Mit seiner Entscheidung vom 10. November 2021 bestätigte das Bundesarbeitsgericht (BAG) eine Entscheidung des Hessischen Landesarbeitsgerichts (LAG) vom 12. März 2021.

Fahrradkuriere, so das BAG, haben grundsätzlich Anspruch darauf, dass der Arbeitgeber ihnen ein verkehrstüchtiges Fahrrad und - wenn für die Arbeit erforderlich - auch ein Smartphone zur Verfügung stellt.

Skandalöse Arbeitsverhältnisse

Hiervon kann man zwar im Arbeitsvertrag abweichen, aber nur, wenn dies in den Allgemeinen Geschäftsvereinbarungen (AGB) festgeschrieben wurden und die Lieferanten*innen einen angemessenen finanziellen Ausgleich für die Nutzung des eigenen Fahrrads und ihres Handys bekommen.

Geklagt hatte ein Fahrradlieferant aus Hessen. Zu seinen Aufgaben gehörte es, bestellte Speisen und Getränke von Restaurants abzuholen und sie zu den Kunden zu bringen. Seine Aufträge erhielt er per Smartphone-App. Pro gearbeiteter Stunde bekam er 25 Cent Reparaturpauschale für sein Fahrrad gutgeschrieben, die er aber nur bei einem festgeschriebenen Vertragspartner einlösen konnte. Diese Regelung wurde in den AGB des Vertrags getroffen.

Der durch Juristen*innen der DGB Rechtsschutz GmbH vertretene Lieferant klagte darauf, ein verkehrstüchtiges Fahrrad und ein internetfähiges Mobiltelefon zu bekommen. Der Arbeitgeber indes vertrat die Auffassung, dass Fahrer*innen ohnehin ein Fahrrad und ein Handy besäßen und durch die eigene Nutzung nicht übermäßig belastet würden.

Arbeitgeber muss Arbeitsmittel bereitstellen

Im März gab das Hessische LAG der Klage des Fahrers statt. Das Berufungsgericht kam zu dem Ergebnis, das sich der Lieferdienst durch die Regelung im Vertrag von Anschaffungs- und Betriebskosten entlastet; das Risiko für Verschleiß, Wertverfall, Verlust und Beschädigung hingegen voll beim Fahrer liege. Hierfür habe es keinen angemessenen Ausgleich gegeben, da der Fahrer beispielsweise in der Wahl der Fahrradwerkstatt nicht frei gewesen sei.

Ein finanzieller Ausgleich für die Nutzung des Handys, so die Richter*innen des LAG, sei überhaupt nicht vorgesehen. Der klagende Fahrer könne also auf ein vom Arbeitgeber bereitgestelltes Handy und Fahrrad bestehen. Dieser Argumentation folgte das BAG. Denn, so das Revisionsgericht:

 

"Das widerspricht dem gesetzlichen Grundgedanken des Arbeitsverhältnisses, wonach der Arbeitgeber die für die Ausübung der vereinbarten Tätigkeit wesentlichen Arbeitsmittel zu stellen und für deren Funktionsfähigkeit zu sorgen hat.
Mithin müsse der Arbeitgeber für die Arbeitsmittel sorgen."

Ausbeutung einen Riegel vorgeschoben

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers, Thomas Heller vom Gewerkschaftlichen Centrum für Revision und Europäisches Recht der DGB Rechtsschutz, erklärte dazu:
"Der Senat hat ein Grundsatzurteil gefällt. Er stellt erstmals klar, dass Fahrradlieferant*innen einen Anspruch darauf haben, dass ihr Arbeitgeber ihnen die essenziellen Arbeitsmittel - Fahrrad und Smartphone - zur Verfügung stellt. Damit ist es gelungen, deren Rechtsposition deutlich zu stärken."

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Hier finden Sie die Pressemitteilung des BAG vom 10.11.2021:

Arbeitgeber muss Fahrradlieferanten Fahrrad und Mobiltelefon als notwendige Arbeitsmittel zur Verfügung stellen - Das Bundesarbeitsgericht

 

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Das sagen wir dazu:

Der Fahrradkurier bringt sein eigenes Fahrrad mit und muss dafür sorgen, dass es immer verkehrstüchtig ist? Das klingt nicht nur schräg, es verstößt auch in eklatanter Weise gegen das Grundprinzip des Arbeitsrechts, nach dem der Arbeitgeber das unternehmerische Risiko trägt – im Gegenzug allerdings den unternehmerischen Erfolg einfährt.

Gesetz unterbindet Verlagerung des unternehmerischen Risikos

Arbeitnehmer*innen müssen ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen – mehr nicht. Für die Ausstattung mit Arbeitsmaterial ist der Arbeitgeber verantwortlich. Die Regelung im Fall dreht dieses Verhältnis um. Die Fahrradkuriere tragen damit einen Teil des unternehmerischen Risikos, ohne die Aussicht zu haben, vom unternehmerischen Erfolg zu profitieren.

Das Gesetz hat auf derartige Konstrukte eine klare Antwort: Es hält sie solange für unwirksam, wie der Arbeitgeber nicht nachweisen kann, dass diese Regelung die Beschäftigten nicht unangemessen benachteiligt. Das Gesetz "vermutet“ eine Benachteiligung – und liegt damit meistens richtig.

Auf den Kosten muss der Arbeitnehmer nicht sitzen bleiben

Für eine Nutzung der privaten Ausrüstung spricht, dass die Fahrer*innen sich möglicherweise auf dem eigenen Fahrrad wohler fühlen und damit sicherer bewegen als mit einem Dienstrad und dass sie das private Smartphone in der Regel ohnehin dabei haben, so dass es auch in ihrem Interesse liegen kann, nicht ein weiteres Gerät mitzuschleppen.

Aber auch dann ist nicht einzusehen, warum Kuriere auf den hieraus resultierenden Kosten (Datenvolumen bzw. Reparaturkosten) sitzen bleiben sollen. Hätte der Arbeitgeber Regelung in den Arbeitsvertrag aufgenommen, nach der er diese Kosten übernimmt, wäre das Urteil möglicherweise anders ausgegangen.

Umso erfreulicher ist, dass der Arbeitgeber mit seiner Strategie, alles auf seine Beschäftigten abzuwälzen, nicht durchgekommen ist. Hoffentlich wird das Urteil im Arbeitgeberlager so verstanden, dass es sich durchaus auszahlt, nicht an einer fairen Lastenverteilung zu rütteln. Denn das kann – wie gesehen – nach hinten losgehen.

Rechtliche Grundlagen