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Karl Marx zum 200. Geburtstag

Am 5. Mai 2018 wäre Karl Marx 200 Jahre alt geworden. Über seine Bedeutung scheiden sich die Geister. Mit der Ideologie der Ostblockstaaten hatte er aber genauso wenig zu tun wie mit deren Scheitern.

Am 5. Mai 2018 wäre Karl Marx 200 Jahre alt geworden. Auf der ganzen Welt finden Gedenkveranstaltungen statt. Das Fernsehen zeigt Dokumentationen über sein Leben. Marx ist wieder da, nachdem es jahrelang nach dem Fall der Ostblockstaaten ruhig um ihn geworden war. Ist Marx jemand, dem man so viel Ehre zuteilwerden lassen sollte?

Über Karl Marx streiten sich die Geister. Er gilt als einer der einflussreichsten Denker der Neuzeit. Eng verbunden ist sein Name mit der Sowjetunion und den Ostblockstaaten. Zeitweise lebte ein Drittel der Menschheit in Staaten, die sich auf Marx beriefen. Auch deren Scheitern wurde Marx gleichsam angelastet. Es schien der Beweis erbracht, dass Marx sich geirrt habe. Auch wurde er verantwortlich gemacht für den Despotismus eines Stalin oder eines Pol Pot. Erst kürzlich schrieb die "Welt" anlässlich Marx´ Geburtstag, wenn man seine Schriften genauer lese, fände sich durchgängig totalitäres und freiheitsfeindliches Denken. Die Ideologie des politischen Marxismus sei von Beginn an ein Irrweg gewesen. 

Auf der anderen Seite wurde Marx insbesondere in den 70er und 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts von vielen beinahe vergöttert. Er war der Guru, bei dem man nachlesen musste, wenn man seine eigene politische Position entwickeln wollte. Schlag nach bei Charly, statt selber denken. Das hätte Marx vermutlich selbst missfallen. Religion war für ihn schließlich Opium fürs Volk. 

Wer war Karl Marx?

Karl Marx wurde am 05. Mai 1818 in Trier als Sohn eines Rechtsanwaltes geboren. Beide Eltern stammten aus angesehenen Rabbinerfamilien. Er war also kein Arbeiterkind. Er wuchs vielmehr in einer großbürgerlichen Umgebung auf und war verwandt und bekannt mit vielen Geistesgrößen. So war etwa der Dichter Heinrich Heine ein Cousin dritten Grades und mit Marx auch persönlich befreundet. In seiner Verwandtschaft gab es auch Kapitalisten, wie etwa der Gründer des Elektrokonzerns Phillips.

Zeit seines Lebens hat Marx auch ein bürgerliches Leben geführt. Selbst als er im Londoner Exil kaum über Geld verfügte, legte er darauf Wert. Seine Töchter bekamen die typische Ausbildung höherer Töchter. Mit Klavierunterricht und alledem. Auch beschäftigte die Familie Marx eine Haushälterin. Da zu Lebzeiten Karl Marx´ dessen Bücher kaum Gewinn abwarfen, konnte sich die Familie nur mithilfe eines sehr wohlhabenden Freundes über Wasser halten. Dieser Freund war der Fabrikant Friedrich Engels, mit dem Marx gemeinsam viele Schriften verfasst hatte und der in wesentlichen Punkten Marx philosophische und politische Auffassungen teilte.

Redakteur statt Professor

Marx war Doktor der Philosophie und hatte auf eine Karriere an einer Universität gehofft. Die politischen Verhältnisse verhinderten das aber. Karl Marx zählte als Philosoph zu den sogenannten "Junghegelianern" und war häufiger auch als politischer Journalist in Erscheinung getreten. Die Hegelianern waren eine Gruppe von Philosophen, die durch die Lehre von Georg Wilhelm Friedrich Hegel beeinflusst waren. Nach Hegel findet die gesellschaftliche Entwicklung in dialektischen Schritten statt und steuert auf einen Idealzustand zu. 

Hegel sah im preußischen Staat diesen Idealzustand erreicht. Nach Hegels Tod spalteten sich seine Anhänger in Alt- und Junghegelianern. Letztere waren nicht der Auffassung, dass der preußisches Staat bereits der Idealzustand sei. Die Entwicklung ginge vielmehr weiter, da Preußen kein idealer Staat sei. Zudem nahm Marx schon früh revolutionäre Positionen ein. Deshalb hatte er letztlich keine Chance auf einen staatlichen Posten im absolutistischen Preußen.

