IG BAU und DGB Rechtsschutz GmbH erreichten jetzt vor dem Arbeitsgericht Osnabrück, dass ein Unternehmen einmal im Jahr zwei Gewerkschaftssekretär*innen der IG BAU den Zutritt zur Kantine zum Zweck de
IG BAU und DGB Rechtsschutz GmbH erreichten jetzt vor dem Arbeitsgericht Osnabrück, dass ein Unternehmen einmal im Jahr zwei Gewerkschaftssekretär*innen der IG BAU den Zutritt zur Kantine zum Zweck de

Es gibt im deutschen Arbeitsrecht leider kein allgemeines Recht von Beauftragten der Gewerkschaften, Betriebe zu betreten, etwa um dort um Mitglieder zu werben. Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) bestimmt in § 2, dass Arbeitgeber und Betriebsrat unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammenzuarbeiten haben.



Der Arbeitgeber ist verpflichtet, einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft den Zutritt zu seinem Betrieb zu gewähren

Damit sie insoweit ihre Aufgaben wahrnehmen können, ist den Beauftragten dieser Gewerkschaften nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren. Das Gesetz gibt also nur Beauftragten einer Gewerkschaft, die im Betrieb vertreten ist, das Recht, vom Unternehmer zu verlangen, ihm den Zutritt zu seinem Betrieb zu gewähren.
Die Beauftragten der Gewerkschaft können nämlich nicht einfach in den Betrieb hineinmarschieren. Dem Unternehmer stehen hier vielmehr zwei vom Grundgesetz geschützte Rechte an der Seite: er verfügt über Eigentumsrechte (Artikel 14 GG) und das Recht auf wirtschaftliche Betätigungsfreiheit, das aus Art.12 Abs. 1 GG folgt.
Dem steht allerdings ein ebenso durch das GG geschütztes Recht der Gewerkschaften gegenüber: Artikel 9 Absatz 3 GG gewährleistet für jedermann und für alle Berufe das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden (Koalitionsfreiheit). Für abhängig Beschäftigte ist die Bildung von Gewerkschaften also ein von der Verfassung geschütztes Grundrecht.


Es stehen sich Grundrechte der Gewerkschaft und des Unternehmens gegenüber, die im Wege der praktischen Konkordanz zum Ausgleich gebracht werden müssen

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) überlässt Art.9 Abs. 3 GG der Gewerkschaft die Wahl der Tätigkeiten und der Mittel, mit denen sie die Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen fördert. Damit gehört zum Grundrecht der Koalitionsfreiheit auch, dass die Gewerkschaft selbst darüber entscheidet, wo und mit welchem Inhalt sie um neue Mitglieder wirbt.Es stehen sich hier also Grundrechte des Unternehmers und der Gewerkschaft gegenüber. Für diesen Fall sind die Grundrechte gegeneinander abzuwägen. Die Rechtswissenschaft hat hier das Prinzip der sogenannten „praktischen Konkordanz“ entwickelt, das nicht ganz unkompliziert ist. Stehen zwei Grundrechte im Widerstreit, müssten beide nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG „mit dem Ziel der Optimierung“ zu einem angemessenen Ausgleich gebracht werden. Dabei käme dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besondere Bedeutung zu. Wichtig dabei sei auch, dass die Grundrechte in ihrer Substanz nicht angetastet würden.Wir hatten bereits im Artikel „Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis“ die „praktischen Konkordanz“ bei der Anwendung von Grundrechten beschrieben: zum Artikel

Eine Gewerkschaft ist im Betrieb vertreten, wenn dort mindestens eines ihrer Mitglieder beschäftigt ist

Ist die Gewerkschaft im Betrieb vertreten, werden die gegenseitigen Interessen dadurch ausgeglichen, dass die Gewerkschaft den Besuchstermin im Betrieb angemessene Zeit zuvor beim Unternehmer ankündigen muss. In der Regel gilt hier eine Frist von einer Woche als angemessen, weil sie dem Arbeitgeber genügend Zeit lässt, etwaige Maßnahmen zu ergreifen, die eine Störung der Betriebsabläufe auf ein Minimum beschränkt.
Lange Zeit unentschieden war die Frage, ob und in welchem Umfang der Unternehmer Beauftragten von Gewerkschaften den Zutritt zum Betrieb gewähren muss, die keine Mitglieder in diesem Betrieb haben.
Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits im November 1995 entschieden, dass sich der Schutz des Art 9 Abs. 3 GG nicht auf diejenigen Tätigkeiten beschränke, die für die Erhaltung und die Sicherung des Bestandes der Koalition unerlässlich seien. Er umfasse vielmehr alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Dazu gehöre die Mitgliederwerbung durch die Koalition und ihre Mitglieder. Die innerbetriebliche Werbung für eine Gewerkschaft während der Arbeitszeit dürfe nicht als unzulässig qualifiziert werden.


