Das Bundesarbeitsgericht hat den Anspruch der Beschäftigten von Air Berlin auf Zahlung eines Nachteilsausgleich abgewiesen - Copyright by AdobeStock/fotomek
Das Bundesarbeitsgericht hat den Anspruch der Beschäftigten von Air Berlin auf Zahlung eines Nachteilsausgleich abgewiesen - Copyright by AdobeStock/fotomek


Für viele war es überraschend, dass Air Berlin im Jahr 2018 in die Insolvenz gegangen ist. Nachdem bereits im November 2017 sämtlichen Piloten gekündigt wurde, kündigte der Insolvenzverwalter auch den Angestellten, die im Kabinenbereich beschäftigt waren.
 
Kündigungsgrund war die Einstellung des Flugbetriebes. Viele von den Beschäftigten verlangten einen Nachteilsausgleich, da ihrer Meinung nach der Insolvenzverwalter die Betriebsstilllegung bereits begonnen hatte, bevor er mit der Personalvertretung Verhandlungen über einen Interessenausgleich geführt hatte.
 

Was ist ein Interessenausgleich?

 
Nach den Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes muss der Arbeitgeber, der eine Betriebsänderung oder Betriebsstilllegung beabsichtigt, versuchen, mit dem Betriebsrat eine Vereinbarung zu schließen, um die Interessen der Beschäftigten zu wahren und die Folgen der Betriebsänderung  - oft sind das betriebsbedingte Entlassungen  - zu mildern.
 
Zum Beispiel können Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbaren, dass Kurzarbeit eingeführt wird oder Abfindungen gezahlt werden, wenn sich Kündigungen nicht vermeiden lassen.
 
Führt der Arbeitgeber die Betriebsänderung durch, ohne sich um einen Interessenausgleich bemüht zu haben, muss er den gekündigten Beschäftigten einen sogenannten Nachteilsausgleich zahlen. Das ist eine Abfindung, die sich an der Anzahl der Beschäftigungsjahre und dem Gehalt orientiert.
 

Hat der Insolvenzverwalter von Air Berlin sich um ein Interessenausgleich bemüht?

 
Genau um diese Frage ging es in den mehreren hundert Verfahren, die vor den Arbeitsgerichten laufen. Die Arbeitnehmerinnen  - es handelt sich größtenteils um Stewardessen  - warfen dem Insolvenzverwalter vor, bereits mit dem Ausspruch von Kündigungen begonnen zu haben, bevor er mit der Personalvertretung Verhandlungen über einen Interessenausgleich durchgeführt hatte.
 
Der Insolvenzverwalter war anderer Meinung: Er verwies darauf, dass eine Einigungsstelle, die über die Interessenausgleich entscheiden sollte, angerufen worden sei. Diese habe sich allerdings für unzuständig erklärt.
 

Regeln des Betriebsverfassungsgesetzes galten nicht für das Flugpersonal

 
Ein großes Problem für die Klägerinnen war, dass die Vorschriften des Betriebsverfassungsgesetzes über den Interessenausgleich und Nachteilsausgleich in der damaligen Form nicht für das Flugpersonal galten.
 
Diese Regelung wurde mittlerweile geändert, was den Klägerinnen aber nicht half, weil die Gerichte die Gesetze in der Fassung anwenden mussten, wie sie zur Zeit der Betriebsänderung vorlagen. Es gab jedoch einen Tarifvertrag, den die Gewerkschaft ver.di und die Personalvertretung der Kabinenbeschäftigten abgeschlossen hatten.
 
Dieser enthielt eine Regelung, die der gesetzlichen Regelung im Betriebsverfassungsgesetz entsprach.
 

Bundesarbeitsgericht: Tarifvertrag gilt nicht

 
Wohl für alle Beteiligten überraschend hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass die Klägerinnen sich nicht auf diese Regelung berufen konnten, um einen Nachteilsausgleich zu erhalten.
 
Denn die Gewerkschaft ver.di und die Personalvertretung Kabine konnten in dem Tarifvertrag nur die Angelegenheiten der Kabinenbeschäftigten regeln und nicht auch die der anderen Beschäftigten, beispielsweise der Mitarbeiter im Cockpit. Die Personalvertretung habe somit mit dem Insolvenzverwalter nur über Maßnahmen verhandeln können, die ausschließlich die Beschäftigten des Bereichs Kabine betrafen. Das sei hier aber nicht der Fall gewesen, da der Insolvenzverwalter zuerst den Piloten und erst dann den Kabinenbeschäftigten gekündigt habe. Die Maßnahme habe somit auch andere betroffen.
 
Nach der Regelung im Tarifvertrag sollten jedoch auch diese mit einbezogen sein. Das sei jedoch mit dem Tarifvertragsgesetz nicht zu vereinbaren.
 

Keine Anspruchsgrundlage, keinen Nachteilsausgleich

 
Damit enthält der Tarifvertrag nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keine wirksame Regelung, die vorschreibt, dass der Arbeitgeber einen Nachteilsausgleich zu zahlen hat, wenn er ein bestimmtes Procedere nicht einhält.
 
Den Klagen der Kabinenbeschäftigten wurde somit der Boden unter den Füßen weggezogen mit der Folge, dass sie abgewiesen wurden.
 
Mehr dazu kann erst gesagt werden, wenn das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in vollständiger Form vorliegt.
 
Hier geht es zu der Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts


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Pflichtverstoß des Arbeitgebers kann zu höherer Abfindung führen

Rechtliche Grundlagen

Betriebsverfassungsgesetz

§ 113 Nachteilsausgleich

(1) Weicht der Unternehmer von einem Interessenausgleich über die geplante Betriebsänderung ohne zwingenden Grund ab, so können Arbeitnehmer, die infolge dieser Abweichung entlassen werden, beim Arbeitsgericht Klage erheben mit dem Antrag, den Arbeitgeber zur Zahlung von Abfindungen zu verurteilen; § 10 des Kündigungsschutzgesetzes gilt entsprechend.
(2) Erleiden Arbeitnehmer infolge einer Abweichung nach Absatz 1 andere wirtschaftliche Nachteile, so hat der Unternehmer diese Nachteile bis zu einem Zeitraum von zwölf Monaten auszugleichen.
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten entsprechend, wenn der Unternehmer eine geplante Betriebsänderung nach § 111 durchführt, ohne über sie einen Interessenausgleich mit dem Betriebsrat versucht zu haben, und infolge der Maßnahme Arbeitnehmer entlassen werden oder andere wirtschaftliche Nachteile erleiden.