Viele Leistungen, die Arbeitnehmer beanspruchen können, haben ihre Grundlage in Tarifverträgen. Sie stehen nach dem Gesetz nur Gewerkschaftsmitgliedern zu. Dennoch ist es im Arbeitsleben üblich geworden, dass alle Arbeitnehmer - auch die, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind - in den Genuss tariflicher Leistungen kommen. Das beruht darauf, dass viele Tarifverträge allgemeinverbindlich sind, also unabhängig von der Mitgliedschaft gelten, oder Arbeitsverträge auf bestimmte Tarifverträge verweisen. Durch diese Praxis gerät es zunehmend aus dem Blick, dass gute tarifliche Leistungen auch erstritten werden müssen und es dazu Mitglieder bedarf, die bereit sind, sich zu engagieren, Gewerkschaftsbeiträge zu zahlen und Rechte wenn nötig in Arbeitskämpfen durchzusetzen. Deshalb können Gewerkschaften interessiert sein, in Tarifverträgen Regelungen aufzunehmen, in denen zusätzliche Leistungen nur an Gewerkschaftsmitglieder gewährt werden. 

Zulässige Differenzierung?

Es ist bemerkenswert, dass die grundlegende Entscheidung des Bundearbeitsgerichts (BAG) zu sogenannten tariflichen Differenzierungsklauseln aus dem Jahre 1967 stammt. Und noch dazu eine solche des Großen Senats des BAG, der nur bei ganz grundsätzlichen Fragestellungen oder bei abweichenden Entscheidungen verschiedener Senate des BAG angerufen wird. Danach herrschte erst mal lange Zeit Ruhe um derartige Tarifklauseln. Seit 2007 hat sich die Rechtsprechung wieder häufiger mit der Problematik beschäftigen müssen. Unterschieden wird zwischen einfachen und qualifizierten Differenzierungsklauseln.

Einfache Differenzierungsklauseln enthalten Bestimmungen in Tarifverträgen, wonach bestimmte Vergünstigungen nur Gewerkschaftsmitgliedern und nicht Nicht-Organisierten oder Anders-Organisierten zugutekommen sollen. Sie lassen es aber zu, dass der Arbeitgeber durch Zusatzvereinbarungen die tariflichen Vergünstigungen allen seinen Mitarbeitern gewährt. 

Beispiele für Billigung von einfachen Differenzierungsklauseln durch das BAG

Der Arbeitgeber hatte mit der zuständigen Gewerkschaft einen Sanierungsvertrag zur Sicherung des Unternehmens geschlossen, der u.a. einen Verzicht auf die bisher tariflich vereinbarte Sonderzahlung enthielt. Zum Ausgleich für den Wegfall der Leistung sollten nach der tariflichen Regelung lediglich Gewerkschaftsmitglieder eine Einmalzahlung von 535 Euro pro Jahr erhalten (Urteil des BAG v. 18.3.2009). In einem weiteren Fall, über den das BAG zu entscheiden hatte (Urteil v. 22.9.2010), hatte die zuständige Gewerkschaft einer tariflichen Regelung zugestimmt, nach der die Zahlung einer tariflichen Sonderzahlung für das Jahr 2007 ausgesetzt werden durfte. Als Ausgleich sollten Gewerkschaftsmitglieder einen einmaligen Betrag von 250 Euro und einen zusätzlichen Urlaubstag erhalten. 

In einer Entscheidung des BAG vom 21.5.2014 ging es um eine Erholungsbeihilfe, und zwar in Höhe von 200 Euro pro Jahr, die nur an Gewerkschaftsmitglieder zu zahlen war. Die zuständige Gewerkschaft hatte einem Sanierungstarifvertrag, der eine Entgeltabsenkung vorsah, zugestimmt. Im Gegenzug war das Unternehmen einem Verein beigetreten, an den es 8,5 Millionen Euro gezahlt hatte. Die Satzung des Vereins sah vor, dass dieser Erholungsbeihilfen nur an Gewerkschaftsmitglieder leistet. In allen diesen Fällen hat das BAG die Klauseln, die Leistungen nur für Gewerkschaftsmitglieder vorsehen, gebilligt. 

