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Vor 135 Jahren: Europa teilt sich Afrika

Am 26. Februar 1885 endete die Kongokonferenz in Berlin mit der „Kongoakte“. Die europäischen Großmächte teilten den ganzen afrikanischen Kontinent unter sich auf. Die Afrikaner wurden gar nicht erst gefragt, ob sie unter europäischer Herrschaft leben wollten. Wenn heute viele Migrant*innen aus Afrika nach Europa kommen, hat das seine Ursache auch im europäischen Imperialismus.

Berlin 1885: Bismarck hatte zur Kongokonferenz nach Berlin eingeladen. Die europäischen Mächte teilten Afrika unter sich auf. Copyright by M-SUR/Adobe Stock
Berlin 1885: Bismarck hatte zur Kongokonferenz nach Berlin eingeladen. Die europäischen Mächte teilten Afrika unter sich auf. Copyright by M-SUR/Adobe Stock

Schätzungsweise mehr als 30.000 Menschen haben ihr Leben bislang auf dem Weg von Afrika nach Europa im Mittelmeer verloren. Unablässig, so wird häufig berichtet, pochen Afrikaner an Europas Pforten. Europa soll offensichtlich von afrikanischen Flüchtlingen „überflutet“ werden, was die armen Staaten der Europäischen Union völlig überfordert. Dabei, so hätten seriöse Studien gezeigt, machten sich viele gar nicht auf dem Weg, weil sie verfolgt und mit dem Leben bedroht seien. Viele Migranten kämen in der Regel aus urbanen Gebieten und seien überdurchschnittlich gut ausgebildet, zudem jung und kräftig. Freilich, wer verfolgt sei, bekäme in der Europäischen Union Asyl. Die anderen müssten allerdings zurück in ihre Länder, wo sie dringend als Arbeitskräfte benötigt würden.
 
Lediglich diejenigen, die in den europäischen Ländern als Facharbeiter benötigt würden, könnten bleiben. Deutschland hat eigens deshalb ein „Fachkräfte-Einwanderungsgesetz“ verabschiedet.
 

Die Ursachen für Flucht aus wirtschaftlichen Gründen müssen beseitigt werden

 
Das klingt zunächst logisch. Bei näherer Betrachtung ist die Argumentation an Zynismus aber kaum noch zu überbieten. Angesichts vieler Menschen, die auf dem Weg nach Europa ums Leben kommen, ist es zunächst einmal völlig egal, warum Menschen den gefährlichen Weg in Nussschalen über das Mittelmeer nehmen. Wer so etwas auf sich nimmt, muss schon einen dringenden Grund haben. Und insoweit gebietet es die Menschlichkeit, dass wir alles daran setzen, diese Menschen nicht ertrinken zu lassen. Und Menschlichkeit gebietet es zudem, dass alle diese Menschen in einem europäischen Land aufgenommen werden und dort unter menschlichen Bedingungen leben können.
 
Allerdings ist Migration aus afrikanischem Ländern aus wirtschaftlichen Gründen in der Tat auch für die Menschen in diesen Ländern ein großes Problem. Gut ausgebildete Fachkräfte werden in ihren Heimatländern benötigt, wenn Ihnen denn dort auch entsprechende Arbeitsbedingungen geboten werden können. Politiker europäischer Länder bringen häufig vor, man müsse den Herkunftsländern helfen, wirtschaftliche Fluchtursachen zu beseitigen. So weit, so richtig. Problem ist nur, dass alle, die entscheidenden Einfluss auf die Struktur der Weltwirtschaft haben, vieles dafür tun, dass es immer mehr Ursachen zur Flucht aus Afrika gibt. Und insoweit gibt es eine Traditionslinie, in der die Kongokonferenz ein wichtiger historischer Moment war.

Gibt es überhaupt eine Flüchtlingskrise in Europa?