Ob der begehrte Zutritt einer Gewerkschaft gewährt werden muss, hängt davon ab, unter welchen Bedingungen und in welchem Umfang die Gewerkschaft ihn will

In einer Entscheidung vom Juni 2010 erklärte das BAG, ein betriebliches Zutrittsrecht der Gewerkschaften zu Zwecken der Mitgliederwerbung während der Pausenzeiten folge aus der der richterrechtlichen Ausgestaltung ihrer durch Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Koalitionsbetätigungsfreiheit. Allerdings sei die Gewerkschaft dabei auf die auf die Mitwirkung des Arbeitgebers angewiesen. An ihm liege es, betriebsfremden Gewerkschaftsbeauftragten den Zutritt zum Betrieb zu gewähren und deren Verbleib auf dem Betriebsgelände zu dulden.
Ob die Gewerkschaft darauf im Falle einer Klage vor dem Arbeitsgericht einen Anspruch habe, käme auf ihren Antrag an. An seinem Inhalt sei nämlich zu erkennen, welchen personellen und organisatorischen Aufwand der Arbeitgeber habe. Man könne auf die mit dem Besuch der Gewerkschaftsbeauftragten einhergehenden Störungen der betrieblichen Abläufe und des Betriebsfriedens schließen. Anhand eines solchen Antrags hätten die Gerichte für Arbeitssachen zu prüfen, ob das konkrete Zutrittsverlangen die gegenläufigen Interessen des Arbeitgebers hinreichend berücksichtige und damit dem Gebot praktischer Konkordanz genüge.


Es bedarf keiner näheren Begründung, wenn eine zuständige Gewerkschaft einmal im Kalenderhalbjahr in Pausenzeiten gewerkschaftliche Werbemaßnahmen im Betrieb durchführen will.

Wenn die Gerichte die schützenswerten Belange des Arbeitgebers gegenüber dem Zutrittsbegehren zu gewichten, könnten sie sich an § 43 BetrVG orientieren, der Betriebs- und Abteilungsversammlungen regelt. Ausgehend von diesem gesetzlich geregelten Fall, in dem der Arbeitgeber den Zutritt betriebsfremder Gewerkschaftsbeauftragter ohne konkrete Angaben von Gründen dulden müsse, bedürfe es keiner näheren Begründung zur Häufigkeit des Zutrittsbegehrens, wenn eine zuständige Gewerkschaft einmal im Kalenderhalbjahr in Pausenzeiten gewerkschaftliche Werbemaßnahmen im Betrieb durchführen wolle.
Unsere Kolleg*innen in Osnabrück waren mit einem Fall beschäftigt, in dem ein Unternehmen, die Pfeifenkopf GmbH (Name von der Redaktion geändert), kaufmännische Dienst- und Serviceleistungen und Verwaltungsaufgaben für die „P-Gruppe“ erbringt. Die „P-Gruppe“ wiederum ist ein Unternehmenskomplex, der im Bereich der Gebäudereinigung tätig ist und zu dem auch die Pfeifenkopf GmbH gehört.


Die Pfeifenkopf GmbH hält Werbeveranstaltungen der Gewerkschaft einmal im Jahr in der Kantine für unzumutbar

Zur Kantine eines Betriebes dieses Unternehmens in Osnabrück wollte die Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU) einmal im Kalenderhalbjahr während der Mittagspausenzeiten der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer in der Zeit von 12:00 Uhr bis 13:30 Uhr zum Zweck der Mitgliederwerbung und der Information über die satzungsmäßigen Aufgaben Zutritt haben.
Die IG BAU ist von ihrem Organisationsbereich her auch für den Wirtschafts- und Verwaltungszweig „Gebäudemanagement" zuständig.
Die Pfeifenkopf GmbH will der Gewerkschaft indessen nicht die Kantine hineinlassen. Der Zutritt von Beauftragten der IG BAU sei nach den vorliegenden Umständen dem Unternehmen nicht zuzumuten. Sie sei im kaufmännischen Bereich tätig und dabei auch mit Verwaltungsaufgaben befasst. Sie betreibe auch die Kantine in dem Objekt in Osnabrück. Die Pfeifenkopf GmbH sei gerade nicht auf dem Gebiet der Gebäudereinigung tätig.


Die Gewerkschaft soll angeblich so abschreckend sein, dass der Kantine die Kunden wegbleiben

Die Kantine werde zudem nicht nur von ihren Mitarbeitern aufgesucht, sondern auch von Mitarbeitern anderer Unternehmen der P-Gruppe sowie auch von Personen, die in keinerlei Beziehung zur Beklagten oder zum Unternehmen der P-Gruppe stehen würden.
Die Pfeifenkopf GmbH gehe mit ihren Werbemaßnahmen und Ansprachen auch auf Personen zu, die von außerhalb kämen. Diese könnten sich durch die Infoveranstaltung der IG BAU gestört fühlen. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass diese Personengruppe dies dann zum Anlass nehme, zukünftig von einem Besuch der Kantine abzusehen, womit ein wirtschaftlicher Schaden für die Pfeifenkopf GmbH einhergehe. Durch die von der Klägerin beabsichtigten Maßnahmen wären sämtliche Kunden der Kantine betroffen. Während der Öffnungszeiten der Kantine würden von den Maßnahmen der Klägerin auch Mitarbeiter betroffen, die zu diesem Zeitpunkt dort ihre Arbeit verrichten würden.