Noch anhängig beim BAG sind Rechtsstreitigkeiten, die einen Fall aus München betreffen. Dort sollte ein Unternehmensstandort mit ca. 3.600 Beschäftigten geschlossen werden. In Verhandlungen der zuständigen Gewerkschaft mit dem Unternehmen konnte erreicht werden, dass 2000 Arbeitsplätze erhalten blieben und 1600 Beschäftigte in eine Transfergesellschaft wechseln konnten. Diese sollten für eine Mindestlaufzeit von 2 Jahren 70% ihrer bisherigen Vergütung und darüber hinaus eine Abfindung von ca. einem Jahresgehalt erhalten. Ein Zusatztarifvertrag sah vor, dass Gewerkschaftsmitglieder, deren Mitgliedschaft bis zu einem bestimmten Stichtag vor der Bekanntgabe der Regelung bestand, Anspruch auf 80% des bisherigen Arbeitsentgelts hatten und neben dem Jahresgehalt eine zusätzliche Abfindung von 10.000 Euro erhielten. Die tarifliche Regelung schloss es nicht aus, dass der Arbeitgeber die Vergünstigungen für Gewerkschaftsmitglieder auf alle Beschäftigte erstreckt. Das Unternehmen entschied jedoch, den Tarifvertrag nicht auf alle Arbeitnehmer anzuwenden. Drei Kammern des LAG München hielten die einfache Differenzierungsklausel für wirksam, eine Kammer war wegen der getroffenen Stichtagsregelung anderer Meinung.

Nicht zulässige qualifizierte Differenzierungsklauseln 

Sogenannte qualifizierte Differenzierungsklauseln lassen es im Gegensatz zu einfachen Differenzierungsklauseln nicht zu, dass der Arbeitgeber durch Zusatzvereinbarungen die tariflichen Vergünstigungen allen seinen Mitarbeitern gewährt. Sie enthalten deshalb den Zusatz, dass dem Arbeitgeber entweder untersagt wird, die tarifliche Leistung auch an Nicht-Gewerkschaftsmitglieder zu zahlen (Ausschlussklausel), oder sie verpflichten den Arbeitgeber, der allen Beschäftigten die höhere tarifliche Leistung gewährt, den Gewerkschaftsmitgliedern die im Tarifvertrag vorgesehene Differenz zusätzlich zu zahlen. Die Klausel dient dann dazu, dass der Leistungsabstand zwischen nicht organisierten und organisierten Beschäftigten immer gleich bleibt. Sie heißt deshalb auch Spannen – oder Abstandsklausel. 

Beispiele: 

Eine tarifliche Regelung, über die der Große Senat des BAG am 29.11.1967 zu entscheiden hatte, sah vor, dass aus einer Urlaubskasse Urlaubsgeld zwar an alle Arbeitnehmer gezahlt werden sollte, Gewerkschaftsmitglieder aber einen höheren Betrag erhalten sollten. Darüber hinaus regelte der Tarifvertrag, dass der Arbeitgeber für den Fall, dass er diese Zusatzleistung auch den Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern gewähren sollte,  verpflichtet war, den Gewerkschaftsmitgliedern die im Tarifvertrag vorgesehene Differenzleistung wiederum zusätzlich zu zahlen. Der an die Gewerkschaftsmitglieder zu zahlende Mehr-Betrag sollte damit immer gleichbleiben. 

Gegenstand einer BAG-Entscheidung vom 23.3.2011 war eine tarifliche Regelung im Bereich der Hafenlogistik, wonach nur Gewerkschaftsmitglieder eine Erholungsbeihilfe von 260 Euro pro Jahr im Zusammenhang mit einem mindestens 1-wöchigen Erholungsurlaub erhalten sollten. Zusätzlich wurde vereinbart, dass für den Fall, dass der Arbeitgeber Nicht-Gewerkschaftsmitgliedern die gleiche Leistung gewähren sollte, die Erholungsbeihilfe sich entsprechend erhöhen sollte. Diese sog. qualifizierten Differenzierungsklauseln sind nach Auffassung des BAG nicht zulässig.