 
Bevor wir uns die Geschichte des Kolonialismus ein wenig ansehen, sollten wir allerdings noch einiges ins rechte Licht rücken. „Flüchlingskrisen“ gibt es auf der Welt tatsächlich, aber nicht in Europa. Die wahre Krise findet in Afrika statt. Allein drei afrikanische Länder, Äthiopien, Uganda und Kenia haben zur Zeit etwa 2,6 Millionen Flüchtlinge aufgenommen, obwohl diese Länder selber eher arm sind. Insgesamt sind in den letzten Jahren deutlich mehr Menschen nach Afrika geflohen, als Afrika als Flüchtlinge verlassen haben. „Einige der weniger wohlhabenden Staaten Afrikas haben eine Flüchtlingsbürde auf sich genommen, die kein europäischer Staat in den vergangenen Jahren jemals erlebt hat“, erklärt Ahunna Eziakonwa, stellvertretende UN-Generalsekretärin und Direktorin des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen für Afrika (UNDP) gegenüber dem Internet-Nachrichtenportal Euractiv.
 
Im November 2019 hatte die UNDP einen Bericht veröffentlichet, in dem sie Erkenntnisse über die Motivation der Menschen lieferte, die illegal von Afrika nach Europa eingereist sind.,“ Ahunna Eziakonwa weist darauf hin, dass es sich um Menschen handeln würde, deren Wünsche und Träume sehr menschlich seien: „Wir müssen verstehen, wer sie waren, bevor sie loszogen; wer sie jetzt, hier in Europa, sind; und welche Träume und Ziele sie haben.“
 
Migration aus wirtschaftlichen Gründen hat es in der Menschheitsgeschichte stets gegeben. Das, was wir heute Deutschland und Europa nennen, ist das Ergebnis von Ein- und Auswanderung über hunderte von Jahren. Völkische Interpretationen dessen, was Deutsch oder Europäisch sein soll, führen vollkommen in die Irre. Und dann gibt es noch die besondere europäische Verantwortung für die Lage, in der sich insbesondere Afrika befindet. Und jetzt zurück zur Kongo-Konferenz.  
 

Afrika war schon lange ein Spielball für die wirtschaftlichen Interessen europäischer Mächte

 
Vor 135 Jahren teilten sich die europäischen Mächte Afrika auf der Kongokonferenz untereinander auf. Die Konferenz fand vom 15. November 1884 bis zum 26. Februar 1885 auf Einladung des deutschen Reichskanzlers Bismarck in Berlin statt. Die Handelsfreiheit am Kongo und am Niger sollte offiziell geregelt werden. Tatsächlich war das Ergebnis der Konferenz, die sogenannte „Kongoakte“, ein Höhepunkt der Unterwerfung des afrikanischen Kontinents.
 
Dessen Ausbeutung begann indessen schon viel früher. Etwa 10 bis 12 Millionen Afrikaner*innen wurden von europäischen Mächten in einem Zeitraum von 350 bis 400 Jahren gefangen genommen, insbesondere auf den amerikanischen Kontinent gebracht und versklavt. Die Sklavenhändler waren dabei wählerisch: sie raubten vorrangig gesunde und kräftige junge Menschen, die Ihnen hohe Profite brachten.
 
Der gesamte Kontinent hatte im Jahr 1900 nur etwa 133 Millionen Einwohner. Wie hoch die Einwohnerzahl bei Beginn des Sklavenhandels gewesen ist, lässt sich nicht einmal schätzen. Jedenfalls war Afrika ein eher dünn besiedelter Kontinent, der sich wirtschaftlich nie von diesem Aderlass erholt hatte. Der Imperialismus der europäischen Staaten hat die Lage dann ab dem 19. Jahrhundert noch einmal erheblich verschärft.
 

Auch Deutschland will einen Platz an der Sonne

 
Der Kongokonferenz vorangegangen war der Wunsch des Deutschen Reiches, in den Kreis der Kolonialmächte aufzusteigen. Man wollte einen „Platz an der Sonne“, wie es damals hieß. Afrika war zu Beginn des 19. Jahrhunderts der letzte bewohnbare Kontinent, den die europäischen Mächte noch
nicht vollständig untereinander aufgeteilt hatten. Bismarck selbst war ursprünglich dagegen, Kolonien zu erwerben. Allerdings wohl weniger aus humanitären Gründen als aufgrund der Befürchtung, dass Deutschland damit unnötige Konflikte mit den Großmächten heraufbeschwört.
 
Unter dem Druck einflussreicher Kräfte aus Wirtschaft und Politik beugte er sich schließlich. Jedoch sollten deutsche Kolonien dann nicht Kolonien heißen, sondern „Schutzgebiete“. Deutsche Handelskonzerne hatten bereits zuvor Tatsachen geschaffen, indem sie in vielen Gegenden Afrikas Handelsstützpunkte eröffnet hatten, die nunmehr „geschützt“ werden mussten. In der Politik setzten sich vor allem „völkische“ Kräfte massiv für den Erwerb von Kolonien ein, politische Gruppen, in deren Tradition heute die AfD steht. Der bekannteste unter den völkischen Akteuren damals war ein gewisser Carl Peters, der mit Gesinnungsgenossen die „Gesellschaft für Deutsche Kolonisation“ gegründet hatte, die später in „Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft - DOAG“ umbenannt wurde.
 
Er hatte bereits Jahre vor der Kongokonferenz versucht, mit örtlichen Häuptlingen „Schutzverträge“ auszuhandeln, die ihm die Herrschaft über weite Gebiete Ostafrikas zugesichert hätten. Im Verein mit völkischen Politikern und Interessensverbänden im Deutschen Reich forderte Peters von der Regierung, ihm „Schutzbriefe“ auszustellen, die ihm zusicherten, dass das Reich militärisch für die Sicherheit seiner Gebiete in Afrika sorgte. Würde Deutschland ihm das verweigern, würde er seine Bitte an andere Staaten richten, die ebenfalls Interessen in Ostafrika hätten, etwa das Königreich Belgien.
 

Private wirtschaftliche Interessen veranlassten Bismarck zur Kolonialpolitik

 
Insbesondere derartige Aktivitäten veranlassten Bismarck schließlich, trotz seiner Skepsis gegen den Erwerb von Kolonien mit den anderen europäischen Großmächten die Interessenssphären in Afrika abzustecken.
 
Deutschland bekam als Ergebnis der Konferenz Togo, Kamerun, das heutige Namibia und ein riesiges Gebiet in Ostafrika zugesprochen, auf dem sich heute die Staaten Tansania, Burundi, Ruanda und Mosambik befinden. Die deutsche Kolonialpolitik war äußerst brutal. Als Beispiele dafür stehen etwa der Völkermord an den Herero in Namibia und Menschenrechtsverletzungen durch Söldnertruppen aus deutschen Offizieren, als sich fast alle Küstenbewohner in Ostafrika dagegen wehren wollten, dass das Deutsche Reich ihre Gebiete in Besitz nahm.
 

Carl Peters trieb es am schlimmsten

 
Peters trieb es dann schließlich selbst aus Sicht der sicherlich nicht liberal denkenden deutschen Regierung zu bunt. Als „Reichskommissar am Kilimandscharo“ ließ er ganze Dörfer niederbrennen, verhängte willkürlich Todesstrafen und beutete afrikanische Mädchen hemmungslos sexuell aus. Schließlich beorderte man ihn nach Deutschland zurück. Im Reichstag kritisierte insbesondere der damalige Vorsitzende der SPD, August Bebel, die Machenschaften des Herrn Peters und forderte seine unehrenhafte Entlassung. Das kaiserliche Disziplinargericht sah sich 1893 tatsächlich veranlasst, Carl Peters unehrenhaft zu entlassen. Allerdings durfte er kurze Zeit später wieder den Ehrentitel „Reichskommissar a.D.“ führen, musste mit „seine Eminenz“ angeredet werden und verlor auch nicht den Anspruch auf seine Pension.  Und das zu einer Zeit, als jedem kleinen Postbeamten die Pension aberkannt worden wäre, wenn er sich bei der Abrechnung von Briefmarken verrechnet hätte. Peters gründete damals noch den völkischen „Alldeutschen Verband“, dem bis Mitte der 30er Jahre zahlreiche „Eminenzen“ angehörten und der schließlich maßgeblich zur Zerstörung der Weimarer Republik und zur Herrschaft des Nationalsozialismus beigetragen hatte.
 