Stattdessen wurde Marx ab 1842 zunächst Redakteur bei der Rheinischen Zeitung. Das war eine pro-demokratische und reformistische Zeitung des oppositionellen Bürgertums. Unter dem Einfluss von Marx radikalisierte sich das Blatt und wurde zu einem der wichtigsten Sprachrohre der demokratischen Bewegung in Deutschland. Während der Arbeit für die Rheinischen Zeitung lernte Marx Friedrich Engels kennen, der ebenfalls Anhänger der Jung-Hegelianer war. Dessen Vater war Teilhaber eines Unternehmens in Manchester. 

Ein Fabrikantensohn kennt die elenden Verhältnisse der Arbeiter

Engels kannte daher die elenden Verhältnisse der Arbeiter und ihrer Familien sehr gut. Der Kapitalismus war zu jener Zeit in England am weitesten entwickelt und deshalb eine Art Gradmesser, wohin die Entwicklung gehen kann. 

Selbst Kinder mussten häufig bis zu 14 Stunden täglich arbeiten gegen Hungerlöhne. Es gab keine Arbeitsschutzgesetze. Arbeitsunfälle waren persönliches Schicksal. An Kündigungsschutz war nicht zu denken. Wer alt oder krank war, wurde gefeuert und hatte keine Gelegenheit mehr, irgendein Einkommen zu erzielen. Dazu kamen noch die elenden und unhygienischen Wohnverhältnisse, die zu Krankheiten und frühem Tod führten. Gesetzliche Renten oder Invalidenversicherungen waren unbekannt. Noch heute gibt es für eine ungeregelte und ungezügelte Marktwirtschaft den Begriff Manchester-Kapitalismus.

Arbeiter haben sich deshalb schon früh zu Gewerkschaften zusammengeschlossen. Sie hatten erkannt, dass nur das gemeinschaftliche solidarische Handeln Stärke bedeutet. Nur wenn sie gemeinsam Forderungen stellten und diesen Forderungen im Zweifel durch Streik Nachdruck verliehen, konnten sie Verbesserungen erreichen. Sie konnten Arbeitgeber zum Abschluss von Tarifverträgen zwingen und auch Einfluss auf die politischen Entscheidungsträger nehmen, Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu erlassen. Letztlich hat auch deren gewerkschaftliches und solidarisches Handeln in Deutschland zur bismarckschen Sozialgesetzgebung geführt. Bismarck sollte man sich wahrlich nicht als netten Kerl mit einer sozialen Ader vorstellen.

Pressezensur und Marx geht nach Paris

Zeitungen unterlagen damals in Preußen im 19. Jahrhundert der Zensur. Grundlage dafür waren die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Die Staaten des Deutschen Bundes hatten mit diesen Beschlüssen unter anderem öffentliche schriftliche Meinungsfreiheit und Burschenschaften verboten. Jede schriftliche Publikation musste vor ihrem Erscheinen durch eine Zensurbehörde freigegeben werden. Die Universitäten und der Inhalt der Lehre wurden überwacht. Liberale Professoren erhielten ein Berufsverbot. Die Rheinische Zeitung war seit ihrem ersten Erscheinen vom Verbot bedroht. Davon hatten die preußischen Behörden längere Zeit nur aus Rücksicht auf die Investoren Abstand genommen. Im April 1843 war es schließlich soweit: die Rheinische Zeitung wurde verboten und Marx siedelte mit seiner Familie nach Paris über.

Zwischen Marx und Engels entwickelte sich seit der Übersiedlung nach Paris ein reger Briefwechsel, in dem sie ihre politischen und philosophischen Ansichten austauschten. Auch schrieben beide jeder für sich und auch gemeinsam Beiträge zum politischen Diskurs. Derweil entstanden aufgrund der immer schärfer werdenden Auseinandersetzung zwischen Arbeitern und Besitzern von Produktionsmitteln revolutionäre proletarische Bewegungen, denen auch Marx nahestand. 

Die bürgerlichen Revolutionen mit ihren Forderungen nach Freiheit und Gleichheit berücksichtigten wesentliche Interessen der Besitzlosen nämlich nicht. Rosa Luxemburg hat insoweit Jahre nach dem Tod von Karl Marx treffend formuliert:  „Freiheit im Kapitalismus ist die Freiheit um Brot zu betteln oder unter Brücken zu schlafen“.

Marx hat Sozialismus und Kommunismus nicht erfunden

Seit Ende des 18. Jahrhunderts gab es bereits eine sozialistische Bewegung. Auch in der französischen Revolution gab es eine bedeutende Gruppe von Aktivist*innen, die nicht nur die Überwindung mittelalterlicher Standesunterschiede sondern auch die damals schon sichtbaren Klassenunterschiede überwinden wollte. 

Die Bewegung spaltete sich  - wie stets bei linken Gruppierungen  - sehr bald in mehrere Fraktionen, die Sozialismus jeweils unterschiedlich interpretierten. Einen Höhepunkt im 19. Jahrhundert erlebte die sozialistische Bewegung während des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 und der Belagerung von Paris durch die Deutschen. Von März bis Mai 1871 übernahm ein revolutionärer Stadtrat die Regierung von Paris, der sich an sozialistischen Vorstellungen orientierte (Pariser Kommune oder Commune de Paris).  

Marx wurde sehr stark durch die sozialistischen Bewegungen beeinflusst. Er hat also keineswegs den Sozialismus erfunden. Vielmehr gehen heute viele Historiker davon aus, dass Marx ohne den Einfluss der frühen Sozialisten lediglich ein weiterer unbedeutender bürgerlicher Philosoph unter vielen geblieben wäre. Viele Forderungen und Äußerungen, die mit Marx in Verbindung gebracht werden, finden sich bereits bei den frühen Sozialisten wie etwa Pierre-Joseph Proudhon, einem der Begründer des Anarchismus. Von ihm stammt auch der Satz „Eigentum ist Diebstahl“. Das hätte Marx so nie gesagt. Bereits bei den frühen Sozialisten gab es Forderungen wie die nach Abschaffung des Privateigentums, Einführung einer zentralen Planwirtschaft und ein Recht auf Arbeit.

Marx muss weiter fliehen

In seiner Pariser Zeit beteiligte sich Marx durch Veröffentlichungen rege an der Diskussion unter Sozialisten. Bedeutend war seine Tätigkeit als Redakteur eines deutschsprachigen Wochenblattes mit dem Namen Vorwärts. Das Blatt agitierte insbesondere gegen den preußischen Absolutismus. Unter dem Druck Preußens wurde Marx 1845 aus Frankreich ausgewiesen und siedelte nach Brüssel über. Seine journalistische und schriftstellerische Tätigkeit setzte er aber auch hier fort.

Marx stand zwar unter dem Einfluss früher sozialistischer Bewegungen. Er hat sich aber sehr kritisch mit ihren Positionen auseinandergesetzt und sie zum Teil auch scharf angegriffen. Nach seiner Auffassung waren Sozialisten allesamt Idealisten. Sein Anspruch war dagegen eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Kapitalismus. Er wollte herausfinden, nach welchen Gesetzmäßigkeiten der Kapitalismus funktioniert und welche Prozesse letztlich zu seiner Überwindung führen. 

Der Bund der Kommunisten

Marx trat während seines Aufenthaltes in Belgien einem sozialistischen Geheimbund bei, der sich Bund der Gerechten nannte und der seinen Sitz zunächst in Paris und seit 1840 in London hatte. Unter dem Einfluss von Karl Marx und Friedrich Engels wurde der Bund 1847 in Bund der Kommunisten umbenannt. In dessen Auftrag verfassten Marx und Engels im Revolutionsjahr 1848 ein politisches Programm, das Manifest der kommunistischen Partei (oder kurz: Kommunistisches Manifest). 

Das Manifest verbreitete sich rasch unter den Anhängern der Arbeiterbewegung in Europa und übte dort einen großen Einfluss aus. Heute gilt das Kommunistische Manifest als so etwas wie eine Zusammenfassung der marxistischen Theorie. Es muss aber berücksichtigt werden, dass es sich nicht um eine wissenschaftliche Arbeit handelt, sondern um eine programmatische Darstellung kommunistischer Positionen. 

