Nachdem Bundestag und Bundesrat das sogenannte Rentenpaket der Bundesregierung beschlossen haben, treten zum 1. Juli 2014 erstmal seit langer Zeit wieder echte Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Ren-tenversicherung in Kraft. Abschlagsfreie Rente ab 63, die Ausweitung der Kindererziehungszeiten für vor 1992 geborene Kinder, bessere Erwerbsminderungsrenten und mehr Geld für die Rehabilitation stellen durchaus einen Wendepunkt in der Rentenpolitik dar. Denn zuletzt kannten die Leistungen der Rentenversicherung nur eine Richtung: Abwärts. Riester-Reform, RV-Nachhaltigkeitsgesetz oder der Beschluss zur „Rente mit 67“ – um nur eine Auswahl zu nennen – führen dazu, dass das Leistungsniveau der gesetzlichen Rente von 2000 bis 2030 um bis zu 30 Prozent gekürzt wird. 

Doch wie so häufig, wenn sozialpolitische Verbesserungen durchgesetzt werden (sollen), war der Aufschrei groß. Gerade auf Seiten der Arbeitgeber und ihrer Lobby, aber auch in weiten Teilen der Medienlandschaft stieß besonderes die Rente mit 63 auf Kritik. Mit dieser temporären Ausweitung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte wurde für vor 1953 Geborene ein abschlagsfreier Rentenzugang ab 63 Jahren ermöglicht, sofern die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt ist. Dabei werden als Neuerung auch Zeiten des Bezugs von Arbeitslosengeld I (ALG I) berücksichtigt. Ab dem Jahrgang 1953 steigt die Altersgrenze in Schritten von zwei Monaten pro Jahr langsam wieder auf 65 Jahre an. Allerdings bleibt die Anerkennung von Zeiten der Arbeitslosigkeit dauerhaft erhalten. Eine Ausnahme hat es auf Drängen des Wirtschaftsflügels der Union aber kurz vor dem Beschluss im Bundestag noch ins Gesetzt geschafft: Der rollierende Stichtag. Danach soll mögliche Arbeitslosigkeit jeweils in den letzten beiden Jahren vor Erreichen der jahrgangsabhängigen Altersgrenze für die vorgezogene abschlagsfreie Altersrente bei der Berechnung der Wartezeit nicht mitzählen. Einzige Ausnahmen: Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Betriebs.

Aus gewerkschaftlicher Sicht war und ist der massive Aufschrei der Kritiker der Rente mit 63 völlig überzogen. Um das zu verdeutlichen reicht schon eine Blick auf den Arbeitsmarkt. Die Wenigsten schaffen es ja kaum bis 65 Jahre im Erwerbsleben zu bleiben, von der faktisch schrittweise ansteigenden Regelaltersgrenze ganz zu schweigen. Nur etwa 30 Prozent der 60- bis unter 65-jährigen haben noch eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung, davon etwa eine Drittel in – häufig ungewollter – Teilzeit. Und je näher die Regelaltersgrenze kommt, desto niedriger fällt die Beschäftigungsquote aus. Im Alter von 64 Jahren waren zuletzt nur noch etwas mehr als 15 Prozent versicherungspflichtig beschäftigt. Wer aber früher raus muss, dem drohen Sicherunglücken durch Arbeitslosigkeit und/oder Abschläge. Die Arbeitslosenquote in der Gruppe der 60- bis unter 65-jährigen liegt regelmäßig über dem Durchschnitt. Wer im Alter arbeitslos wird, bleibt das überdurchschnittlich lange: Fast die Hälfte der Arbeitslosen über 50 Jahre wird langzeitarbeitslos, bleibt also mehr als 12 Monate ohne neuen Job. Und mehr als 40 Prozent der Altersrenten ist durch lebenslange Abschläge gekürzt.

In diesem Kontext ist die Neuregelung zur Berücksichtigung von Zeiten des ALG I-Bezugs nicht nur sozialpoli-tisch geboten, sondern auch systemgerecht, da auch für diese Zeiten Beiträge in die Rentenkasse fließen. Allerdings wäre auch eine Berücksichtigung von ALG II-Zeiten wünschenswert gewesen. Einem weiteren Kritikpunkt, einer angeblich drohende Frühverrentungswelle, soll nun durch den rollierenden Stichtag begegnete werden. Hier wäre allerdings die Wiederbelebung der – wenngleich modifizierten – Erstattungspflicht für die Kosten der Bundesagentur für Arbeit durch die Arbeitgeber sinnvoller gewesen. Vermeintlich massenhaft drohende Beschäftigungsbeendigungen bereits mit 61 Jahren, um dann nach zwei Jahren ALG I-Bezug die Rente mit 63 zu beanspruchen, liegen wohl kaum im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Vielmehr müssen die Arbeitgeber daran gehindert werden, auf diesem Weg ältere Kolleginnen und Kollegen aus der Beschäftigung zu drängen. Und auch der Vorwurf die Rente mit 63 begünstige ganz überwiegend „Luxusrentner“ ist haltlos. Durchschnittliche Renten von rund 1.400 Euro bei den Männern und knapp 1.100 Euro bei den Frauen, die die Zugangskriterien für die Rente mit 63 erfüllen, reichen wohl kaum für einen ausschweifenden, luxuriösen Lebensabend.

Auch halten sich die Kosten der Rente mit 63 in einem relativ überschaubaren Rahmen – besonderes im Ver-gleich zur sogenannten Mütterrente. Letztere – insbesondere aus Gerechtigkeitsgründen durchaus sinnvolle – Leistungsausweitung verschlingt bis zu 75 Prozent der Gesamtkosten des Rentenpakets – systemwidrig finan-ziert ganz überwiegend aus Beitragsmitteln statt aus zusätzlichen Steuermitteln. Damit wird den Versicherten der notwendige Handlungsspielraum für weitere Leistungsverbesserungen genommen, insbesondere für die dringend notwendige Stabilisierung des Rentenniveaus und weitere Verbesserungen für erwerbsgeminderte Menschen.

Insgesamt ist die Rente mit 63 aus gewerkschaftlicher Sicht ein wichtiger Schritt für flexible und abgesicherte Übergänge in die Rente. Aber eben auch nur ein Schritt. Weitere müssen folgen. Daher wird der DGB die Ar-beitsgruppe von CDU/CSU und SPD, die bis zum Herbst Vorschläge für „Flexible Übergänge in den Ruhestand“ erarbeiten soll, intensiv begleiten. Denn wir brauchen einen ganzen Instrumentenkasten für die (tarifpolitische) Gestaltung gelingender Übergänge. Dafür muss aber zunächst der Gesetzgeber die notwendigen Rahmenbedingungen schaffen. Das gilt u.a. mit Blick auf eine Weiterentwicklung der Altersteilzeit, für verbesserte arbeitsmarktpolitische Leistungen und Förderungsinstrumente für gesundheitlich eingeschränkte ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (z.B. Altersflexigeld-Modell der IG BAU) oder auch eine Teilrente ab 60 mit flexibleren Hinzuverdienstmöglichkeiten.

Dirk Neumann

Referatsleiter Alterssicherung und Rehabilitation beim DGB Bundesvorstand

Veranstaltung des DGB-Rechtsschutzes zur Rente mit 63

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