Die betriebliche Zeiterfassung steht nicht erst seit den neuen Vorgaben durch den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Mai 2019 im Fokus. Auch der Umgang mit der Arbeitszeit während Streikmaßnahmen beschäftigte schon häufig die Gerichte in Deutschland. Streitpunkt: der richtige Umgang mit dem Ein- und Ausstempeln. Für ein IG BCE-Mitglied führte die Auseinandersetzung um seinen Umgang mit dem Zeiterfassungssystem bei seiner Teilnahme am Streik zur Abmahnung. Unterstützt durch das DGB Rechtsschutz Büro Magdeburg erstritt er deren Unwirksamkeit.
 

Vorwurf Arbeitszeitbetrug

Der Anlagenfahrer war während des Streiks angemeldet im System, nahm aber an der Arbeitsniederlegung teil. Dafür erhielt er eine Abmahnung mit u.a. folgender Ausführung: „Eine vorsätzlich falsche Dokumentation der tatsächlich geleisteten Arbeitszeiten stellt einen Fall von Arbeitszeitbetrug dar.“ Aufgrund des groben Verstoßes gegen die arbeitsrechtlichen Pflichten hätte auch eine fristlose Kündigung ausgesprochen werden können, stellte die Firma in dem Abmahnungsschreiben fest.
 
Der Arbeitgeber hatte sich bereits im Vorfeld der 16-stündigen Arbeitsniederlegung im Januar 2020 bei seinen Beschäftigten gemeldet. Per E-Mail wies die Firmenleitung seine Mitarbeiter*innen an, sich für den Streik im Arbeitszeiterfassungssystem auszuloggen und drohte Konsequenzen an, da es sich um einen Arbeitszeitbetrug handeln würde. Zuvor hatte die Gewerkschaft den Beschäftigten nahegelegt, die Zeiterfassung nicht zu nutzen.
 

Vorsicht bei Zeiterfassung

Der damals 34-jährige Anlagenfahrer hatte sich wie gewohnt zu seiner Schicht morgens um 6 Uhr eingestempelt. Der Warnstreik lief bereits seit dem Vorabend um 22 Uhr bis zum Schichtende des Beschäftigten um 14 Uhr. Demnach meldete er sich auch erst für diese Zeit wieder ab. Darin sah der Arbeitgeber den arbeitsvertraglichen Pflichtverstoß und erteilte ihm die Abmahnung.  
 
Die Richter*innen am Arbeitsgericht Magdeburg bestätigten, dass sich der Beschäftigte hätte ausstempeln müssen. Durch das Zeiterfassungssystem war auch er verpflichtet, die realen Zeiten seiner Streikteilnahme durch das Ausstempeln zu Beginn und das Einstempeln bei Beendigung der Teilnahme am Warnstreik zu dokumentieren. Der Streikaufruf berechtigte ihn nicht, die betriebliche Ordnung oder Verhaltensregeln zu missachten, wie hier die Nutzung des Zeiterfassungssystems.
Es sei ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, welche Arbeitszeiten nicht als Arbeitsleistung zu vergüten seien und welche Beschäftigten sich etwa in einem Havariefall auf dem Betriebsgelände aufhielten. Somit lag kein Eingriff in das verfassungsmäßig gesicherte Streikrecht vor. Obwohl diese Ansicht kontrovers betrachtet werden kann, gaben die Richter*innen hier der Arbeitgeber-Meinung Recht.
 

Abmahnung dennoch unwirksam

Das IG BCE-Mitglied hatte also seine Vertragspflichten verletzt. Eine Abmahnung rechtfertigte das jedoch nicht. Denn es handelte sich nicht um einen Arbeitszeitbetrug. Die Firma hatte Kenntnis von dem Streikaufruf der Gewerkschaft mit genauer Streikdauer. Darüber hinaus hatte sie den Streik selbst vor Ort dokumentieren lassen – durch andere Mitarbeiter*innen.
 
„Die Intention des Klägers war nicht, die Streikteilnahme zu verheimlichen und die Beklagte heimlich zu einer Entgeltzahlung zu veranlassen“, so die Richter*innen. Damit war die Abmahnung unbegründet und dem Wunsch des Beschäftigten, diese aus der Personalakte zu entfernen, stattzugeben.

Hier geht es zum Urteil
 
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Bundesarbeitsgericht: Streiks auf dem Betriebsgelände sind möglich

Warnstreik: Was Streikende jetzt wissen müssen

Das sagen wir dazu:

Im Urteil des vorliegenden Falls nahm der Beschäftigte Bezug auf ein BAG-Urteil aus dem Jahr 2005. Darin wurde über das fehlende Ausstempeln für eine Streikteilnahme anders geurteilt: „Würden sich die Beschäftigten vor einem Streik ausstempeln, gingen sie nicht zu einem Warnstreik, sondern zu einer Veranstaltung in ihrer Freizeit“, so das Credo. Das begründete für den Betroffenen einen ungerechtfertigten Lohnabzug.

Dieser Fall hat allerdings keine allgemeine Gültigkeit. Denn der Beschäftigte hatte eine 100-prozentig eigenverantwortliche Arbeitszeitregelung. Nur dies, so das Urteil, stellte eine Ausnahme dar.

Grundsätzlich gilt: Für die Zeit der Streikteilnahme verlieren Arbeitnehmer*innen ihren Vergütungsanspruch. Streikzeit ist immer – egal welche Arbeitszeitregelungen gelten – keine Arbeitszeit. Das gilt z.B. auch für Gleitzeitregelungen. Führt die Streikteilnahme zu einer ihrer Dauer entsprechenden Kürzung der Soll/­Arbeitszeit, hat dies eine entsprechende Minderung der Entgeltzahlungspflicht des Arbeitgebers zur Folge.

Rechtliche Grundlagen

Rechtliche Grundlagen

Abmahnungen:

Enthält die Abmahnung unrichtige Tatsachenbehauptungen oder beruht sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Beschäftigten, kann dieser die Beseitigung dieser Störung verlangen. In Anwendung der §§ 242 und 1004 BGB haben sie grundsätzlich einen Anspruch auf die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte.

Eine Abmahnung ist auch unwirksam, wenn sie auf mehrere Vertragsverstöße gestützt ist und von diesen nur einige zu Unrecht erhoben werden oder sie aus formalen Gründen unwirksam sind. Das stellte das Bundesarbeitsgericht am 19. Februar 2009 (Az.: 2 AZR 603/07) klar.

§ 242 BGB – Leistung nach Treu und Glauben
Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

§ 1004 BGB – Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch
(1) 1Wird das Eigentum in anderer Weise als durch Entziehung oder Vorenthaltung des Besitzes beeinträchtigt, so kann der Eigentümer von dem Störer die Beseitigung der Beeinträchtigung verlangen. 2Sind weitere Beeinträchtigungen zu besorgen, so kann der Eigentümer auf Unterlassung klagen.
(2) Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist.