Kein Virus ist dazu in der Lage, das Grundrecht der Tarifautonomie auszuhebeln. Copyright by Adobe Stock/Thomas Reimer
Kein Virus ist dazu in der Lage, das Grundrecht der Tarifautonomie auszuhebeln. Copyright by Adobe Stock/Thomas Reimer

 Corona hat uns alle kalt erwischt. Vor einem Jahr haben wir den 70. Geburtstag des Grundgesetzes gefeiert. In vielen Festreden wiesen kluge Menschen darauf hin, dass der politische und wirtschaftliche Erfolg unseres Landes ohne die Garantie von Grundrechten wie die Freiheit der Person, die Unverletzlichkeit der Wohnung, die Meinungsfreiheit oder die Tarifautonomie nicht möglich gewesen wäre. Und es wurde stets betont, dass ein Grund für das Scheitern der Weimarer Demokratie die Möglichkeit war, über Notverordnungen ein permanentes  Notstandsregime zu schaffen, mit dem grundlegende Rechte der Parlamente außer Kraft gesetzt wurden. Notverordnungen sind aufgrund der negativen Erfahrungen in der Weimarer Republik im Grundgesetz nicht vorgesehen.

Die Arbeitsbedingungen regeln in erster Linie die Tarifpartner und nicht Virologen

Jetzt kommt ein Virus daher und man kann gar nicht so schnell schauen, wie es Politikern gelingt, Grundrechte vorübergehend außer Kraft zu setzen. Um Missverständnissen vorzubeugen: Maßnahmen wir Kontaktsperre und Abstandsgebot sind nach allem, was wir wissen, notwendig und retten Leben. Und sie sollen auch gar nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Das schnelle Handeln der Politik war im positiven Sinne beeindruckend.
Wie die Verbreitung eines Virus verhindert oder zumindest eingedämmt werden kann, können nur Fachleute wissen. Und auf dieses Wissen muss der Gesetzgeber zurückgreifen. Aber Fachleute erlassen keine Gesetze. Sie liefern dem Gesetzgeber nur Informationen, auf deren Grundlage er seine Entscheidungen trifft.

Was für den Gesetzgeber gilt, gilt entsprechend auch für die Tarifpartner. Die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen bestimmen in Deutschland ganz wesentlich die Tarifparteien, das sind die Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände sowie auch einzelne Arbeitgeber durch Tarifverträge. Hierbei handelt es sich nicht um einfache Verträge wie Kauf- oder Mietverträge. Durch Tarifverträge werden vielmehr Rechtsnormen geschaffen, die in dem Bereich, in dem sie gelten wie Gesetze wirken. Das nennt sich Tarifautonomie. Diese kann auch der Gesetzgeber nicht einfach aushebeln, denn sie ist durch das Grundgesetz (Artikel 9 Absatz 3) garantiert. Und auch ein Katastrophenfall berechtigt nicht dazu.

Gerade dort, wo Gewerkschaften großen Einfluss haben, leiden die Beschäftigten weniger unter den Auswirkungen der Krise

Die Tarifautonomie gilt auch in Zeiten der Krise und das ist gut so. Denn nur starke Gewerkschaften garantieren, dass nicht nur die Interessen der Unternehmen und die finanzielle Lage des Staates berücksichtigt werden, sondern dass Maßnahmen, die die Arbeitnehmer*innen betreffen, sie nicht mehr als erforderlich belasten. Und Gewerkschaften sorgen dafür, dass Belastungen für die Arbeitnehmer*innen kompensiert oder möglichst weitgehend abgeschwächt werden.

Dafür gibt es viele Beispiele. Gerade dort, wo die Gewerkschaften viel Einfluss haben, müssen Beschäftigte in Kurzarbeit nicht mit nur 60 Prozent ihres Einkommens zurechtkommen.
Wir haben darüber berichtet: „Gesetzliches Kurzarbeitergeld: Deutschland ist Schlusslicht in Europa“
Es gab schon kurz nach Beginn der Krise etliche Tarifverträge, in denen der Interessenslage der abhängig Beschäftigten während der Pandemie Rechnung getragen wird. Sehr schnell konnten Gewerkschaften Regelungen für berufstätige Eltern durchsetzen, die wegen der Kontaktsperre keine Möglichkeit hatten, ihre Kinder betreuen zu lassen. Ein Beispiel hierfür sind die Solidartarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie oder die Tarifverträge über die coronabedingte Freistellung in der Energie- und Versorgungswirtschaft. Hier werden bezahlte Freistellungstage für den Fall geregelt, dass Kindergärten aufgrund behördlicher Anordnung schließen.

Es gibt aber auch weitere tarifliche Bestimmungen in Zusammenhang mit der Pandemie, die Regelungen enthalten, die Arbeitnehmer*innen zugutekommen, etwa die Sonderprämie von 1.500,00 Euro für Pflegekräfte, die Ver.di mit der Bundesvereinigung der Arbeitgeber in der Pflegebranche vereinbart hat.

Eine Lehre aus der Krise: nur gemeinsames und solidarisches Handeln schafft und erhält gute Arbeitsbedingungen

Die Corona-Krise zeigt deutlich: überall dort, wo die Gewerkschaften stark sind, leiden die Beschäftigten deutlich weniger unter den Einschränkungen die Kontaktsperre und Abstandsgebot mit sich bringen. Gewerkschaften können Tarifverträge grundsätzlich nur für ihre Mitglieder abschließen, die letztlich die Arbeit der Gewerkschaften bezahlen.

Es wird viel darüber gesprochen, welche Lehren wir aus der Corona-Pandemie ziehen müssen. Eine Lehre muss sein, dass wir als einzelne Beschäftigte insbesondere in Krisen ziemlich wenig dafür tun können, dass diese uns nicht besonders hart trifft. Dazu gehört aber auch die Erkenntnis, dass in Krisen unsere Schwäche als Einzelner nur besonders zu Tage tritt.
Wenn wir uns die Frage stellen, ob es Sinn macht, Mitglied einer Gewerkschaft zu sein ist es keine Frage danach, was uns das heute, nächste Woche oder an Weihnachten bringt. Ohne starke Gewerkschaften gibt es keine Tarifverträge. In vielen Branchen haben Gewerkschaften schon seit langen Tarifverträge abgeschlossen, nach denen es bei Kurzarbeit Zuschläge oder nach denen es Freistellungen für Kinderbetreuung gibt. Mit oder ohne Krise gibt es immer dort die besten Arbeitsbedingungen, wo viele Beschäftigte organisiert sind.

Eine Tatsache, die uns Corona lehrt, ist: nur gemeinsames und solidarisches Handeln schafft und erhält gute Arbeitsbedingungen. Und dass die Regeln von den Arbeitgebern auch eingehalten werden, dafür steht der gewerkschaftliche Rechtsschutz.
Lesen Sie auch unseren Artikel „Warum freie und starke Gewerkschaften so wichtig sind“