Das Bundessozialgericht (BSG) hat ein Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg aufgehoben, weil ein ehrenamtlicher Richter während der Verhandlung eingeschlafen war.
Auch Tritte helfen nicht
Der ehrenamtliche Richter war schon zu spät zur Verhandlung erschienen. Als er schließlich Platz genommen hatte, schlief „mit auf die Brust gesunkenem Haupt“ sofort ein.
Als die anderen Richter dies bemerkten, versuchten sie, den Schlafenden mit leichten Fußtritten zu wecken - allerdings ohne nachhaltigen Erfolg. Nach etwa einer halben Stunde wachte der Richter von allein wieder auf.
Der Kläger, dessen Klage auf Erwerbsminderungsrente der Senat abgelehnt hatte, griff das Urteil daraufhin vor dem BSG mit dem Einwand an, das Gericht sei nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Das BSG entschied im Sinne des Klägers und verwies die Sache zurück ans Ausgangsgericht.
Wenn Richter schlafen
Das BSG war im Rahmen der Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass ein formeller Verstoß vorliegt. Denn wenn ein Richter schläft oder bewusstlos ist, so ist er im Sinne des Gesetzes nicht „anwesend“ und kann an der Entscheidungsfindung nicht mitwirken. Dies stellt einen Verstoß gegen das grundrechtlich geschützte Recht auf den gesetzlichen Richter dar.
Dabei unterscheidet die Rechtsprechung feinsinnig zwischen unterschiedlichen Formen von müdigkeitsbedingten Ausfällen.
So sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts „Anzeichen großer Ermüdung und ein Kämpfen mit dem Schlaf“ noch keine sicheren Beweise dafür, dass der Richter die Vorgänge in der mündlichen Verhandlung nicht mehr wahrnehmen kann.
Schnarchen verboten
Auch wenn ein Richter mehrerer Minuten die Augen schließt und den Kopf auf die Brust senkt, sei dies noch kein Beweis für den Schlaf. Denn „diese Haltung kann auch zur geistigen Entspannung oder zu besonderer Konzentration eingenommen werden.“
Eine Abwesenheit nehmen die Richter des Bundesverwaltungsgerichts erst an, wenn andere sichere Anzeichen hinzukommen. Also beispielsweise „tiefes, hörbares und gleichmäßiges Atmen oder gar Schnarchen sowie ruckartiges Aufrichten mit Anzeichen von fehlender Orientierung.“
Ein Hochschrecken allein allerdings sei kein sicheres Anzeichen, sondern könne vielmehr auf einen Sekundenschlaf hindeuten. Weil die geistige Aufnahmefähigkeit durch den Sekundenschlaf nicht wesentlich beeinträchtigt sei, liege keine Abwesenheit vor.
Links
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 15.11.2004 - 7 B 56.04
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Man kann davon ausgehen, dass es sich bei dem geschilderten Fall um eine absolute Ausnahme handelt und dass die 60.000 ehrenamtlichen Richterinnen und Richter in der ordentlichen Gerichtsbarkeit und bei den Fachgerichten ansonsten ebenso wach sind, wie ihre hauptamtlichen Kollegen.
Letztere haben es dabei in der Regel leichter, besonders bei den Arbeits- und Sozialgerichten, weil der hauptamtliche Richter oder die hauptamtliche Richterin die Sitzung leitet und allein deshalb weniger in Gefahr ist einzuschlafen (wobei auch das gerüchteweise schon vorgekommen sein soll).
Dabei mag die Konsequenz, die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung zur nochmaligen Beschlussfassung, dem einen oder anderem als zu hart erscheinen. Sie ist aber richtig.
Recht auf den gesetzlichen Richter
Denn wenn ein Richter tatsächlich abwesend ist, weil er schläft, so ist das Gericht nicht ordnungsgemäß besetzt. Gerade im Arbeits- und Sozialrecht haben die ehrenamtlichen Richterinnen und Richter aber eine besondere Funktion: Sie sollen nicht nur den gesunden Menschenverstand, sondern auch ihre spezifische Sachkunde und Sichtweise einbringen.
Diese ergibt sich daraus, dass „Ehrenamtliche“ von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, als Versicherte oder Vertreter der Sozialversicherungsträger entsendet werden. Wenn einer Ehrenamtlichen ausfällt, fällt dessen spezifische und vom Gesetzgeber gewollte Sichtweise weg.
Der Grundsatz einer ordnungsgemäßen Besetzung eines Gerichts ist so zentral, dass er sogar im Grundgesetz als „Anspruch auf den gesetzlichen Richter“ verankert ist. Vor diesem Hintergrund kann es keine andere Entscheidung geben, als dass Urteil aufzuheben. Das Gericht muss sich mit der Sache noch mal in richtiger Besetzung auseinandersetzen. Ob es zu einem anderen Ergebnis kommt, ist dabei unerheblich.
Rechtliche Grundlagen
Art. 101 GG, §§ 33, 12 SGG
(1) Ausnahmegerichte sind unzulässig. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.
(2) Gerichte für besondere Sachgebiete können nur durch Gesetz errichtet werden.
§ 33 SGG
(1) Jeder Senat wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden, zwei weiteren Berufsrichtern und zwei ehrenamtlichen Richtern tätig. 2 § 12 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 bis 5 gilt entsprechend.
§ 12
(1) Jede Kammer des Sozialgerichts wird in der Besetzung mit einem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern als Beisitzern tätig. Bei Beschlüssen außerhalb der mündlichen Verhandlung und bei Gerichtsbescheiden wirken die ehrenamtlichen Richter nicht mit.
(2) In den Kammern für Angelegenheiten der Sozialversicherung, der Grundsicherung für Arbeitsuchende einschließlich der Streitigkeiten auf Grund des § 6a des Bundeskindergeldgesetzes und der Arbeitsförderung gehört je ein ehrenamtlicher Richter dem Kreis der Versicherten und der Arbeitgeber an. Sind für Angelegenheiten einzelner Zweige der Sozialversicherung eigene Kammern gebildet, so sollen die ehrenamtlichen Richter dieser Kammern an dem jeweiligen Versicherungszweig beteiligt sein.
(3) In den Kammern für Angelegenheiten des Vertragsarztrechts wirken je ein ehrenamtlicher Richter aus den Kreisen der Krankenkassen und der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit. In Angelegenheiten der Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten wirken als ehrenamtliche Richter nur Vertragsärzte, Vertragszahnärzte und Psychotherapeuten mit.
(4) In den Kammern für Angelegenheiten des sozialen Entschädigungsrechts und des Schwerbehindertenrechts wirken je ein ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der mit dem sozialen Entschädigungsrecht oder dem Recht der Teilhabe behinderter Menschen vertrauten Personen und dem Kreis der Versorgungsberechtigten, der behinderten Menschen im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch und der Versicherten mit; dabei sollen Hinterbliebene von Versorgungsberechtigten in angemessener Zahl beteiligt werden.
(5) In den Kammern für Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes wirken ehrenamtliche Richter aus den Vorschlagslisten der Kreise und der kreisfreien Städte mit.
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