Der Azubi erhält während der Haft Freigang für die Ausbildung im Betrieb und der Berufsschule. Copyright by Adobe Stock/bluedesign
Der Azubi erhält während der Haft Freigang für die Ausbildung im Betrieb und der Berufsschule. Copyright by Adobe Stock/bluedesign

Ein Azubi hatte im Mai 2018 eine Lehre zur Fachkraft für Lagerlogistik begonnen. Im Personalbogen machte er bei der Frage zu Vorstrafen und schwebenden Verfahren sein Kreuz bei „Nein“.
 
Das entsprach nicht der Wahrheit. Denn es lief ein Strafverfahren gegen ihn wegen Raubes.

Verurteilung wegen Raubes zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren

Von der Verhandlung und Verurteilung des Azubis im Juli 2018 bekam der Ausbildungsbetrieb erstmal gar nichts mit. Nachdem das Strafurteil aber im Februar 2019 rechtskräftig war, musste der Azubi seine Haftstrafe antreten. Eine Aufforderung der Staatsanwaltschaft erhielt er Ende Mai 2019.
 
Das teilte er seinem Vorgesetzten im Juli 2019 mit. Die Reaktion des Arbeitgebers war wohl nicht wie erhofft. Sie kam Ende September 2019 in Form einer fristlosen Kündigung.
 

Azubi ruft Schlichtungsausschuss der IHK an

Der zuständige Ausschuss für Lehrlingsstreitigkeiten bei der Industrie- und Handelskammer stellte die Kündigung als rechtsunwirksam fest. Von der Möglichkeit, dies beim Arbeitsgericht überprüfen zu lassen, machte der Ausbildungsbetrieb keinen Gebrauch.
 
Dann wollte man sich aber doch vom Azubi trennen und erklärte die Anfechtung des Ausbildungsvertrages wegen arglistiger Täuschung. Der Azubi rief wieder den Ausschuss bei der IHK an, der sich allerdings für nicht zuständig erklärte. Damit war der Weg frei für ein Klageverfahren beim Arbeitsgericht Bonn.
 

Ausbildungsvertrag ist nicht wegen arglistiger Täuschung nichtig

Das Arbeitsgericht gab dem Azubi Recht. Es stellte fest, dass das Ausbildungsverhältnis fortbesteht.
 
Kein Problem stellte die vorherige Kündigung aus demselben Grund dar. Das Recht zur Anfechtung werde nicht durch eine erst ausgesprochene Kündigung verbraucht.
 
Das Gericht wertete die falsche Angabe des Azubis zu schwebenden Verfahren nicht als arglistige Täuschung. Denn diese Frage des Ausbildungsbetriebs sei nicht zulässig gewesen.
 

Das Fragerecht des Arbeitgebers

Das Gericht konnte sich hier auf eine ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts beziehen. Danach kann der Arbeitgeber nur dann dazu berechtigt sein, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten, wenn er die falsch beantwortete Frage überhaupt stellen durfte. War die Frage unzulässig, hat auch die Lüge keine Konsequenzen.
 
Die Frage nach Vorstrafen ist nicht per se unzulässig. Informationen dazu darf der Arbeitgeber einholen, wenn es der spezielle Arbeitsplatz erfordert. Auch die Frage nach anhängigen Strafverfahren kann zulässig sein. Das kann im Einzelfall so sein, wenn der Bewerber wegen der Straftat ungeeignet für die Stelle sein könnte. Wer mehrfach Diebstähle begangen hat, ist eventuell nicht für eine Bank geeignet. Bewerber, die wegen Delikten zu Lasten von Kindern verurteilt wurden, darf man getrost als Erzieher*in ausschließen.
 
Das Persönlichkeitsrecht des Bewerbers und das Datenschutzrecht sind zu beachten und können das Fragrecht des Arbeitgebers einschränken.
 

Geheimhaltungsinteresse des Bewerbers ist zu beachten

Das Arbeitsgericht wertete im Ergebnis die unspezifische Frage nach Ermittlungsverfahren jeglicher Art als zu weitgehend. Das Informationsinteresse des Arbeitgebers sei zwar schutzwürdig, die pauschale Frage nach Vorstrafen und schwebenden Verfahren falle aber nicht mehr unter diesen Schutz.
 
Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, das laufende Strafverfahren von sich aus zu offenbaren. 
 

Arbeitgeber hat Berufung beim Landesarbeitsgericht Köln eingelegt

Um die Lehre fortzuführen, muss der Azubi die Haftstrafe nicht abwarten. Er erhält währenddessen für die Ausbildung im Betrieb und der Berufsschule Freigang.
 
Allerdings ist das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn nicht rechtskräftig und die Zukunft des jungen Mannes weiter ungewiss.
 
 
LINKS:
Das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn ist hier im Volltext nachzulesen
 
Lesen Sie allgemein zum Fragerecht des Arbeitgebers:
Haben Lügen kurze Beine?

Unzulässige Fragen im Vorstellungsgespräch

Das sagen wir dazu:

Sicher kann man hier Verständnis für die Reaktion des Arbeitgebers haben. Der Azubi hat die Lage nicht verbessert, als er nach der Verurteilung noch sehr lange abwartete, bis er seinen Vorgesetzten informierte. „Aussitzen“ ist nicht unbedingt eine Lösung.

Aber auch der Arbeitgeber ließ sich Zeit. Zu viel Zeit, bis er im September die fristlose Kündigung aussprach. Denn dafür hatte er nach dem Gesetz nur zwei Wochen Zeit, nachdem er im Juli von der anstehenden Haft des Azubis erfuhr. Die Anfechtung des Ausbildungsvertrages erfolgte erst Ende November.   
 

Arbeitsplatzbezogene Frage könnte zulässig sein

Hätte der Ausbildungsbetrieb die Frage auf bestimmte Delikte beschränkt, wäre sie wohlmöglich zulässig gewesen. Das musste das Arbeitsgericht nicht entscheiden, geht aber dennoch im Urteil darauf ein. Einiges spreche dafür, dass die konkrete Frage nach Ermittlungsverfahren wegen Vermögensdelikten zulässig gewesen wäre, so heißt es.

Der Raub ist zwar kein Vermögensdelikt, sondern ein Eigentumsdelikt, es wird aber klar, worum es geht. Der Azubi hat in der Logistik Zugriff auf hochwertige Vermögensgüter. Es könnte deshalb zulässig sein, bei Einstellung konkret nach Vorstrafen und laufenden Verfahren zu fragen, die Rückschlüsse darauf geben, ob der Bewerber das Vermögen/Eigentum des Arbeitgebers respektieren wird.  

Azubi sollte sich rehabilitieren können

Die Frage war aber nun mal unspezifisch formuliert und damit unzulässig. Der Azubi durfte „Nein“ ankreuzen, auch wenn das nicht die Wahrheit war. Sollte er seine Ausbildung fortsetzen können, sollte er die Chance nutzen und beweisen, dass er trotz seiner Verurteilung wegen Raubes vertrauenswürdig ist.

Grade ein junger Mensch sollte diese Möglichkeit erhalten. Die Haftstrafe dient auch dazu, seine Schuld gegenüber der Gesellschaft zu sühnen. Dem Grundgedanken der Rehabilitation würde es widersprechen, wenn es dem jungen Mann aufgrund seiner Straftat verwehrt bliebe, seine Zukunft in richtige Bahnen zu führen. Und dafür ist eine abgeschlossene Ausbildung elemantar.