Vgl. hierzu unseren Artikel:
„27. Januar: Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust“:
 

Eine Idee war, durch Auswanderungskampagnen die Arbeiterbewegung zu schwächen

 
Die „völkischen“ Politiker in Deutschland hatten mit der Kolonialpolitik im Übrigen auch im Sinn, die deutsche Arbeiterbewegung und insbesondere durch eine Auswanderungskampagne die stärker werdenden Gewerkschaften zu schwächen. Indessen gab es zu keiner Zeit nennenswerte Besiedlungsprojekte in Afrika. In der Arbeiterbewegung war Kolonialismus derart verpönt, dass sich Arbeiter*innen kaum für „Umzüge“ in Kolonien bewegen ließen, auch wenn ihre wirtschaftliche Not in Deutschland noch so groß war.  Die SPD galt als die größte und stärkste antikoloniale Gruppierung. Sie sah die Kolonialpolitik als Stärkung und Verlängerung des Kapitalismus, den es zu bekämpfen galt. Der SPD-Vorsitzende August Bebel sagte am 26.1.1889 im Reichstag: "Im Grunde genommen ist das Wesen aller Kolonialpolitik die Ausbeutung einer fremden Bevölkerung in der höchsten Potenz"
 
Afrika wurde also anders als etwa Amerika nicht in großem Maße durch Europäer besiedelt, mit Ausnahme von Südafrika. Die afrikanischen Länder dienten insbesondere als Lieferanten von Rohstoffen, die in Europa zu Produkten verarbeitet wurden, die dann wiederum auf dem Weltmarkt große Profite einbrachten. Von diesen Gewinnen profitierten Afrikaner kaum bis gar nicht.
 
Afrikanische Kolonien sind Geschichte. Alle sind seit den 50er Jahren nach und nach in die Unabhängigkeit entlassen worden. Deutschland hatte seine Kolonien bereits als Verlierer des ersten Weltkrieges 1918 abgeben müssen. Was geht uns das alles also heute noch an?
 

Noch heute leidet Afrika unter den Folgen seiner Unterwerfung durch die Europäer  

 
Gern verweisen Europäer darauf, dass die meisten Probleme Afrikas „hausgemacht“ seien. Zu viele korrupte Politiker, zu viele bewaffnete Konflikte, zu wenig innovatives Potential. Gewiss, ein wenig hätte Afrika noch unter der früheren „Kolonialpolitik“ zu leiden. Aber schließlich würde man ja Entwicklungshilfe leisten. Außerdem gäbe es ja die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds (IWF), die sich unermüdlich für einen fairen Welthandel einsetzten. Die Afrikaner wüssten aber offensichtlich nicht mit freier Marktwirtschaft und globalem Handeln umzugehen.
 
Indessen ist an dieser Sicht vieles schlichtweg falsch. Sicherlich gibt es afrikanische Staaten, in denen Korruption ein großes Problem ist. Das ist in Europa, amerikanischen oder asiatischen Staaten aber auch so. Bewaffnete Konflikte sind zudem auch keine afrikanische Spezialität. Einmal abgesehen davon, dass viele dieser Konflikte in Afrika noch Folge europäischer Kolonialpolitik sind.
 
Afrika wird aus europäischer Sicht als etwas Einheitliches wahrgenommen. Indessen besteht die Afrikanische Union aus derzeit 55 unabhängigen Staaten unterschiedlicher Größe und Wirtschaftskraft. Auch die politischen Systeme sind höchst unterschiedlich. Wenn irgendeiner dieser Staaten ein korruptes Regime herrscht, heißt das noch lange nicht, dass Afrika von korrupten Herrschern regiert wird. Das wäre etwa so, als würde man Europa mit den Regime des Herrn Orban identifizieren.
 

