der Außenanlagen und zum anderen die Betreuung der haustechnischen Anlagen, insbesondere der Schwimmbadtechnik. Nur die Bedienung der Badewassertechnik erfordert einen Einsatz in Früh- und Spätschicht unter Einschluss von Rufbereitschaft auch an Wochenenden und Feiertagen.

Bis einschließlich Juli 2019 beschäftigte der Arbeitgeber Herrn Salheimer regelmäßig in allen Schichten und in allen Arbeitsbereichen, auch an Sonn und Feiertagen. Im August 2019 unterzeichneten der Kläger und der Geschäftsführer des Arbeitgebers eine geänderte Stellenbeschreibung, auf deren Deckblatt es hieß, sie werde ,,Bestandteil des Arbeitsvertrages". In der neuen Stellenbeschreibung war an den maßgeblichen Stellen nunmehr von „zugewiesenen" Anlagen bzw. technischen Anlagen die Rede.


Plötzlich hatte Herr Salheimer neue Arbeitsbedingungen und weniger Geld

Ab August 2019 wurde Rudi Salheimer nur in der Tagschicht und ausschließlich in der Abteilung Haustechnik eingesetzt. Seitdem erhält er weder die bis dahin gezahlte persönliche Zulage in Höhe von 161,00 € brutto monatlich noch die Bereitschaftszulage in Höhe von 140,- € brutto. Ferner entfielen Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschläge in Höhe von durchschnittlich 48,28 € brutto.
Mit Schreiben vom November 2019 und März 2020 forderte Herr Salheimer den Arbeitgeber auf, ihn wieder mit seinen bisherigen Aufgaben und Arbeitszeiten zu beschäftigen. Das lehnte der Arbeitgeber indessen ab.

Rudi Salheimer wandte sich daraufhin an die DGB Rechtsschutz GmbH. Die Kolleg*innen aus dem Büro Neuruppin erhoben für ihn Klage mit dem Ziel, Schadensersatz von seinem Arbeitgeber zu bekommen, weil dieser ihn wegen seiner Tätigkeit als Betriebsrat benachteiligt.


Nicht nur Geld fehlt, sondern auch Anschluss an die berufliche Weiter- und Fortbildung

Weil der Arbeitgeber ihm sein bisheriges Arbeitsfeld entzogen hat, hat er nicht nur finanzielle Nachteile. Wenn man ihn nämlich nur als Haushandwerker beschäftigt und das Tätigkeitsfeld der Badewassertechnik vorenthalte, verpasst er den Anschluss an die berufliche Weiter- und Fortbildung.

Vor Gericht behauptete der Arbeitgeber, Herr Salheimer sei den komplexen Anforderungen der Badewassertechnik nicht gewachsen. Mehrfach habe er den Teamleiter um Rat fragen müssen. Im März 2019 sei eine Druckluftanlage ausgefallen, weil der Kläger vergessen habe, die Kompressoranlage einzuschalten.

Nach einigen erfolglosen Gesprächen sei man übereingekommen, den Kläger von den Aufgaben der Schwimmbadtechnik weitestgehend zu entbinden und ihn künftig vorwiegend mit haushandwerklichen Tätigkeiten zu betrauen.


Für Herrn Salheimer ist klar: der Arbeitgeber schikaniert ihn als Mitglied des Betriebsrates

Rudi Salheimer bestreitet indessen den Vortrag des Arbeitgebers. Er sei niemals mit der Änderung der Arbeitsbedingungen einverstanden gewesen. Die Anlage des Drucklufterzeugers sei für ihren Zweck ungeeignet und daher in der Vergangenheit mehrfach havariert. Auch im März 2019 sei die Anlage ausgefallen, weil sie überhitzt gewesen sei. Herr Salheimer sei damals allein im Haus und auch mit anderen Aufgaben betraut gewesen, sodass es zu einer verzögerten Reparatur und Öffnung des Bades gekommen sei. Erst im Jahr 2020 sei eine neue Anlage angeschafft worden.
Das Gericht schloss sich unserer Argumentation an und sprach Herrn Salheimer fast 4.000,00 Euro Schadensersatz zu.

Das Arbeitsgericht wies darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) im Prozess ein abgestuftes System der Darlegungs-, Einlassungs- und Beweislast gilt, wenn streitig ist,  ob der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied durch eine Maßnahme unzulässig wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt hat.