Verletzung von Grundrechten?

Wenn eine tarifliche Regelung Leistungen nur an Gewerkschaftsmitglieder gewährt, ist die entscheidende Frage, ob dies gegen die im Grundgesetz (Art.9 Abs.3 GG) geschützte negative Koalitionsfreiheit verstößt. Negative Koalitionsfreiheit ist das Recht, einer Gewerkschaft oder einem Arbeitgeberverband nicht beizutreten oder wieder auszutreten. Die Rechtsprechung prüft also, ob durch die nur Gewerkschaftsmitgliedern erteilten Vergünstigungen ein unzulässiger Druck zum Gewerkschaftsbeitritt ausgeübt wird. Nach Auffassung des BAG ist jedoch nicht jeder Druck, einer Gewerkschaft beizutreten, unzulässig. Nicht-Gewerkschaftsmitglieder müssen es grundsätzlich hinnehmen, dass ihnen keine tariflichen Ansprüche zustehen. Der davon ausgehende Anreiz zum Gewerkschaftsbeitritt verletzt nicht die negative Koalitionsfreiheit. Denn die Befugnis, verbindliche Regelungen in Tarifverträgen abzuschließen, ist durch Art. 9 Abs.3 GG nur auf die Mitglieder der die Tarifverträge abschließenden Tarifparteien beschränkt. Außerdem schließt die verfassungsrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften auch das Recht ein, für Mitglieder zu werben. Dazu gehört es dann auch, dass bestimmte Leistungen nur ihnen zugutekommen. 

Die einfache Differenzierungsklausel wird deshalb von der Rechtsprechung des BAG regelmäßig gebilligt. Die Tarifklausel vollziehe nur das nach, was schon gesetzlich in § 3 Abs.1 und § 4 Abs.1 TVG geregelt ist, nämlich, dass tarifliche Ansprüche unmittelbar und zwingend nur den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien zustehen.

Qualifizierte Tarifklauseln greifen dagegen in unzulässiger Weise in die Vertragsmacht des Arbeitgebers und der Nicht-Gewerkschaftsmitglieder ein, weil die Klausel auch die Möglichkeit ausschließen soll, dass durch eine entsprechende Vereinbarung den nicht in einer Gewerkschaft organisierte Arbeitnehmern dieselbe Leistung wie den organisierten Arbeitnehmern gewährt wird. Das ist nach ganz herrschender Meinung unzulässig, weil die Tarifvertragsparteien damit ihre Tarifmacht überschreiten.

Anspruch auf Gleichbehandlung?

Außenstehende können nicht unter Gleichheitsgesichtspunkten die in einer Tarifklausel nur Gewerkschaftsmitgliedern zustehenden Leistungen einfordern. Das TVG enthält gerade den zentralen Grundsatz, dass tarifliche Leistungen nur den Mitgliedern der Tarifvertragsparteien unmittelbar und zwingend zustehen. Zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und Außenstehenden zu unterscheiden, ist also ein sachlich und gesetzlich anerkannter Grund. Tarifliche Regelungen, die bestimmte Leistungen nur Mitgliedern der den Tarifvertrag abschließenden Gewerkschaft gewähren, vollziehen also nur das nach, was Inhalt des Tarifvertragsgesetzes ist und Art.9 Abs.3 GG entspricht. 

Nur geringfügige Zusatzleistungen an Gewerkschaftsmitglieder zulässig?

