Typischerweise knüpft das System der Sozialversicherung an die Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis an. Entscheidend ist, ob man beschäftigt ist, nicht dagegen, wo die Beschäftigung tatsächlich ausgeübt wird - sei es in einem Betrieb, sei es im Außendienst oder sei es eben zu Hause.

Obwohl es Arbeitgeber gibt, die ihren Beschäftigten einen Arbeitsplatz zu Hause einrichten, indem sie entsprechendes Mobiliar und technische Voraussetzungen schaffen und die Kosten hierfür übernehmen (so beschreibt § 2 Abs. der Arbeitsstättenverordnung den Telearbeitsplatz), ist dies in der aktuellen Situation keineswegs selbstverständlich und der Begriff „Homeoffice“ umfasst deutlich mehr als der offizielle Begriff „Telearbeitsplatz“.

Vielmehr ist die aktuelle Situation dadurch gekennzeichnet, dass relativ kurzfristig Entscheidungen getroffen werden müssen. Es geht nicht allein um die Frage, ob die Arbeit von Zuhause aus verrichtet werden kann und darf, sondern auch darum, die Kinder, die jetzt nicht mehr in den Kindergarten oder zur Schule gehen können, zu betreuen.

Home-Office führt dazu, dass privates und berufliches miteinander vermischt werden und insbesondere dann, wenn Zuhause kein eigener geeigneter Arbeitsplatz zur Verfügung steht, auch eine räumliche und organisatorische Trennung nur schwer zu vollziehen ist.

Für den Bereich der Kranken-und Pflegeversicherung, der Rentenversicherung und der Arbeitslosenversicherung spielen diese Umstände keine Rolle. Am Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und einer Beschäftigung ändert sich insoweit nichts.

Die Vermischung von Beruflichem mit Privatem hat allerdings Auswirkungen im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung, weil die klare Abgrenzung zwischen beruflich und privat verloren geht.

Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, wie er sich für Beschäftigte insbesondere aus § 2 Abs. 1 Nummer 1 SGB VII ergibt, bleibt unberührt.

Fraglich wird im Homeoffice jedoch sehr schnell, ob ein Unfall infolge einer versicherten Tätigkeit erlitten wurde, wie es § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII vorsieht.

Vereinfacht gesagt bedeutet die Definition des Arbeitsunfalls in § 8 SGB VII, dass Unfälle nur dann als Arbeitsunfälle anerkannt werden können, wenn sie sich im Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit ereignen. Klassische Unfallgeschehen, wie beispielsweise das Stolpern über eine Türschwelle, das Abrutschen von einer Treppenstufe oder das Stoßen an einer Tischkante passieren im häuslichen Bereich ebenso wie im betrieblichen Umfeld. Und statistisch betrachtet passieren die meisten Unfälle im Haushalt.

Im Rahmen des Home Office verliert das häusliche Umfeld allerdings seinen privaten Charakter, da es eben auch beruflich genutzt wird. Der gleiche Unfallhergang stellt sich damit entweder als ein unversichertes Geschehen dar, weil es im Rahmen der normalen Haushalt- oder Lebensführung geschehen ist, oder aber eben als versicherter Arbeitsunfall, wenn es im Zusammenhang mit der betrieblichen Verrichtung zum Unfall gekommen ist.

Damit hängt die Frage, ob die Tätigkeit im Home Office ebenfalls unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht und auch ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt werden kann, nicht so sehr vom eigentlichen Unfallgeschehen ab, sondern von der Tätigkeit, die zum Unfallzeitpunkt tatsächlich verrichtet worden ist oder verrichtet werden sollte.

Das Bundessozialgericht hat sich in mehreren Entscheidungen mit der Frage befasst, wann Unfälle im häuslichen Umfeld als Arbeitsunfall anzuerkennen sind.

Es hat in seinen Entscheidungen darauf abgestellt, dass die subjektive Handlungstendenz bei der zum Zeitpunkt des Unfalles ausgeübten Verrichtung von Bedeutung ist, also die Frage, ob eine dem Unternehmen dienende oder eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wurde oder werden sollte.

Diese subjektive Absicht muss dabei durch äußere Umstände und Indizien nachweisbar sein, die schlichte eigene Aussage reicht dabei nicht aus. Es hat eine Prüfung der Gesamtumstände zu erfolgen, die gegeneinander abgewogen werden müssen. Entscheidend ist die „finale Handlungstendenz“ des Versicherten zur Zeit des Unfallereignisses oder  - synonym gebraucht  - der „Zweck seines Handelns“(BSG v. 05.05.1994 - 2 RU 26/93 - SozR 3-2200 § 548 Nr. 19.). Dieser Zweck muss anhand objektiver Anhaltspunkte nachvollziehbar sein (ebd.) und ist vom grundsätzlichen Handlungsmotiv  - den Beweggründen für den Entschluss tätig zu werden  - zu trennen. Ist also diese eine Handlung 

a) Wirkursache für Unfall und Schaden und 

b) dem Unternehmen dienend, 


liegt eine Handlungstendenz vor.

In der Praxis stellt es also einen großen Unterschied dar, ob ich von meiner betrieblichen Tätigkeit, die ich am Küchentisch ausgeübt habe, zum Beispiel die Arbeit am Laptop, aufgestanden bin, um die Tür zu öffnen, weil es geklingelt hat oder aber, ob ich aufgestanden bin, um Unterlagen aus meiner Aktentasche zu holen, die im Flur neben der Wohnungstür steht.

Die Aussage: „Ich wollte die Wohnungstür öffnen“ würde auf eine private Tätigkeit hinweisen, während die Aussage: „Ich wollte die Unterlagen aus der Aktentasche holen“ deutlichen beruflichen Bezug hat.

Damit ist geklärt, dass auch Unfälle im Home Office als Arbeitsunfall anerkannt werden können, die Anerkennung jedoch sehr stark von den Umständen des Einzelfalles abhängig ist. Die Frage der Häufigkeit oder Intensität der Nutzung des häuslichen Umfeldes für Tätigkeit spielt dabei keine Rolle mehr,

Entscheidungen des Bundessozialgerichts:


Derzeit geht die Rechtsprechung noch davon aus, dass eine Arbeit im Homeoffice auch vom Arbeitnehmer erwünscht ist und er aus diesem Grunde die Risiken zum Teil zu tragen hat. Wie die Situation von angeordnetem Homeoffice oder Quarantänemaßnahmen zu bewerten sein wird, ist derzeit nicht abzusehen, bietet aber Gelegenheit auch solche Tätigkeiten unter Versicherungsschutz zu stellen, die bislang nicht anerkannt sind.

 

Thomas Kohlrausch (Jurist)

Gewerkschaftlichen Centrums für Revision und Europäisches Recht in Kassel der DGB Rechtsschutz GmbH