Bundesarbeitsgericht entscheidet bald neu über die Frage, ob unbillige Weisungen zunächst zu befolgen sind.
Bundesarbeitsgericht entscheidet bald neu über die Frage, ob unbillige Weisungen zunächst zu befolgen sind.

Der 10. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat die Frage, ob unbillige Weisungen zunächst zu befolgen sind, dem Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts zur Entscheidung vorgelegt. Dieser wird nun die Rechtsfrage verbindlich zu klären haben.

Bundesarbeitsgericht nicht einig

Der Große Senat ist anzurufen, wenn Senate unterschiedlicher Ansicht über eine Rechtsfrage sind. Dies war hier die Frage, wie unberechtigte (unbillige) Weisungen zu behandeln sind, wenn die Unbilligkeit noch nicht richterlich geklärt ist.

Hierzu hatte der 5. Senat im Jahr 2012 entschieden, dass ein Arbeitnehmer an eine unbillige Weisung des Arbeitgebers solange gebunden ist, bis ein Gericht die Unbilligkeit dieser Weisung rechtskräftig feststellt. Der Arbeitnehmer würde dann seinen Lohnanspruch verlieren, wenn er der unbilligen Weisung nicht nachkommt und könnte auch abgemahnt werden.

Der 10. Senat hat nun die Ansicht vertreten, dass der Arbeitnehmer eine unbillige Weisung des Arbeitgebers auch dann nicht befolgen muss, wenn keine dementsprechende rechtskräftige Entscheidung der Gerichte für Arbeitssachen vorliegt.

Versetzung von Dortmund nach Berlin

Im Fall, den der Senat zu entscheiden hat, war ein in Dortmund tätiger Immobilienkaufmann zunächst für ein halbes Jahr in das „Archiv-Projekt“ nach Berlin versetzt worden. Der Kaufmann empfand dies als willkürliche Maßregelung und weigerte sich, die Stelle anzutreten.

Wegen unerlaubten Fernbleibens wurde er daraufhin abgemahnt, einen Monat später erneut. Schon nach der ersten Abmahnung hatte der Arbeitgeber die Lohnzahlung eingestellt und ihn auch von der Sozialversicherung abgemeldet.

Der Kaufmann klagte sowohl gegen die Versetzung, als auch gegen die Abmahnungen, für seinen Lohn und die Anmeldung bei der Sozialversicherung. Das Landesarbeitsgericht Hamm gab ihm recht. Weil diese Entscheidung gegen die bisherige Rechtsprechung verstieß, musste das LAG die Revision zulassen.

Entscheidung des Großen Senats

Weil der entscheidende Senat sich der Ansicht des LAG anschloss, gibt es am Bundesarbeitsgericht nun eine Meinungsverschiedenheit. Diese ist durch den Großen Senat beizulegen, den der 10. Senat zuständigkeitshalber angerufen hat.

Im Großen Senat sitzt die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts , je ein Berufsrichter aus den anderen neun Senaten sowie je drei ehrenamtliche Richtern aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Es entscheiden also insgesamt 16 Richterinnen und Richter.

Die Anrufung des Großen Senates ist eine absolute Seltenheit. Vor allem deshalb, weil der Senat, von dessen Rechtsprechung abgewichen werden soll vorher die Gelegenheit bekommen hat, hierzu Stellung zu nehmen und damit selbst die Gelegenheit erhält, die eigene Rechtsprechung zu ändern. Hier scheint also ein echter Konflikt zu liegen. Der Große Senat wird diesen Konflikt nun auflösen.

Pressemitteilung des Bundesarbeitsgericht zum Beschluss vom 14. Juni 2017 - Az.:10 AZR 330/16 - 

Lesen sie auch unseren Beitrag zum Urteil des Landesarbeitsgericht Hamm: Sind auch unbillige Weisungen erstmal zu befolgen?

Das sagen wir dazu:

Es ist zu hoffen, dass sich der Große Senat der Meinung des 10. Senats und des LAG Hamm anschließt, wonach unbillige Weisungen nicht vorläufig zu befolgen sind. Denn die bisherige Rechtsprechung führt zu einer untragbaren Risikoverlagerung zu Lasten des Arbeitnehmers.