Nicht ganz klar ist, ob das BAG auch einfache Differenzierungsklauseln billigt, in denen Gewerkschaftsmitgliedern eine höhere monatliche Vergütung bzw. ein höherer Stundenlohn oder eine Einmalzahlung, die nicht nur geringfügig ist, gewährt wird. Teilweise sind in den Entscheidungen des BAG nämlich Ausführungen dazu enthalten, dass die konkret gewährten Zusatzleistungen an Gewerkschaftsmitglieder (auch) deshalb zulässig seien, weil sie nur einen bestimmten geringen Anteil an der Monatsvergütung ausmachen bzw. nur 2 Jahresmitgliedsbeiträgen entsprechen und nicht unmittelbar die regelmäßig monatlich zu zahlende Vergütung betreffen. Diese zusätzliche rechtliche Überprüfung der Differenzierungsklausel wird damit begründet, dass Gewerkschaften nicht nur die Aufgabe haben, sich für die Arbeitsbedingungen ihrer Mitglieder einzusetzen sondern ihnen „nach der gesetzlichen Vorstellung“ eine umfassende Gestaltungsaufgabe zukomme und sie deshalb insgesamt in ihrem Zuständigkeitsbereich für angemessene und ausgewogene Regelungen für alle Beschäftigten zu sorgen hätten. Dann käme es auf die Frage an, ob die konkrete Art und Höhe der ausschließlich den organisierten Arbeitnehmern gewährten Leistungen im Widerspruch zu dieser umfassenden Gestaltungsaufgabe der Gewerkschaften steht.

Meines Erachtens können diese Erwägungen nicht maßgeblich sein. Es ist zwar richtig, dass rein faktisch den Gewerkschaften eine umfassende Regelungsaufgabe von Arbeitsbedingungen durch den Abschluss von Tarifverträgen zukommt, da tarifliche Regelungen häufig in Unternehmen unabhängig von der Gewerkschaftszugehörigkeit auf alle Beschäftigte angewandt werden. Daraus lässt sich jedoch rechtlich keine den Gewerkschaften zukommende Verpflichtung ableiten, die Interessen von Außenstehenden in gleicher Weise wie die ihrer Mitglieder zu berücksichtigen. Die gesetzlichen Vorgaben sind eindeutig. Tarifliche Regelungen gelten unmittelbar und zwingend nur für Gewerkschaftsmitglieder. Es darf deshalb auch nach Gewerkschaftszugehörigkeit hinsichtlich jeder tariflich gewährten Leistung differenziert werden. Es spricht rechtlich nichts dagegen, dass dies auch für die unmittelbar an den Arbeitnehmer für seine Arbeitsleistung zu zahlende Vergütung gilt oder auch für höhere Einmalzahlungen. Aus welchem Grund sollte es also unzulässig sein, dass in Tarifverträgen auch hinsichtlich der Höhe des Stundenlohns oder der Monatsvergütung nach der Gewerkschaftsmitgliedschaft unterschieden wird? Dadurch bleibt es dem Arbeitgeber unbenommen, die an Gewerkschaftsmitglieder zu zahlende höhere Vergütung auf alle Beschäftigte zu erstrecken. Er muss es nur nicht tun, wie er ganz generell nicht gezwungen ist, tarifliche Regelungen auf alle Arbeitnehmer anzuwenden, es sei denn sie sind für allgemeinverbindlich erklärt worden.

 

  • Download:

Beitrittserklärung in eine Gewerkschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes

 

  • Lesen hierzu auch unsere weiteren Beiträge:

Nur Gewerkschaftsmitglieder haben Ansprüche auf erhöhte Vergütungen/Abfindungen

BAG: Sonderzahlung nur für Gewerkschaftsmitglieder rechtmäßig

  • Hier die zitierten Entscheidungen nachlesen:

Bundesarbeitsgericht: Großer Senat  29.11.1967 – GS 1/67

Bundesarbeitsgericht: 3.6.1987 – 4 AZR 573/86

Bundesarbeitsgericht: 9.5.2007 – 4 AZR 275/06

Bundesarbeitsgericht: 18.3.2009 – 4 AZR 64/08

Bundesarbeitsgericht: 22.9.2010 – 4 AZR 117/09

Bundesarbeitsgericht: 23.3.2011 – 4 AZR 366/09

Bundesarbeitsgericht: 21.5.2014 – 4 AZR 50/13 (Text)

Bundesarbeitsgericht: 21.5.2014 – 4 AZR 50/13 (PDF)

Landesarbeitsgericht: München 25.7.2013 – 4 Sa 166/13