Rückforderung des Arbeitgebers gegen ver.di-Mitglied scheiterte an Ausschlussfristen
Rückforderung des Arbeitgebers gegen ver.di-Mitglied scheiterte an Ausschlussfristen

Die Klägerin ist seit über 16 Jahren als Lagerhilfe bei einem großen Pharmahandel-Unternehmen in Hannover beschäftigt und verdient monatlich maximal 450,00 € brutto. Anfang des Jahres 2014 hat sich ihre Bandscheibenerkrankung so zugespitzt, dass sie nur durch eine Operation vor einem Leben im Rollstuhl bewahrt werden konnte. Der Arbeitgeber hat drei Monate Lohnfortzahlung geleistet. Durch eine Mitteilung der Krankenkasse im April 2014 wurde bekannt, dass die Klägerin wegen einer Vorerkrankung aus dem letzten Jahr in den Monaten Januar, Februar und März keinen Anspruch auf die Entgeltfortzahlung mehr hatte. Da die Klägerin noch nie in ihrem Berufsleben so lange am Stück krank war, hat sie sich über die Dauer der Entgeltfortzahlung gar keine Gedanken gemacht. 

Nachdem das von der DGB Rechtsschutz GmbH vertretene ver.di-Mitglied ab April 2014 wieder anfing zu arbeiten, rechnete der Arbeitgeber stillschweigend mit den laufenden Vergütungsansprüchen auf und zahlte für April und Mai gar keinen Lohn und für Juni 2014 nur einen Teil davon aus. Auf diesem Weg wollte er die zuviel gezahlte Entgeltfortzahlung zurückbekommen.

Aufrechnungsverbot wegen Pfändungsfreigrenzen missachtet

Ein Lohn von knapp 450,00 € liegt jenseits von jeglichen Pfändungsfreigrenzen. Aus diesem Grund darf ein Arbeitgeber niemals einen solch geringen Lohn komplett einbehalten, um eigene Rückzahlungsansprüche zu befriedigen. Beschäftigte haben dann zwangläufig kein Geld zum Leben, obwohl sie die Arbeitsleistung ordnungsgemäß erbracht haben! Schon aus diesem Grund hätte die von uns erhobene Forderungsklage auf Lohnzahlung in vollem Umfang Erfolg gehabt. Was nützt uns aber ein obsiegendes Urteil, wenn der Arbeitgeber den einbehaltenen Lohn auszahlt und danach einfach selbst eine Klage auf Rückzahlung der Entgeltfortzahlung gegen unsere Mandantin erhebt? Da musste eine andere sichere Lösung gefunden werden. 

Ausschlussfristen aus den Tarifverträgen – Plage oder Segen?

Die Juristen der DGB Rechtsschutz GmbH können ein Lied davon singen, wie oft man einen Mandanten enttäuschen muss, weil seine Ansprüche zum Beispiel auf höheren Tariflohn, Zuschläge oder Sonderzahlung aus den vergangenen Monaten wegen abgelaufener Ausschlussfristen aus einem Tarifvertrag nicht durchsetzbar sind. Die Ausschlussfristen betragen in der Regel zwei bis drei Monate ab der Fälligkeit des jeweiligen Zahlungsanspruchs. Sie dienen der Rechtssicherheit im Arbeitsrecht: hat man seinen Anspruch innerhalb der drei Monatenach seiner Fälligkeit gegenüber dem Arbeitgeber nicht schriftlich geltend gemacht, ist der Anspruch verloren, der Arbeitgeber muss nicht zahlen und kann so besser kalkulieren. Bei zweistufigen Ausschlussfristen muss außerdem innerhalb von zwei bis drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung geklagt werden, um den Anspruch durchzusetzen.

