Wollen Arbeitgeber Geld für eine Fortbildung zurück, sollten Arbeitnehmer*innen den zugrundeliegenden Vertrag auf jeden Fall überprüfen lassen. Copyright by Adobe Stock/Daniel Berkmann
Wollen Arbeitgeber Geld für eine Fortbildung zurück, sollten Arbeitnehmer*innen den zugrundeliegenden Vertrag auf jeden Fall überprüfen lassen. Copyright by Adobe Stock/Daniel Berkmann

Neumann ist Krankenpfleger. Sein Arbeitgeber war bereit, ihm eine umfangreiche berufsbegleitende Weiterbildung zum Intensivpfleger mit Zusatzqualifikationen zu gewähren. Diese Weiterbildung dauerte zwei Jahre. Er wurde rund 700 Stunden unter Fortzahlung der Vergütung freigestellt. Die Kosten der Maßnahme betrugen etwa 5.000 €. Sein Chef hatte ihm einen Fortbildungsvertrag vorgelegt, in dem unter anderem stand, in welchem Fall Neumann zur Rückzahlung von Kosten verpflichtet sein soll.
 

Rückzahlungsklauseln sind grundsätzlich zulässig

Streit nach der Fortbildung kommt häufiger vor. Zu vielen Detailfragen gibt es gerichtliche Entscheidungen. Die einzelnen Bedingungen zur Rückzahlung unterliegen der sogenannten Angemessenheitskontrolle gem. § 307 BGB, denn sie müssen jeweils auch die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen. Unangemessen benachteiligende Klauseln machen die Rückzahlungsvereinbarung insgesamt unwirksam. Das heißt, sie werden nicht auf das zumutbare Maß gekürzt, sondern der Arbeitnehmer muss dann gar nichts zurückzahlen.
 

Arbeitnehmer muss sein Rückzahlungsrisiko einschätzen können

Eine Rückzahlungsvereinbarung muss nicht schriftlich vereinbart werden, wird es aber aus Beweiszwecken wohl regelmäßig. Sie ist bereits unwirksam, wenn sie nicht vor Beginn der Maßnahme geschlossen wurde. Der Mitarbeiter muss wissen, auf was er sich einlässt (siehe Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein, Urteil vom 21.08.2019 - Az. 3 Sa 67/19).
 
Falls die Kosten im Voraus noch nicht feststehen, müssen die Angaben zumindest so konkret sein, dass der Mitarbeiter sein Rückzahlungsrisiko einschätzen kann (siehe Landesarbeitsgericht Köln Urteil vom 04.04.2019 - Az. 6 Sa 444/18) Erforderlich ist die genaue und abschließende Bezeichnung der einzelnen Positionen, z.B. Lehrgangsgebühren, Vergütung für freigestellte Tage, Reisekosten etc. sowie deren Berechnung (so Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 6.8.13 - Az. 9 AzR 442/12).
 
Das war bei Neumann der Fall, so konkret wie möglich, war alles aufgeführt.
 

Die Bindungsdauer muss angemessen sein

Die Bindungsdauer muss in einem angemessenen Verhältnis zur Art und Dauer der Fortbildung sowie zu den Kosten stehen und zu den Vorteilen die der Mitarbeiter durch die Fortbildung erlangt. Die nachstehenden Zeitkorridore sind nur eine Faustformel für die zulässige Bindungsdauer.
Fortbildung
bis zu einem Monat -  Bindung bis zu sechs Monaten,
bis zu zwei Monaten - Bindung bis zu einem Jahr ,
bis zu vier Monaten - Bindung bis zu zwei Jahren,
bis zu einem Jahr - Bindung bis zu drei Jahren,
mehr als 2-jährige Dauer -  Bindung von bis zu 5 Jahren.
Der Einzelfall darf aber nie außer Acht gelassen werden, bei 2 Tagen Fortbildung zum Beispiel wird eine Bindung bis zu 6 Monaten eher unwirksam sein. Vermittelt die Fortbildung nur Spezialkenntnisse, die dem Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt kaum von Vorteil sind, wird wohl nur eine kürzere Bindungsfrist angemessen sein.
 
Neumann kann mit der Qualifikation bei vielen Krankenhäusern arbeiten, er war über 4 Monate freigestellt, die Bindungszeit war mit 24 Monaten angemessen.
 

Pro Monat Betriebstreue muss sich der Rückzahlungsbetrag reduzieren

Die Bindungsfrist muss mit einem Abschmelzen des Rückzahlungsbetrages einhergehen. Jeder Monat der Betriebstreue muss also die Rückzahlungssumme verkleinern. Dabei bietet sich an, die Monate der Bindungsdauer zu nehmen und für jeden Monat entsprechend zu reduzieren.
 
Bei Neumann heißt das, für jeden Monat der Betriebstreue verringert sich die Rückzahlungssumme um 1/24.
 

