Arbeitszeitbetrug ist ein schwerer Vorwurf. © Adobe Stock: #3664545
Arbeitszeitbetrug ist ein schwerer Vorwurf. © Adobe Stock: #3664545

Nach 12 Jahren war es mit dem Einvernehmen im Arbeitsverhältnis offensichtlich vorbei. Die Leiterin einer Einrichtung für Kinder- und Jugendhilfe bekam eine Abmahnung. Darin wirft der Arbeitgeber ihr vor, einen Mitarbeiter angewiesen zu haben, für den Monat Januar 2022 Arbeitszeiten im Arbeitszeitnachweis zu dokumentieren, die nicht den tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten entsprachen. Das wertete der Chef als Aufforderung zum Arbeitszeitbetrug. Ein sehr gravierender Vorwurf, wie auch die Jurist:innen des DGB Rechtsschutzbüros Berlin meinten. Sie erhoben Klage beim Arbeitsgericht auf Entfernung dieser Abmahnung aus der Personalakte ihrer Mandantin.

 

Was war geschehen?

 

Bei näherer Prüfung durch das Gericht stellte sich heraus, dass mehrere Bewohner der Einrichtung positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. Da der im ursprünglichen Dienstplan eingeteilte Mitarbeiter nicht über den erforderlichen Impfstatus verfügte, änderte die Klägerin den Dienstplan. Der Mann sollte im Januar 2022 nicht mehr für Dienste in der Einrichtung, sondern unter anderem für sogenannte Versorgungsdienste, etwa zur Besorgung von FFP-2-Masken, zuständig sein.

 

Der Beschäftigte war bezüglich der monatlich auszufüllenden Arbeitszeitnachweise unsicher, wie er seine Arbeitszeiten korrekt dokumentieren sollte und fragte bei der Klägerin nach. Diese kontaktierte ihren Bereichsleiter, der ihr erklärte, dass der Arbeitszeitnachweis als Abrechnungsdokument die tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten beinhalten müsse. Die Klägerin gab diese Information in einer Teamsitzung an ihre Mitarbeiter weiter. Der eigentlich Betroffene war hier nicht anwesend und setzte die Anweisung infolgedessen auch nicht um.

 

Sein Arbeitszeitnachweis enthielt nicht die tatsächlich geleisteten Dienste, sondern die Arbeitszeiten, die nach dem ursprünglichen Dienstplan vorgesehen waren. Er wurde vom Chef daraufhin telefonisch zur Rede gestellt und erhielt eine Ermahnung. Der Klägerin erteilte der Arbeitgeber demgegenüber ohne sie zum Vorfall weiter zu befragen eine Abmahnung.

 

Ergänzende Fragen richtete der Chef an den Mitarbeiter

 

Um die Angelegenheit weiter aufzuklären erhielt der ermahnte Mitarbeiter eine erneute Aufforderung zur Stellungnahme. Er gab dazu an, er sei für sein Handeln allein verantwortlich. Seine Vorgesetzte habe ihn zu keinem Zeitpunkt dazu veranlasst, falsche Angaben zu machen. Er habe das auch zuvor schon in einem Telefonat so gesagt. Ebenso habe er in diesem früheren Telefonat darauf hingewiesen, dass er keiner anderen Person die Schuld an seinem Fehlverhalten gebe.

 

Ausgehend davon argumentierten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren, der Arbeitgeber sei von falschen Tatsachen ausgegangen, als er der Klägerin die Abmahnung erteilt habe. Dem hielt die Beklagte entgegen, der Mitarbeiter habe im Laufe des Verfahrens seine Angaben zum Sachverhalt geändert.

 

Arbeitnehmer:innen können die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus ihrer Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht, wenn die Abmahnung inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Auch eine zu Recht erteilte Abmahnung ist aus der Personalakte zu entfernen, wenn kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht, erläutert das Arbeitsgericht die allgemeine Rechtslage.

 

Eine Verdachtsabmahnung gibt es nicht

 

Unberechtigt und aus der Personalakte zu entfernen sei auch eine Abmahnung, bei der lediglich ein Verdacht zum Anknüpfungspunkt gemacht werde, so das Gericht. Denn eine "Verdachtsabmahnung" kenne das Arbeitsrecht nicht. Die Darlegungs- und Beweislast für die Wahrheit der in der Abmahnung aufgestellten Tatsachenbehauptungen trage der Arbeitgeber.

 

Die Klägerin hat damit einen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte. Die Beklagte konnte die Kammer nämlich nicht davon überzeugen, dass der Abmahnung ein objektiver Pflichtverstoß zugrunde liegt. Die Abmahnung erweise sich aus Sicht des Gerichts als unbestimmt und zudem als eine unberechtigte Verdachtsabmahnung.

 

Die Sachverhaltsaufklärung reichte nicht aus

 

Die Beklagte stütze die Abmahnung allein auf ein Telefonat mit dem Mitarbeiter. Sie habe die Klägerin selbst zu dem ihr gegenüber erhobenen Vorwurf überhaupt nicht angehört. Der Mitarbeiter habe später auch ausdrücklich angegeben, selbst für das Fehlverhalten verantwortlich gewesen zu sein und keine Anweisung der Klägerin erhalten zu haben.

 

Dieser Sachverhalt vermochte nach Auffassung der Richter:innen eine wirksame Abmahnung nicht zu rechtfertigen. Eine Abmahnung setze einen objektiv gegebenen Pflichtverstoß, nicht aber vorwerfbares Verhalten des Empfängers voraus. Der bloße Verdacht einer Pflichtverletzung könne nicht abgemahnt werden. Die Klägerin habe ordnungsgemäß gehandelt, indem sie sich aufgrund ihrer eigenen Unsicherheit über die korrekte Dokumentation der Arbeitszeiten informiert habe.

 

Das Gericht hielt die Abmahnung auch für zu unbestimmt

 

Der notwendige Inhalt einer Abmahnung ergibt sich aus ihrer Funktion. Mit einer Abmahnung soll Betroffenen eindringlich vor Augen geführt werden, dass der Arbeitgeber nicht mehr bereit ist, ein bestimmtes Verhalten hinzunehmen. Das muss in der Abmahnung deutlich zum Ausdruck kommen. Daneben erfordert die Warnfunktion, die Abmahnung eindeutig und bestimmt zu formulieren.

 

Der:die Arbeitnehmer:in muss der Abmahnung zweifelsfrei entnehmen können, was vorgeworfen wird, wie das Verhalten in Zukunft einzurichten ist und welche Sanktionen drohen, wenn er:sie sich nicht entsprechend verhält. Der Arbeitgeber muss die gerügten Vorfälle einzeln konkret mit Datum und ggf. Uhrzeit ausgehend davon, was er wissen kann, schildern.

 

Die Beklagte habe nur pauschal die Behauptung aufgestellt, die Klägerin hätte ihren Mitarbeiter angewiesen, die Arbeitszeit fehlerhaft zu dokumentieren. Es wäre ihr durchaus möglich gewesen, den vermeintlichen Vorfall in der Abmahnung zeitlich konkreter einzugrenzen. Das habe sie nicht getan, sondern nur ganz allgemein den Monat Januar darin aufgeführt. Auch deshalb sei die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.

Es bleibt anzumerken, dass der Arbeitgeber Berufung einlegte.