Was seltener relevant ist und oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass dieselben Ausschlussfristen genauso für den Arbeitgeber gelten. Er muss sich auch an die drei Monate für die schriftliche Geltendmachung halten. Dazu kommt noch die hohe Hemmschwelle: wenn der Arbeitgeber meint, er habe einen Rückzahlungsanspruch, wird das von den Beschäftigten oft nicht hinterfragt, geschweige denn eingeklagt. Wir sagen aber, es kommt auf die Geschichte hinter dem Rückzahlungsbegehren des Arbeitgebers an. Hat der/die Betroffene – wie hier – zum Zeitpunkt der Überzahlung keine positive Kenntnis davon, dass er/sie keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung mehr besitzt und macht sich der Arbeitgeber bei einer über drei Monate anhaltenden Erkrankung keinen Kopf über die weiter laufende Entgeltfortzahlung, kann er im Prozess nicht mit einer „ungerechtfertigten Bereicherung“ argumentieren.

Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung spielt keine Rolle

In unserem Fall galt eine Ausschlussfrist für die schriftliche Geltendmachung aus dem Manteltarifvertrag Groß- und Außenhandel Niedersachsen von drei Monaten. Der Arbeitgeber argumentierte für den Lauf der Frist zunächst mit dem Zeitpunkt der Kenntniserlangung Ende April 2014 durch das Schreiben der Krankenkasse. In diesem Fall wären alle Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers noch durchsetzbar. Das Besondere an den tariflichen Ausschlussfristen ist aber, dass es auf die Kenntnis der Tatsachen, zum Beispiel einer Überzahlung, überhaupt nicht ankommt. So können Beschäftigte, die Mitte eines Jahres durch die Beratung ihrer Gewerkschaft erfahren, dass ihr Arbeitgeber sie seit einem Jahr unter Tariflohn vergütet, nur für die letzten drei Monate die fehlenden Differenzen geltend machen und einklagen (Ausnahme: Mindestlohn!). Nichts anderes kann für die Arbeitgeber gelten. 

Neue Abrechnungen als schriftliche Geltendmachung des Arbeitgebers?

Ferner war der Arbeitgeber in unserem Fall der Ansicht, dass er mit Erstellung der neuen Abrechnungen Ende April 2014 für die Monate Januar, Februar und März 2014, aus denen die Rückrechnung hervorging, seine Rückzahlungsansprüche schriftlich geltend gemacht habe. Das Arbeitsgericht Hannover sah das anders: die Höhe des zurückgeforderten Betrages war jeweils nicht ohne weiteres zu erkennen und in den Abrechnungen fehlte ein Rückzahlungs-verlangen mit einer Zahlungsfrist. Abgesehen davon, wurden die Abrechnungen der Klägerin erst Ende Juni 2014 persönlich ausgehändigt. Ziemlich enttäuschend war auch der erfundene Vortrag des Arbeitgebers, mit der Klägerin sei die Verrechnung der Überzahlung mit laufenden Vergütungsansprüchen telefonisch vereinbart worden. Auch das ist nicht zulässig, denn die laufenden Vergütungsansprüche wären zum Zeitpunkt der Verrechnung noch nicht fällig gewesen. Die Klägerin hätte sich außerdem auf eine solche Vereinbarung nie eingelassen, denn in ihrem Budget wäre maximal eine Ratenzahlung mit maximal 100,00 € enthalten, um nicht in finanzielle Not zu geraten.

Gerechte Lösung

Natürlich besteht die Gefahr, dass ein finanziell viel stärkerer Arbeitgeber trotz fehlender Erfolgsaussichten eine Klage auf Rückzahlung der Vergütung anstrebt, nur um seine Überlegenheit zu demonstrieren und den/die Arbeitnehmer*in zu ärgern. Im hiesigen Fall haben wir dieser Gefahr vorgebeugt, in dem wir folgenden Vergleich abgeschlossen haben: Die Klägerin verzichtete auf 200,00 € von ca. 1.200,00 € brutto und bekam dafür eine schriftliche Zusicherung, dass der Arbeitgeber keinerlei weitere Ansprüche aus der überzahlten Entgeltfortzahlung gegen sie geltend machen wird. So konnte jeder der Beteiligten sein Gesicht wahren und das Arbeitsverhältnis unbeschwert fortgesetzt werden.