Neumann hat mit 19 Jahren seine 3,5-jährige Ausbildung als Fachkraft für Lagerlogistik begonnen und nach etwas mehr als 3 Jahren die Ausbildungsprüfung ganz gut hinbekommen. Er hat die Fristen eingehalten, um ordnungsgemäß seine Weiterbeschäftigung zu verlangen, wovon die Arbeitgeberin nicht begeistert war. Neumann wird zwar bestätigt, dass er engagiert sei, aber sich wiederholt nicht an vorhandene Regeln und Abläufe halte. Außerdem fehle er öfter und von der Restzeit ginge dann noch Zeit für die Jugendausbildungsvertretung drauf.
Arbeitgeberin will Beendigung
Sie beantragt beim Arbeitsgericht, dass das mit dem Tag nach der Prüfung begonnene Arbeitsverhältnis aufzulösen sei. Da hierfür § 78 Abs.2 BetrVG Rechtsgrundlage ist, handelt es sich hierbei nicht um ein Urteils- sondern um ein sog. Beschlussverfahren, in dem neben Neumann auch der Betriebsrat Beteiligter ist.
Arbeitgeberin listet Verfehlungen auf.
Fehlerhafte und auch zu späte Krankmeldungen - dies in mehreren Fällen - Pausenzeiten mehrfach erst nach Aufforderung nachgestempelt, das Einstempeln vergessen, Pausenmeldungen unterblieben, es wurden zu wenig Feed-back Gespräche geführt. Außerdem soll er mit den Fachberichten zurückgehangen haben. All das hielt die Arbeitgeberin Neumann vor. Es erfolgten eine Reihe Gespräche mit ihm, die die Arbeitgeberin auch formalisiert erfasste. Bei vielem hat Neumann eingeräumt, dass er sich vertan habe, oder er sich zukünftig an die Regelungen halten würde. Bei den Gesprächsprotokollen war zur Art des Gesprächs immer der Punkt Bedarfsgespräch angekreuzt.
Weitere Verfehlungen im Arbeitsverhältnis
Die Arbeitgeberin will ihn nach alledem nicht weiterbeschäftigen. Sie beruft sich im Verfahren auf drei neu erteilte Abmahnungen, ausgesprochen, weil Neumann die für ihn vorgesehene Tätigkeit nicht aufgenommen hatte. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei ihr wegen all dieser Vorfälle nicht zumutbar, argumentiert die Arbeitgeberin.
Andere Rechtsgrundlage für die Weiterbeschäftigung?
Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge für den Einzelhandel NRW Anwendung. Dort regelt § 23 Abs. 4 MTV, wann ein Auszubildender zu übernehmen ist. Wenn bereits nach dieser Vorschrift ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist, kann die Arbeitgeberin sich nicht mehr auf die Auflösungsmöglichkeit des § 78 Abs. 2 BetrVG berufen.
Wann laufen die Fristen bei vorgezogener Abschlussprüfung?
Ansatzpunkt war die vom Arbeitgeber einzuhaltende 3-Monats-Frist vor Ende der Ausbildung. Neumann hatte die Abschlussprüfung vorgezogen. Als die Arbeitgeberin Neumann schrieb, er würde nicht übernommen, hielt sie aufgrund des vorgezogenen Prüfungsdatums die Frist nicht ein, sollte es auf den Prüfungstermin ankommen. Die Frist wäre jedoch eingehalten gewesen, wenn das vereinbarte Ausbildungsende entscheidend ist.
Das Arbeitsgericht Bonn führt mit Beschluss vom 6. Dezember 2023 - 2 BV 43/23 hierzu aus, dass es auf das vorgezogene tatsächliche Ende des Ausbildungsverhältnisses nicht ankomme. Bereits der Wortlaut der gesetzlichen Vorschrift spreche dagegen sowie und auch der Sinn und Zweck der Vorschrift. Es solle Klarheit herrschen, ob das Ausbildungsverhältnis fortgesetzt würde oder nicht. Ausbilder hätten meist keinen Einfluss auf das Prüfungsdatum und wüssten auch nicht, ob die Prüfung bestanden werde. Fixer Zeitpunkt müsse daher das vereinbarte Vertragsende sein, damit Rechtssicherheit besteht.