Afrika exportiert vor allem Rohstoffe

 
Alle Länder Afrikas leiden aber bis heute an einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung. Bis dato exportieren afrikanische Länder vor allem Rohstoffe. Ihre Produkte werden auf dem Weltmarkt kaum gehandelt. Und die Lage verschlimmert sich sogar zunehmend, woran nicht zuletzt auch die Politik von Weltbank und IWF beiträgt. Mit Strukturanpassungsprogrammen werden afrikanische Länder genötigt, ihre Wirtschaft zu deregulieren, privatisieren und liberalisieren. Die damit verbundenen Kreditvergaben führen zu immer stärkeren Verschuldung dieser Länder.
 
1995 wurde die Welthandelsorganisation (WTO) gegründet, die sich vordergründig für einen freien, ungehinderten Weltmarkt einsetzt. Die Staaten der EU nehmen das zum Anlass, gegenüber den afrikanischen Ländern  Partnerschaftsabkommen durchzusetzen, die der EU freien Zugang zu deren Märkten gewährleistet. Bis zur Gründung der WTO galt zwischen der EU und den sogenannten AKP-Staaten (die Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifiks) das Lomé-Abkommen: die EU verzichtete, ihre Waren etwa auf dem afrikanischen Markt anzubieten und zugleich gegenüber diesen Staaten auf Handelsbeschränkungen. Das war durchaus gedacht als eine Art Wiedergutmachung wegen des Unrechts der Kolonialzeit.
 

Europa will seine Waren frei auf afrikanischen Märkten handeln

 
Nunmehr pocht die EU darauf, dass die Märkte der AKP-Staaten für Waren aus der EU geöffnet werden. Die Folgen könnten für die betroffenen Länder katastrophal sein. Schon heute sind die Märkte in Afrika erheblich dadurch gestört, dass subventionierte EU-Waren dort gehandelt werden.
 
Die negativen Auswirkung globaler Wirtschaftspolitik für Afrika können wir hier gar nicht insgesamt darstellen. Deshalb nur zwei Beispiele: Nahrungsmittelspekulation und „Land-Grabbing“.
 
Wie alles in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung, sind auch Nahrungsmittel in erster Linie Waren. Deren Preis richtet sich nicht nach den Gebrauchswert, sondern nach dem Marktwert. Auf dem Weltmarkt entsteht dieser nicht wie auf dem Wochenmarkt einfach durch Angebot und Nachfrage.
 
Rohstoffe und damit auch viele Grundnahrungsmittel werden an internationalen Börsen gehandelt und sind damit Gegenstand von Spekulation. Hedgefonds und andere „Heuschrecken“ spekulieren darauf, dass Lebensmittelpreise steigen oder fallen. Damit werden die Preise für wichtige Grundnahrungsmittel abhängig von den Gesetzmäßigkeiten der Finanzmärkte und den Profitbedürfnissen der Broker und Banker.  Das hat schon häufig zu stark ansteigenden Nahrungsmittelpreisen und daraus folgenden Hungersnöten gerade auch in Afrika geführt.
 

Landraub als Geschäftsmodell

 
Während die Ungerechtigkeit, die sich aus den Bedürfnissen der Finanzmärkte ergibt, nur abstrakt fassbar ist, zeigt sie sich im Fall des „Land-Grabbing“ unmittelbarer. Flächen, die in den armen Ländern für die Landwirtschaft genutzt werden, eignen sich Großkonzerne oder Investoren an. Diese kommen in der Regel auch nicht aus Afrika selbst, sondern zu einem großen Teil aus Europa oder den USA, seit einigen Jahren zunehmend auch aus China.  Vordergründig soll in die heimische Landwirtschaft investiert und diese effektiver gemacht werden. Tatsächlich handeln die Investoren zumeist, wie Investoren eben handeln: die auf den Ländereien gehandelten Produkte werden dort angeboten, wo sie die höchsten Preise erzielen. Und das können sie vermutlich nicht bei der afrikanischen Landbevölkerung.
 