Arbeitsgericht Osnabrück: die IG BAU ist die zuständige Gewerkschaft

IG BAU und DGB Rechtsschutz GmbH erreichten jetzt vor dem Arbeitsgericht Osnabrück, dass die Pfeifenkopf GmbH einmal im Jahr zwei Gewerkschaftssekretär*innen der IG BAU den Zutritt zur Kantine zum Zweck der Mitgliederwerbung und der Information über die satzungsmäßigen Aufgaben dulden muss. Die Gewerkschaft darf insbesondere über die aktuelle Tarifentwicklung sowie den Gesundheitsschutz durch Überreichen von Broschüren, Formularen und Flugblättern informieren. Auch darf sie Einzelgespräche führen.
Das Gericht ist nämlich zu der Überzeugung gelangt, dass die IG BAU die für die Pfeifenkopf GmbH zuständige Einzelgewerkschaft ist. Das folge aus dem Organisationskatalog der Gewerkschaft. In ihrem Bereich falle nämlich nicht nur Gebäudereinigungsdienstleistungen. Vielmehr sei die IG BAU auch zuständig für Unternehmen, ,,deren Zweck überwiegend darauf gerichtet ist, die unter den Organisationsbereich fallenden Betriebe, Unternehmen, Unternehmensgruppen, Konzerne und Wirtschaftsgruppen bei der Verwirklichung ihrer Zielsetzung zu unterstützen", wobei im Klammerzusatz auch die Erbringung von Dienstleistungen aller Art genannt werde.
Diese Voraussetzungen würden bei der Pfeifenkopf GmbH vorliegen. Diese erbringe nämlich nach eigener Darstellung kaufmännische Dienst- und Serviceleistungen und Verwaltungsaufgaben für die Unternehmen der P-Gruppe und damit auch für den Bereich der Unternehmen der P-Gruppe, die im Bereich der Gebäudereinigung tätig seien.


Es spielt keine Rolle, ob es im Betrieb bereits Mitglieder der Gewerkschaft gibt

Unerheblich sei es, ob im Betrieb der Pfeifenkopf GmbH bereits Mitglieder der Gewerkschaft beschäftigt seien oder nicht. Denn die Mitgliederwerbung, die u.a. Zweck des begehrten Zutrittsrechts sei, diene gerade dazu, Arbeitnehmer zur Mitgliedschaft bei der Klägerin aufzufordern und zu gewinnen.
Dem Arbeitgeber sei nach den Grundsätzen, die das BAG aufgestellt habe, zuzumuten, dass zwei Beauftragte der IG BAU einmal im Jahr in der Kantine ihre Veranstaltung abhalten. Da das Zutrittsrecht nur einmal im Kalenderhalbjahr ausgeübt und wahrgenommen werden solle, sei die dadurch verursachte allgemeine Störung der Gäste der Kantine der Beklagten unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten von der Beklagten hinzunehmen. Besondere Sicherheitsinteressen der Beklagten seien nicht betroffen.
Da der Besuchstermin eine angemessene Zeit vorher anzukündigen sei, bleibe der Beklagten auch hinreichend Zeit, Störungen des Betriebsfriedens oder des Betriebsablaufs zu minimieren oder zu verhindern. Dies gelte auch, soweit ,,auswärtige" Gäste die Kantine aufsuchten. Das Niedersächsische Gaststättengesetz enthielte keine Regelungen, die unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten dem Recht der Klägerin auf Koalitionsbetätigung bezüglich des geltend gemachten Zutrittsrechts vorgingen.

Hier geht es zum Urteil: (PDF)

Rechtliche Grundlagen

§ 2 BetrVG
Stellung der Gewerkschaften und Vereinigungen der Arbeitgeber

(1) Arbeitgeber und Betriebsrat arbeiten unter Beachtung der geltenden Tarifverträge vertrauensvoll und im Zusammenwirken mit den im Betrieb vertretenen Gewerkschaften und Arbeitgebervereinigungen zum Wohl der Arbeitnehmer und des Betriebs zusammen.
(2) Zur Wahrnehmung der in diesem Gesetz genannten Aufgaben und Befugnisse der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften ist deren Beauftragten nach Unterrichtung des Arbeitgebers oder seines Vertreters Zugang zum Betrieb zu gewähren, soweit dem nicht unumgängliche Notwendigkeiten des Betriebsablaufs, zwingende Sicherheitsvorschriften oder der Schutz von Betriebsgeheimnissen entgegenstehen.
(3) Die Aufgaben der Gewerkschaften und der Vereinigungen der Arbeitgeber, insbesondere die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder, werden durch dieses Gesetz nicht berührt.