Grundsätzlich muss das Betriebsratsmitglied beweisen, dass es benachteiligt wird

Grundsätzlich trägt das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf Schadensersatz in Anspruch nimmt, nach der „Rosenbergschen Formel“ die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er unzulässig benachteiligt wird.

Es gebe keinen Erfahrungssatz, wonach die Entscheidung eines Arbeitgebers, einem Betriebsratsmitglied eine Tätigkeit mit niedrigerer Vergütung zuzuweisen, auf dessen Betriebsratstätigkeit beruhe. Allerdings sei die gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, wonach es demjenigen, der eine Benachteiligung aus einem von der Rechtsordnung missbilligten Grund geltend macht, nicht durch die prozessuale Verteilung der Beweislast in unzumutbarer Weise erschwert werden darf, die sich daraus ergebenden Ansprüche gerichtlich durchzusetzen.

Insbesondere sei dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Frage, ob eine Maßnahme wegen der Betriebsratstätigkeit durchgeführt werde, um eine in der Sphäre des Arbeitgebers liegende „innere Tatsache" handele, die einer unmittelbaren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer oder Dritte nicht zugänglich sei.


Bei „inneren Tatsachen“ reichen im Zweifel Indizien

Das BAG gestehe betroffenen Betriebsratsmitgliedern deshalb zu, ohne genauere Kenntnis zunächst einmal zu behaupten, der Arbeitgeber habe ihn gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt. Man dürfe dem Arbeitnehmer dann nicht vorwerfen, er habe seine Pflicht zur Wahrheit verletzt.

Der Arbeitnehmer könne in vergleichbaren Fällen keinen wirklichen Beweis für die Benachteiligung anbieten. Er sei vielmehr darauf angewiesen, Hilfstatsachen vorzubringen, sogenannte „Indizien“. ZU diesen müsse sich der Arbeitgeber im Einzelnen konkret erklären. Er habe die Möglichkeit, die Hilfstatsachen zu bestreiten oder seinerseits Umstände darzutun, die geeignet seien, die lndizwirkung der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Hilfstatsachen zu entkräften.
Sodann sei es Aufgabe des Gerichts, sich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme eine Überzeugung darüber zu bilden, ob der Arbeitgeber den Arbeitnehmer gerade wegen dessen Betriebsratstätigkeit benachteiligt habe.


Den Zweifeln Schweigen gebieten, ohne sie völlig auszuschließen

In diesem Zusammenhang wiederholt das Arbeitsgericht eine schöne Formulierung des BAG: das Gericht dürfe keine „unumstößliche Gewissheit“ verlangen, sondern müsse sich mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen.

Herr Salheimer sei  seit annähernd elf Jahren als ausgebildeter Gas-/Wasser- und Sanitärinstallateur beschäftigt bei seinem Arbeitgeber beschäftigt, ohne dass zu irgendeinem Zeitpunkt eine Schlechtleistung, insbesondere auch in der Zeit vor seiner Mitgliedschaft im Betriebsrat, schriftlich dokumentiert worden wäre.

Zwei Vorfälle, die der Arbeitgeber im Verfahren für angebliche Schlechtleistungen des Herrn Salheimer angeführt hatte, waren bereits drei Jahre alt. Das dritte Geschehen vom März 2019 sei streitig geblieben und für sich allein auch nicht hinreichend, Rudi Salheimer wie geschehen zu „degradieren".


Alles spricht für Überrumpeln

Eine neu gefasste Stellenbeschreibung vom August 2019 sei im Übrigen ausgesprochen intransparent. Es wäre ein Einfaches gewesen, eine knappe Änderungsvereinbarung abzuschließen, durch die klargestellt worden wäre, dass Herr Salheimer künftig Aufgaben der Bädertechnik nur noch in Ausnahmefällen übernehme und entsprechend regelmäßig in der Tagschicht eingesetzt werde.

Dass Rudi Salheimer die neue Arbeitsplatzbeschreibung unterschrieben habe, möge als Indiz zugunsten des Arbeitgebers zu werten sein, doch würden ihre verklausulierte Fassung und das vom Kläger initiierte Personalgespräch auf eine „Überrumpelung" des Klägers unter Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten durch die Beklagte hin deuten.
Der Arbeitgeber habe deshalb den Zustand herzustellen, der von August 2019 bis Juni 2020 ohne die Benachteiligung eingetreten wäre. Dies bedeute den Ausgleich der entstandenen Mindervergütung.
 
Hier geht es zur Entscheidung des Arbeitsgerichts