Kündigung durch den Arbeitgeber

Chefs fordern dann Geld zurück, wenn der Mitarbeiter während der Bindungsfrist die Firma verlässt. Die Klauseln müssen zwischen Arbeitgeberkündigung/Aufhebungsvertrag und Eigenkündigung unterscheiden. Die Arbeitsgerichte erklären Klauseln regelmäßig für unwirksam, wenn sie die durch Art. 12 Grundgesetz garantierte arbeitsplatzbezogene Berufswahlfreiheit des Arbeitnehmers unzulässig einschränken. Das tun sie nur dann nicht, wenn sie bei verständiger Betrachtung einem begründeten Interesse des Arbeitgebers entsprechen sowie die Interessen des Arbeitnehmers angemessen berücksichtigen.
Rückzahlungsklauseln müssen daher unterscheiden, aus welcher Sphäre die Kündigung erfolgt.
Eine betriebsbedingte Kündigung durch den Arbeitgeber kann nicht dazu führen, dass Neumann seine Fortbildungskosten zurückzahlen muss. Etwas Anderes kann gelten, wenn Neumann die Kündigung provoziert und letztlich zu vertreten hat, weil er sich wiederholt arbeitsvertragswidrig verhält. Dazu gibt es in Vereinbarungen oft einen entsprechenden Zusatz.
 
Neumann hat eine Eigenkündigung ausgesprochen.
 

Kündigung durch den Arbeitnehmer

Berechtigte Eigenkündigungen dürfen keine Rückzahlungspflicht auslösen. Das muss aus der Formulierung hervorgehen. Zahlt der Arbeitgeber z.B. wiederholt unpünktlich und Neumann kündigt daher, dann resultiert die Kündigung aus der Sphäre des Arbeitgebers.
 
Will Neumann aber nur die besser dotierte Stelle „nebenan“ antreten, wäre das ein Grund aus seiner Sphäre.
 

Klausel muss danach trennen, ob der Wunsch aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt

In Neumanns Fortbildungsvertrag stand, dass die Rückzahlungsverpflichtung besteht, wenn das Arbeitsverhältnis während der Bindungsfrist auf Wunsch des Arbeitnehmers endet.
Eine solche Klausel scheiterte beim Landesarbeitsgericht Hamm (Urteil vom 11.10.2019 - Az 1 Sa 503/19), weil sie eben nicht die Sphäre berücksichtigt, aus der die Beendigung hervorgeht. Der Arbeitgeber hatte in dieser Sache versucht, durch Auslegung der Klausel die Wirksamkeit zu retten. Gemeint sei, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken, grundlos das Arbeitsverhältnis beende, nur dann solle die Rückzahlungsverpflichtung gelten.
Das Landesarbeitsgericht hält diese Auslegung für nicht richtig. Die Klausel umfasse unterschiedslos eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer, unabhängig davon, welche Gründe der Kläger hat.
 
Neumann muss nichts zurückzahlen.
 

Rückzahlung bei Nichtbestehen der Maßnahme

Die Klausel muss differenzieren, aus wessen Verantwortungsbereich bzw. Risikosphäre der Grund für das Fehlschlagen der Maßnahme kommt. Der Arbeitgeber will erreichen, dass der Mitarbeiter nicht leichtfertig die Maßnahme abbricht oder diese vernachlässigt. Wenn Neumann sich anstrengt und trotzdem wegen Krankheit oder persönlicher Nichteignung abbricht oder die Prüfung nicht besteht, hat er das nicht schuldhaft herbeigeführt.
Nur, falls ein von ihm steuerbares Verhalten vorliegt, z.B. unentschuldigtes Fehlen in der Maßnahme, dann kann ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers bestehen, die Kosten auf ihn abzuwälzen (siehe Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29.10.14 - Az 17 Sa 274/14)
 

Nicht überall, wo Darlehen draufsteht ist auch Darlehen drin

Neumanns Arbeitgeber ist bekannt, wie schwierig es ist, eine Rückzahlung gerichtlich durchzusetzen. Er vereinbarte mit Neumann statt einem Fortbildungsvertrag ein Darlehen in Höhe der Fortbildungskosten mit dem stufenweisen Erlass für jeden Monat der Betriebstreue.
 
In einem solchen Fall hat das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein (Urteil vom 21.8.19 - Az. 3 Sa 67/19) klargestellt, dass es nicht ausreicht etwas als Darlehen zu bezeichnen. Es gelten die gleichen Anforderungen, wie an eine Rückzahlungsvereinbarung.
 

Im Arbeitsgerichtsprozess gute Erfolgschancen

Die gesetzlichen Vorschriften missbilligen bereits das Stellen inhaltlich unangemessener Formularklauseln (so BAG Urteil vom 11.12.2018 - Az. 9 AzR 383/18). Wenn die Klausel benachteiligt, kommt es nicht darauf an, ob Neumann ein berechtigtes Interesse hatte, das Arbeitsverhältnis während der Bindungsfrist zu lösen.
Stellt das Arbeitsgericht fest, dass die Bindungsfrist objektiv zu lang, oder die Kosten zu vage benannt, oder das Abschmelzen zu unverhältnismäßig, oder bei der Beendigung das berechtigte Interesse nicht in der Klausel berücksichtigt war, muss Neumann nichts zurückzahlen.
 
Es gibt eine Vielzahl von Entscheidungen der Gerichte, die jeweils einen Rückzahlungsanspruch verneinen, weil die Klauseln an den unterschiedlichen Hürden scheitern. Will also der Arbeitgeber Geld für eine Fortbildung zurück, sollten Arbeitnehmer*innen den zugrundeliegenden Vertrag auf jeden Fall überprüfen lassen. Für Gewerkschaftsmitglieder steht dafür der gewerkschaftliche Rechtsschutz zur Verfügung.