Dürfen Richter*innen auch dichten oder sollten sie das doch besser den Dichtern überlassen? Copyright by  l-pics/Fotolia
Dürfen Richter*innen auch dichten oder sollten sie das doch besser den Dichtern überlassen? Copyright by l-pics/Fotolia

Am Anfang stand ein Kündigungsschutzverfahren. Die Klägerin hatte ihren Job als Aufsicht in einer Spielhalle verloren. Im weiteren Prozess ging es ihr um Schmerzensgeld wegen ehrenrühriger Äußerungen Dritter, die der Arbeitgeber vor Gericht weitererzählt hatte. Das sollte er in Zukunft unterlassen.

Der - inzwischen ehemalige - Richter am Arbeitsgericht Detmold drückte dies so aus:

Der Streit entstand, weil der Beklagte
im Rechtsstreit vorzutragen wagte,
was nun der Klägerin sehr missfällt.
Sie fordert deshalb Schmerzensgeld.
Dass der Beklagte schweigen soll
verlangt sie ferner voller Groll.

Er kündigte aufgrund der Kunde
der Klägerin aus andrem Grunde,
um - dies ließ er jedoch betonen -
den Ruf der Klägerin zu schonen.
Die Klägerin klagte dann sogleich.
Man einigte sich im Vergleich -
hier mag man die Parteien loben -
denn der Vertrag ward aufgehoben
und - um die Sache abzurunden -
die Klägerin noch abgefunden.

Der Klägerin reichte dies nicht hin,
denn ihr steht noch nach Mehr der Sinn.
Der Pein, die man ihr zugefügt,
der werde nur durch Geld genügt.
Die Lügen - für sie nicht zu fassen -
muss der Beklagte unterlassen.



Details über die Dinge, die die Klägerin getan haben soll, möchten wir uns und Ihnen ersparen. Wer nicht darauf verzichten mag, kann das vollständige Urteil nachlesen.

Das Arbeitsgericht Detmold wies die Klage ab. Denn:

Auch wenn's der Klägerin missfällt:
es gibt für sie kein Schmerzensgeld;
denn der Beklagte durfte hier sich äußern, wie er's tat.
Dafür gilt dies hier nur in den Verfahren -
sonst darf er auch nichts offenbaren.

Er hat - um auf den Punkt zu kommen -
insoweit etwas wahrgenommen,
was der, der die Gesetze kennt
„berechtigtes Interesse“ nennt.

Nur wenn sein Ziel war zu verletzen,
die Klägerin herabzusetzen,
sie zu verleumden, zu entehren
war ihm dies deutlich zu verwehren.
Kurz: es kommt letztlich darauf an,
ob's der Beklagte selbst ersann,
er also gleichsam phantasierte,
wie sich die Klägerin gerierte.

Und deshalb bleibt auch unergründet,
was sich im Hockerstoff befindet
und ob die Zeugen sah'n und hörten,
was dem Beklagten sie erklärten.
Nein, der Beklagte muss mitnichten
ein hohes Schmerzensgeld entrichten.
Auch unbegründet - ohne Frage -
ist hier die Unterlassungsklage.

Berufung gegen gereimtes Urteil erfolglos

Zugegeben, das Urteil in Versform ist amüsant. Für die Klägerin war es sicher weniger lustig. Die Art und Weise wie das Urteil formuliert ist, wird auch dazu beigetragen haben, dass die Klägerin Berufung einlegte. Allerdings führte ihr Weg zum Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) letztlich zu keinem anderem Ergebnis.

Was die Verneinung auf Schmerzensgeld und Unterlassung angeht, hatte das LAG am Urteil aus Detmold nichts auszusetzen.

Weniger konform ging das LAG mit der Form der gerichtlichen Entscheidung.

Dichtender Richter verstößt gegen Verfahrensrecht

In der Reimform sah das Berufungsgericht einen wesentlichen Verfahrensmangel. Das allerdings nicht allgemein, sondern, da es die konkreten Umstände des Falles berücksichtigte. Jedenfalls wenn eine der Parteien in ihrer Würde verletzt und das Ansehen der staatlichen Gerichte beeinträchtigt wird, liege einen Verstoß gegen Verfahrensvorschriften vor.

Die vom Arbeitsgericht gewählte gereimte Form des Urteils sei jedenfalls deshalb grob unangemessen und damit verfahrensfehlerhaft, weil damit die Klägerin grundlos persönlich herabgewürdigt wurde.

Der reimende Richter bekam dann noch einen Rüffel. Das LAG wies darauf hin, dass er als Träger der Entscheidung Repräsentant der staatlichen Ordnung sei. Und deren Ansehen stehe nicht zur Disposition. Nur weil das Prozessrecht eine bestimmte Form der gerichtlichen Entscheidung nicht ausdrücklich vorschreibe, gebe es keinen Freibrief für persönlichen Neigungen und Fähigkeiten.

Reimen als ungebührliches und unsachliches Verhalten

Das LAG legte noch eine Schippe drauf. Ungebührliches Verhalten verbiete sich für am Verfahren beteiligte Richter, auch wenn es dafür keine ausdrückliche Regelung gibt. Das gelte auch für die äußere Form der gerichtlichen Entscheidung. Die Reimform verstoße gegen das Gebot der Sachlichkeit. Übel nimmt man dem dichtenden Richter offenbar, dass er sein Urteil selbst an die Fachpresse weitergegeben hatte.

Vielleicht um nicht gänzlich humorlos dazustehen, räumt das LAG zumindest die Möglichkeit ein, auch im Gerichtssaal mal einen Scherz machen zu können. Wir zitieren:
In der mündlichen Verhandlung, in deren Verlauf unweigerlich auch die Persönlichkeit der Beteiligten einschließlich des Richters hervortritt, wenn nicht Formalismus und Langeweile Oberhand gewinnen sollen, kann auch für Witz und Humor Gelegenheit sein, sofern dies nicht auf fremde Kosten geht.

Verfahrensmangel bleibt ohne Konsequenzen

Beim Rüffel blieb es dann aber auch. Denn der Verstoß gegen das Verfahrensrecht führte nicht dazu, dass sich das Arbeitsgericht Detmold nochmals mit der Sache beschäftigen musste. Eine Zurückweisung des Rechtsstreits an die Vorinstanz wegen eines derartigen Verfahrensmangels scheide im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus, so das LAG.

Die Sache mit dem Reimen kann man auch entspannter sehen. Ob es nun eine Frage der Gerichtsbarkeit oder der örtlichen Mentalität ist, wissen wir nicht. Das Finanzgericht Köln hielt zumindest die Abfassung einer Entscheidung des Gerichts in Versform für zulässig. Zugegeben, das Urteil ist schon etwas älter (FG Köln, Az: 11 K 3382/87). Aber dieser Satz daraus ist noch immer ein Zitat wert:
Deutsch ist Sprache des Gerichts und deutsch auch Sprache des Gedichts. So sprechen in der streit'gen Sache Gedicht und Spruch die gleiche Sprache.


LINKS:
Die Urteile in dieser Sache können Sie hier nachlesen:
Arbeitsgericht Detmold, Urteil vom 23.08.2007 – 3 Ca 842/07
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 21. Februar 2008 – 8 Sa 1736/07