Dieser wird durch die bisherige Auslegung des Bundesarbeitsgerichts einseitig belastet, weil er sich unrechtmäßigen Anordnungen unterwerfen muss und im Falle der Nichtbefolgung mit Sanktionen zu rechnen hat, die auch dann rechtmäßig bleiben, wenn sich später herausstellt, dass die zu Grunde liegende Weisung unrechtmäßig war.

Dabei ist das Risiko des Arbeitnehmers ohnehin schon hoch. Was „billig“ also gerecht ist, ist eine Frage der Wertung des Einzelfalls. Mag es bei einer Versetzung von Dortmund nach Berlin noch recht offenkundig sein, so gibt es andere Fälle, in denen man sich mit guten Argumenten so oder so entscheiden kann.

Weisung befolgen oder nicht?

Der Arbeitnehmer steht dann vor einem Problem: Entweder er befolgt die Weisung, auch wenn er sie für rechtswidrig hält, arbeitet also an einem anderen Ort oder übt eine andere Tätigkeit aus, inklusive der damit verbundenen Unannehmlichkeiten. Wenn ihm ein Gericht später Recht gibt, hat er sich in der Zwischenzeit einer unbilligen Weisung unterworfen, gegebenenfalls kann er noch Schadensersatz verlangen.

Befolgt er die Weisung nicht, wird er wahrscheinlich abgemahnt oder der Arbeitgeber behält den Lohn ein wegen Arbeitsverweigerung. Dagegen kann er jeweils klagen. Das Gericht prüft dann im Rahmen dieser Verfahren, ob die Weisung in Ordnung war. 

Ist dies der Fall, gewinnt der Arbeitnehmer den Prozess, verliert er, hat er eine Abmahnung in der Personalakte, die später für eine Kündigung herangezogen werden kann und er verliert seinen Lohnanspruch.

In der Beratungspraxis müsste man einem Arbeitnehmer selbst dann raten, die Weisung zunächst zu befolgen, wenn sich die Rechtsprechung ändern sollte. Aber anders als bisher hätte der Arbeitnehmer wenigstens einen Schadensersatzanspruch, in diesem Fall zum Beispiel auf Erstattung der Kosten für Pendeln und Umzug und gegebenenfalls doppelte Haushaltsführung.

Bisherige Rechtsprechung findet keine Stütze im Gesetz

Denn schließlich, und darauf weist nicht nur das LAG Hamm zu Recht hin, findet die bisherige Rechtsprechung keine Stütze im Gesetz. Dies enthält keinen Anhaltspunkt, wonach der Arbeitnehmer verpflichtet ist, eine unbillige Weisung bis zur rechtskräftigen Entscheidung zu befolgen.

Die oben genannten Konsequenzen, nämlich die Gefahr gekündigt zu werden und seinen Lohnanspruch zu verlieren seien vom Gesetz so nicht gewollt. Man kann nur hoffen, dass sich der Große Senat dieser Lesart anschließt.

Rechtliche Grundlagen

§ 106 Gewerbeordnung (GewO), § 45 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)

§ 106 Gewerbeordnung (GewO): Weisungsrecht des Arbeitgebers

Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind. Dies gilt auch hinsichtlich der Ordnung und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb. Bei der Ausübung des Ermessens hat der Arbeitgeber auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht zu nehmen.


§ 45 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG): Großer Senat

(1) Bei dem Bundesarbeitsgericht wird ein Großer Senat gebildet.

(2) Der Große Senat entscheidet, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will.

(3) 1Eine Vorlage an den Großen Senat ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. 2Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, nunmehr zuständig wäre. 3Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) 1Der Große Senat besteht aus dem Präsidenten, je einem Berufsrichter der Senate, in denen der Präsident nicht den Vorsitz führt, und je drei ehrenamtlichen Richtern aus den Kreisen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber. 2Bei einer Verhinderung des Präsidenten tritt ein Berufsrichter des Senats, dem er angehört, an seine Stelle.

(6) 1Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. 2Den Vorsitz im Großen Senat führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. 3Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

(7) 1Der Große Senat entscheidet nur über die Rechtsfrage. 2Er kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. 3Seine Entscheidung ist in der vorliegenden Sache für den erkennenden Senat bindend.