Für das Recht zur Beschwerde gibt es mehrere gesetzliche Grundlagen. Es kann sich ergeben aus
- dem Betriebsverfassungsgesetz,
- dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
und
- dem Arbeitsschutzgesetz.
Das Beschwerderecht nach dem Betriebsverfassungsgesetz
Nach dem Betriebsverfassungsgesetz können Arbeitnehmer*innen ihre Beschwerde direkt an den Arbeitgeber oder an den Betriebsrat richten.
Die Beschwerde richtet sich an den Arbeitgeber
Eine solche Beschwerde ist möglich, wenn sich Arbeitnehmer*innen
. . .vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt . . .“ fühlen.
Eine Beschwerde kommt also etwa in folgenden Fällen in Betracht:
- „Ich fühle mich sexuell belästigt.“
- „Ich bin der/die Einzige, der/die ständig Überstunden machen muss.“
- „Der Pausenraum ist immer so vollgequalmt, dass ich kaum Luft kriege.“
- „An meinem Arbeitsplatz ist es viel zu kalt.“
- „Meine Kollegen machen gleich viele Fehler wie ich, aber der Meister meckert nur bei mir.“
Diese Liste ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass es ausreicht, wenn Arbeitnehmerinnen sich subjektiv benachteiligt oder beeinträchtigt fühlen. Es ist also nicht erforderlich abzuwarten, bis eine Benachteiligung oder Beeinträchtigung offensichtlich zutage tritt.
Der richtige Adressat
Die Beschwerde ist an „. . . die zuständigen Stellen des Betriebes . . .“ zu richten.
Gibt es in einem Betrieb - etwa aufgrund einer Betriebsvereinbarung - eine besondere Beschwerdestelle - beispielsweise eine Gleichstellungsbeauftragte -, müssen sich Arbeitnehmerinnen an diese Stelle wenden.
In allen übrigen Fällen bestimmt der Arbeitgeber kraft seiner Organisationshoheit, wer im Betrieb Adressat für Beschwerden ist. In aller Regel liegt zunächst die Zuständigkeit beim direkten Vorgesetzten. Reagiert dieser nicht oder ist seine Reaktion nicht zufriedenstellend, können Arbeitnehmer*innen ihr Anliegen bei der nächsten Hierarchieebene vorbringen.
Wenden sich Arbeitnehmer*innen an eine unzuständige Stelle, wird die Beschwerde dadurch nicht unwirksam. Vielmehr ist sie von der nicht zuständigen Stelle an die zuständige weiterzuleiten.
Die Mitbestimmung des Betriebsrates
Der Arbeitgeber kann die Zuständigkeit für die Behandlung von Beschwerden bestimmen, ohne den Betriebsrat beteiligen zu müssen.
Aber der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht, wenn es um die Ausgestaltung des Beschwerdeverfahrens geht.
Die Form und die Frist
Eine bestimmte Form ist für die Beschwerde nicht vorgesehen. Arbeitnehmerinnen können sich also sowohl schriftlich (Brief, Fax, E-Mail oder WhatsApp) als auch mündlich (persönliches Gespräch, Telefon, Sprach- Nachricht) beschweren.
Trotzdem ist es ratsam, sich schriftlich an den Arbeitgeber zu wenden. Denn dann ist leichter nachweisbar, dass und wann Arbeitnehmer*innen sich beschwert haben.
Auch eine Frist für die Beschwerde gibt es nicht. Es spielt also keine Rolle, wie lange der Grund für die Beschwerde zurückliegt.
Allerdings empfiehlt es sich nicht, allzu lange zu warten. Denn dann könnte der Eindruck entstehen, dass die Angelegenheit vielleicht doch nicht ganz so wichtig zu sein scheint.
Bekommen Arbeitnehmer*innen „Angst vor der eigenen Courage“, können sie ihre Beschwerde jederzeit problemlos zurücknehmen.
Die Unterstützung durch den Betriebsrat
Auch wenn sich Arbeitnehmer*innen direkt beim Arbeitgeber beschweren, muss der Betriebsrat nicht außen vor bleiben. Denn das Betriebsverfassungsgesetz schreibt ausdrücklich vor, dass Arbeitnehmer*innen „… ein Mitglied des Betriebsrates zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen . . .“ können.
Dies zu tun, empfiehlt sich insbesondere, um Unsicherheiten und Ängste abzubauen oder erst gar nicht entstehen zu lassen. Außerdem kommt Arbeitnehmer*innen so die Erfahrung und das Verhandlungsgeschick von Betriebsräten zugute. Dies gilt umso mehr, als Arbeitnehmerinnen keinen Anspruch darauf haben, dass der Arbeitgeber ihre Beschwerde anonym behandelt.