Das so erworbene Land ist im Übrigen selten Niemandsland, sondern wurde zumeist auch bereits vorher von Einheimischen benutzt, um dort Nahrungsmittel anzubauen. Pech nur, dass es in vielen Gebieten Afrikas keine Grundbücher gibt, anhand derer einheimische Bauern ihre Eigentumsrechte nachweisen können. Zum Teil handelt es sich auch um Land, das ganze Dörfer gemeinschaftlich genutzt haben und das im Sinne europäischer Rechtsvorschriften auch nicht Einzelpersonen als Eigentum zugewiesen war.
 

Selbst das knappe Wasser wird als Ware gehandelt

 
Bekannt in diesem Zusammenhang ist auch die Praxis der Firma Nestlé, die überall auf der Welt, auch in Afrika, von Regierungen Wasserrechte aufkauft. Das aus bis dahin frei zugänglichen Quelle fördert das Unternehmen Trinkwasser, das sie in Flaschen abfüllt und teuer verkauft. In vielen Gegenden in Afrika, in denen ohnehin Wasserknappheit herrscht, kommt die einheimische Bevölkerung nicht mehr an das Trinkwasser heran, sondern muss es von Nestlé kaufen.
 
Es ist denjenigen Recht zu geben, die vorrangig die Fluchtursachen bekämpfen wollen. Aber ganz offensichtlich stellt der ach so geschätzte freie Welthandel insoweit keine Lösung dar, sondern ist in vielen Bereichen eher das Problem. Zumal dieser Handel bei Licht betrachtet so frei denn auch nicht ist, wenn europäische Interessen betroffen sind. So ganz abgeneigt ist Europa nicht, Importzölle zu verhängen, wenn es der eigenen Wirtschaft dient.
 
Andererseits gibt es für die Beseitigung ungerechter Strukturen in der Weltwirtschaft keine einfache Patentlösung. Die Politik der Europäischen Union, der Weltbank, des IWF und der WTB trägt aber ganz offensichtlich nicht zur Lösung bei. Gefragt ist ein Weltwirtschaftssystem, in dem alle Beteiligten auf Augenhöhe handeln können, frei von der Bevorzugung europäischer und amerikanischer Interessen. Eine Politik, die sich nicht einseitig an den Interessen  globaler Finanzmärkte orientiert, sondern die Bedürfnisse aller Menschen dieses Planeten vorneanstellt. Und die dafür sorgt, dass auch künftigen Generationen überall auf der Welt in Frieden und Wohlstand leben können.
 

Migration ist eine Tatsache, mit der wir uns abfinden müssen

 
Bis dieses Ziel erreicht ist, wird es Migration aus wirtschaftlichen Gründen geben. Das müssen wir nicht nur hinnehmen, sondern es bringt uns auch weiter. Überall fehlen in unserem Land Fachkräfte. Am 1. März 2020 wird das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft treten. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber letztlich kein großer Sprung. Geändert wird im Wesentlichen das deutsche Aufenthaltsgesetz. Einreise und Aufenthalt für eine Beschäftigung als Fachkraft will der Gesetzgeber erleichtern. Fachkräfte mit Berufsausbildung und solche mit akademischer Ausbildung können eine Beschäftigung ausüben, zu der sie ihre Qualifikation befähigt.
 
Das Gesetz ändert aber nichts an der Situation derjenigen Menschen, die in der Hoffnung auf ein besseres Leben zu uns gekommen sind. Es gibt viele Beispiele von Migranten, die in Deutschland nur vorläufig geduldet sind, aber bereits einen Arbeitsplatz gefunden haben. Weil sie aber über diverse Fluchtrouten zumeist als Asylbewerber gekommen sind, ist Ihnen der Aufenthaltsstatus als Fachkraft schon deshalb verwehrt, weil der Gesetzgeber auf getrennte Verfahren (Asyl- und Einwanderungsverfahren) besteht. Zudem geht es ausschließlich um qualifizierte Fachkräfte und Akademiker. Menschen, die etwa seit Jahren mit einem begrenzten Aufenthaltsstatus in Deutschland sind und hier auch arbeiten, dürfen nicht einwandern.
 