Da weitere Formvorschriften wie die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats erkennbar eingehalten waren, kommt es aus Sicht des Arbeitsgerichts rechtlich darauf an, ob die Weiterbeschäftigung für den Arbeitgeber unzumutbar ist.
Der Begriff der Zumutbarkeit
Eine Weiterbeschäftigung wird nicht erst dann unzumutbar, wenn Gründe für eine fristlose Kündigung vorliegen. Verhaltensbedingte Gründe sind grundsätzlich geeignet eine Auflösung zu begründen. Fehlverhalten von Auszubildenden führen aber nur dann zur Unzumutbarkeit, wenn es sich dabei um grobe Verletzungen der Ausbildungspflichten handelt und objektiv betrachtet zu befürchten ist, dass der Betroffene sich im Arbeitsverhältnis auch grob vertragswidrig verhalten wird.
Vorliegende Verstöße reichen nicht.
Die Kammer hält das Fehlverhalten des Auszubildenden letztlich für nicht ausreichend. Die Arbeitgeberin habe z.B. Verstöße bei der Krankmeldung nicht abgemahnt. Die sog. Bedarfsgespräche ließen auch nicht den Schluss zu, dass Neumann hinreichend vor Augen geführt wurde, das ein Beschäftigungsverhältnis in Frage gestellt sei. Auf den verwandten Vordrucken war auch eine Kennzeichnung als Kritikgespräch möglich gewesen, die die Arbeitgeberin aber nicht nutzte. Die Protokollnotizen ließen lediglich erkennen, dass der Mitarbeiter sich zukünftig an die Regeln halten solle. Zwar habe dieser gegen sein Pflichten verstoßen, aber nach Auffassung der Kammer nicht grob.
Kein Arbeitszeitbetrug
Neumann war nachlässig, was seine Erfassung der Arbeitszeiten anging. Es gebe aber keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein systematisches diesbezügliches Vorgehen von Neumann. Da am Schluss des Ausbildungsverhältnisses solche Pflichtverletzungen nicht mehr vorgekommen sind, habe Neumann wohl sein Verhalten geändert und damit liegt aus Sicht des Arbeitsgerichts hier keine negative Prognose vor.
Fehlende Fachberichte/Feedbackgespräche
Auch die weiteren Vorwürfe reichten nicht aus, da für die Feedbackgespräche die Rechtsgrundlage hierzu unklar blieb und bei den Berichten zum einen keine Konsequenzen angedroht waren und zum anderen diese keine Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis haben können, da dort vergleichbare Pflichten nicht bestehen.
Etwaige Pflichtverletzungen nach der Begründung des Arbeitsverhältnisses könnten hier keine Rolle spielen. Beurteilungszeitpunkt für die Unzumutbarkeit sei der Zeitpunkt der Begründung des Arbeitsverhältnisses und der liege vor den hier angeführten weiteren Verstößen.
Gesamtwürdigung zu Gunsten von Neumann
Die Kammer verkennt nicht, dass sich Neumann in verschiedenen Zusammenhängen als nicht sonderlich zuverlässig dargestellt hat. Es sei aber ein eher strenger Maßstab anzuwenden und das Gesamtverhalten könne nicht gewertet werden, denn dann würde einzelne Pflichtverletzungen möglicherweise mitbewertet obwohl sie sich gerade nicht als grob darstellen. Das wäre allenfalls möglich, wenn es ein systematisches Vorgehen von Neumann gegeben hätte. So wurde der Antrag der Arbeitgeberin abgewiesen.
Das sagen wir dazu:
Das Gericht hat sich sensibel mit allen Aspekten befasst. Es hat klar benannt, dass sich Neumann diverse Male pflichtwidrig verhalten hat. Hätte die Arbeitgeberin abgemahnt oder Kritik- statt Bedarfsgespräche geführt, dann wäre wohl Neumann nicht mehr dort beschäftigt.
Das sagen wir dazu