Die Popularbeschwerde
Eine Beschwerde nach dem Betriebsverfassungsgesetz ist nur möglich, wenn Arbeitnehmer*innen von dem Missstand individuell betroffen sind. Eine Beschwerde wegen allgemeiner Missstände (Popularbeschwerde) sieht das Gesetz nicht vor.
Das Benachteiligungsverbot
Von der Möglichkeit, sich beschweren zu können, machte kaum jemand Gebrauch, wenn deshalb Sanktionen des Arbeitgebers zu befürchten wären.
Deshalb stimmt das Betriebsverfassungsgesetz unmissverständlich klar:
„Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen.“
Dieses Benachteiligungsverbot gilt für berechtigte und unberechtigte Beschwerden gleichermaßen.
Aus dem Benachteiligungsverbot folgt, dass Abmahnungen und Kündigungen unwirksam sind, die der Arbeitgeber allein wegen der Beschwerde ausspricht. Dabei ist allerdings problematisch, dass ein Arbeitgeber kaum jemals zugeben wird, dass die Sanktion ausschließlich wegen der Beschwerde erfolgt ist.
Sanktioniert der Arbeitgeber eine Beschwerde, kann den Arbeitnehmer*innen ein Schadensersatzanspruch zustehen.
Die Reaktion des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber muss die Arbeitnehmerinnen darüber informieren, ob er die Beschwerde für berechtigt hält oder nicht. Weist er sie zurück, ist das Verfahren beendet. Beinhaltet die Beschwerde Rechtsansprüche wie etwa zu wenig bezahlter Lohn, können Arbeitnehmerinnen diese Ansprüche dann beim Arbeitsgericht einklagen. Voraussetzung für eine Klage ist ein erfolgloses Beschwerdeverfahren nicht.
Hält der Arbeitgeber die Beschwerde für berechtigt, ist er zur Abhilfe verpflichtet, sofern ihm das möglich ist. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, obwohl er Abhilfe schaffen könnte, haben Arbeitnehmer*innen die Möglichkeit, sich an das Arbeitsgericht wenden.
Die Beschwerde richtet sich an den Betriebsrat
Auch wenn Arbeitnehmer*innen sich mit ihrer Beschwerde an den Betriebsrat wenden, reicht es aus, wenn sie sich benachteiligt oder beeinträchtigt fühlen. Formvorschriften oder Fristen gibt es ebenfalls nicht.
Der Betriebsrat ist verpflichtet, die Beschwerde entgegenzunehmen. Hält er sie für berechtigt, muss er beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinwirken. Hält der Betriebsrat sie nicht für begründet, lehnt er ihre weitere Behandlung ab und unterrichtet die Arbeitnehmer*innen entsprechend. Dann steht es Arbeitnehmer*innen frei, sich mit ihrer Beschwerde direkt an den Arbeitgeber zu wenden.
Die Einigungsstelle
Haben Betriebsrat und Arbeitgeber unterschiedliche Auffassungen über die Berechtigung einer Beschwerde, kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen.
Ein Spruch der Einigungsstelle, der die Einigung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber ersetzt, ist aber nicht möglich, wenn es bei der Beschwerde um das Bestehen oder Nichtbestehen individualrechtlicher Ansprüche wie etwa Vergütung, Urlaub oder Zeugnis geht. Das gleiche gilt für Ansprüche, die aus dem Gleichbehandlungsgrundsatz und der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers abzuleiten sind. Für alle diese Ansprüche sind die Arbeitsgerichte zuständig. Deshalb sind Fälle, in denen ein Spruch der Einigungsstelle erfolgt, in der Praxis eher selten.
Ergibt sich aus dem Spruch der Einigungsstelle, dass die Beschwerde berechtigt war, ist der Arbeitgeber verpflichtet, ihr abzuhelfen. Tut er das nicht, steht der Weg zum Arbeitsgericht offen.
Die Beschwerde nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz
Beim Arbeitgeber und beim Betriebsrat können sich nach dem Betriebsverfassungsgesetz alle Arbeitnehmer*innen beschweren. Eine Beschwerde nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz können dagegen nur Beschäftigte erheben, die sich benachteiligt fühlen wegen
- der Rasse
- der ethnischen Herkunft
- des Geschlechts
- der Religion oder Weltanschauung
- einer Behinderung
- des Alters
oder
- der sexuellen Identität.
Eine solche Beschwerde ist an die zuständigen Stellen des Betriebs oder Unternehmens zu richten. Die Beschwerde an den Betriebsrat zu richten, ist in einem solchen Fall nicht möglich. Dessen ungeachtet ist er im Falle einer Diskriminierung unabhängig von einer Beschwerde der geeignete Ansprechpartner, dessen Aufgabe es ist, dabei mitzuwirken, die Missstände zu beseitigen.