Migration im bisherigen Umfang können wir uns locker erlauben

 
Dabei gibt es keine zwingende Notwendigkeit, diese Menschen wieder in Ihre Heimatländer zurück zu schicken. Eine Flüchtlingswelle oder sogar  -flut hat es in Deutschland nicht gegeben. Im Jahr 2019 wurden in Deutschland 165.938 Asylanträge gestellt. Die Hauptherkunftsländer waren Syrien, Afghanistan und die Türkei. Etwa 18.000 kamen aus Afrika. Deutschland hat mehr als 80 Millionen Einwohner. Statistisch verfügt jeder Deutsche über etwa 45 m2 Wohnraum. Auf etwa 482 Menschen, die in Deutschland leben, kam 1 Asylbewerber. Kann etwa ein Schiff mit 482 Menschen, von dem jeder einen Platz von 45 m2 zur Verfügung hat, einen einzigen Schiffbrüchigen nicht aufnehmen, ohne überfordert zu sein?
 
Jetzt mag man einwenden, dass es auch in Deutschland Wohnungen sehr knapp sind und das es viele Obdachlose gibt. Das ist aber wahrlich kein Problem von mangelnden Möglichkeiten und Ressourcen. Auch Wohnungen werden in unserem Land nicht nach Bedürfnissen gebaut. Auch hier spielen der freie Markt und Profitinteressen die maßgebliche Rolle. In den letzten Jahren wurde viel zu wenig preiswerter Wohnraum geschaffen. In beinahe allen größeren Städten errichteten Investoren Gebäude mit teuren Wohnungen, in denen zum Teil nicht einmal jemand ständig wohnt. Sie werden häufig als Zweit- und Drittwohnungen genutzt oder als Ferienwohnungen über Internetportale für Menschen angeboten, die es sich leisten können.
 
Die relativ wenigen Migrant*innen, die jährlich nach Deutschland kommen, sind jedenfalls kein Grund für Wohnungsmangel. Den Druck auf den Wohnungsmarkt verschärfen jedenfalls die Migrant*innen nicht, die über Flucht und Asylantrag zu uns kommen.
 
Und was ist mit Gewaltdelikten wie Mord, Vergewaltigung und schwere Körperverletzung? Insbesondere von Seiten rechter Populisten wird der Anstieg von schwerer Kriminalität auf Migration zurückgeführt. Dabei geht Gewaltkriminalität in Deutschland in den letzten Jahrzehnten tendenziell eher zurück. Die Kriminalitätsrate war etwa in den 60er Jahren in diesem Land erheblich höher, also zu einer Zeit, als es erheblich weniger Migranten gab. Was in den letzten Jahren allerdings bedrohlich ansteigt, ist rechte Gewalt, die sich vornehmlich gegen Migrant*innen richtet.
 

Quellen und zur Vertiefung:

Zoran Radosavljevic und Tim Steins: „Migration aus Afrika wird in naher Zukunft anhalten“ auf der Homepage von Euractiv:

Gregor Delvaux de Fenffe: „Sklaven für Amerika“ auf der Homepage von Planet Wissen:

Jascha Jaworski: „Die weltweite Ausbeutungspyramide am Beispiel Afrika“ auf der Homepage von Heise Online Telepolis:

Ernst Wolf: „Die Strukturanpassungsprogramme des IWF und ihre fatalen Folgen“ auf „Kritisches netzwerk.de“:

Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ): „Die AKP-Staaten  - traditionelle Partner der EU“:

„Nahrungsmittelspekulation“ auf der Homepage von Oxfam Deutschland:

Dietmar Christians, Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur, DGB Rechtsschutz GmbH,Hauptverwaltung - Frankfurt am Main
Autor*in:
Dietmar Christians
Online-Redakteur (ehemals Rechtsschutzsekretär)
Onlineredaktion - Hauptverwaltung - Frankfurt am Main