Auch bei der Beschwerde nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz besteht ein Benachteiligungsverbot.
Die Beschwerde nach dem Arbeitsschutzgesetz
In diesem Gesetz findet sich eine spezielle Regelung für den Fall, dass Beschäftigte der Auffassung sind, „. . . dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu
gewährleisten . . .“
Gibt es für eine solche Auffassung konkrete Anhaltspunkte, müssen die Arbeitnehmer*innen sich zunächst bei ihrem Arbeitgeber beschweren und ihn zur Abhilfe auffordern. Erst wenn er dieser Aufforderung nicht nachkommt, können sie sich an die zuständige Behörde wenden. Das ist in der Regel das Gewerbeaufsichtsamt oder der Unfallversicherungsträger.
Weder durch die Beschwerde beim Arbeitgeber noch durch die bei der zuständigen Behörde dürfen den Beschäftigten Nachteile entstehen.
Rechtliche Grundlagen
§ 84 Beschwerderecht
(1) Jeder Arbeitnehmer hat das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs zu beschweren, wenn er sich vom Arbeitgeber oder von Arbeitnehmern des Betriebs benachteiligt oder ungerecht behandelt oder in sonstiger Weise beeinträchtigt fühlt. Er kann ein Mitglied des Betriebsrats zur Unterstützung oder Vermittlung hinzuziehen.
(2) Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmer über die Behandlung der Beschwerde zu bescheiden und, soweit er die Beschwerde für berechtigt erachtet, ihr abzuhelfen.
(3) Wegen der Erhebung einer Beschwerde dürfen dem Arbeitnehmer keine Nachteile entstehen.
Betriebsverfassungsgesetz
§ 85 Behandlung von Beschwerden durch den Betriebsrat
(1) Der Betriebsrat hat Beschwerden von Arbeitnehmern entgegenzunehmen und, falls er sie für berechtigt erachtet, beim Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken.
(2) Bestehen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Beschwerde, so kann der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen. Der Spruch der Einigungsstelle ersetzt die Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Dies gilt nicht, soweit Gegenstand der Beschwerde ein Rechtsanspruch ist.
(3) Der Arbeitgeber hat den Betriebsrat über die Behandlung der Beschwerde zu unterrichten. § 84 Abs. 2 bleibt unberührt.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 13 Beschwerderecht
(1) Die Beschäftigten haben das Recht, sich bei den zuständigen Stellen des Betriebs, des Unternehmens oder der Dienststelle zu beschweren, wenn sie sich im Zusammenhang mit ihrem Beschäftigungsverhältnis vom Arbeitgeber, von Vorgesetzten, anderen Beschäftigten oder Dritten wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt fühlen. Die Beschwerde ist zu prüfen und das Ergebnis der oder dem beschwerdeführenden Beschäftigten mitzuteilen.
(2) Die Rechte der Arbeitnehmervertretungen bleiben unberührt.
Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)
§ 16 Maßregelungsverbot
(1) Der Arbeitgeber darf Beschäftigte nicht wegen der Inanspruchnahme von Rechten nach diesem Abschnitt oder wegen der Weigerung, eine gegen diesen Abschnitt verstoßende Anweisung auszuführen, benachteiligen. Gleiches gilt für Personen, die den Beschäftigten hierbei unterstützen oder als Zeuginnen oder Zeugen aussagen.
(2) Die Zurückweisung oder Duldung benachteiligender Verhaltensweisen durch betroffene Beschäftigte darf nicht als Grundlage für eine Entscheidung herangezogen werden, die diese Beschäftigten berührt. Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend.
(3) § 22 gilt entsprechend.
Gesetz über die Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Beschäftigten bei der Arbeit (Arbeitsschutzgesetz - ArbSchG)
§ 17 Rechte der Beschäftigten
(1) Die Beschäftigten sind berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. Für Beamtinnen und Beamte des Bundes ist § 125 des Bundesbeamtengesetzes anzuwenden. Entsprechendes Landesrecht bleibt unberührt.
(2) Sind Beschäftigte auf Grund konkreter Anhaltspunkte der Auffassung, daß die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, und hilft der Arbeitgeber darauf gerichteten Beschwerden von Beschäftigten nicht ab, können sich diese an die zuständige Behörde wenden. Hierdurch dürfen den Beschäftigten keine Nachteile entstehen. Die in Absatz 1 Satz 2 und 3 genannten Vorschriften sowie die Vorschriften der Wehrbeschwerdeordnung und des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages bleiben unberührt.