Das Kommunistische Manifest

Nach Marx und Engels sind die Triebkräfte geschichtlicher Entwicklungen Auseinandersetzungen zwischen gesellschaftlichen Gruppen: 

"Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedes Mal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen."

Das im Kapitalismus herrschende Bürgertum nennt Marx Bourgeoisie. Gemeint ist der Teil des Bürgertums, der über die Produktionsmittel verfügt. Dieses war entstanden in den sich im Mittelalter bildenden Städten. Dort lebten nicht mehr Leibeigene, die den herrschenden Feudalherren zu Frondiensten verpflichtet waren, sondern Kaufleute, Handwerker und andere Gewerbetreibende. Dadurch entwickelten sich Märkte, auf denen Waren und Dienstleistungen gehandelt wurden. Und es entstand durch die Vergabe von Krediten Geldwirtschaft. 

Mit der Eroberung von Kolonien durch die europäischen Mächte und insbesondere mit der Entdeckung Amerikas entstand eine bis dahin ungekannte Dynamik. Es reichte nicht mehr aus, Ware in Handwerksbetrieben herzustellen. Es wurden immer größere Einheiten gebildet, in denen gemeinschaftlich produziert wurde, zunächst Manufakturen und schließlich moderne Industriebetriebe. 

Einen Entwicklungsschub gab es auch bei der Entwicklung der Technik. Wichtig für das Verständnis von Marx ist, dass es nach seiner Auffassung nicht die Bourgeoisie war, die letztlich für diese Entwicklung gesorgt hat, sondern in erster Linie hat umgekehrt die dynamische Entwicklung die Bourgeoisie als Klasse hervorgebracht. 

Das Bürgertum liegt in Ketten und befreit sich

Die Entwicklung hat aber unter den Bedingungen feudaler Strukturen stattgefunden. Auch dem Bürgertum waren Ketten angelegt, die sich für die weitere Entwicklung als Hindernis darstellten. Im Kommunistischen Manifest wird das so beschrieben:

Wir haben also gesehen: Die Produktions- und Verkehrsmittel, auf deren Grundlage sich die Bourgeoisie heranbildete, wurden in der feudalen Gesellschaft erzeugt. Auf einer gewissen Stufe der Entwicklung dieser Produktions- und Verkehrsmittel entsprachen die Verhältnisse, worin die feudale Gesellschaft produzierte und austauschte, die feudale Organisation der Agrikultur und Manufaktur, mit einem Wort die feudalen Eigentumsverhältnisse den schon entwickelten Produktivkräften nicht mehr. Sie hemmten die Produktion, statt sie zu fördern. Sie verwandelten sich in ebenso viele Fesseln. Sie mussten gesprengt werden, sie wurden gesprengt.

Die bürgerlichen Revolutionen im 18. und 19. Jahrhundert waren also Folge des Klassenkampfes zwischen Bürgertum und Feudalherrn. Die Bourgeoisie als Herrscherin über die Produktionsmittel setzte sich letztlich durch und die Feudalherrschaft wurde ersetzt durch die Herrschaft des Kapitals. 

Im Kapitalismus stehen sich zwei Klassen gegenüber

Der Kapitalismus zeichnet sich nach Marx dadurch aus, dass sich die Klassengegensätze vereinfacht haben. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei einander direkt gegenüberstehende Klassen: Bourgeoisie und Proletariat. Der Klassenkampf findet also zwischen den Teilen des Bürgertums statt, das die Produktionsmittel besitzt oder zumindest über sie verfügt und denjenigen, die ihren Lebensunterhalt durch ihre Arbeitskraft verdienen müssen. 

Auch der Kapitalismus ist nach Auffassung von Marx nicht das Ende der Geschichte:

"Die moderne bürgerliche Gesellschaft, die so gewaltige Produktions- und Verkehrsmittel hervorgezaubert hat, gleicht dem Hexenmeister, der die unterirdischen Gewalten nicht mehr zu beherrschen vermag, die er heraufbeschwor."

Die kapitalistische Produktionsweise führt aufgrund ihrer Dynamik nämlich regelmäßig zu Überproduktion und Absatzkrisen, die die Existenz der Bourgeoisie bedrohen. Diese versucht, einer solchen existenzbedrohenden Entwicklung entgegenzuwirken. Das macht sie etwa durch die Eroberung neuer Märkte, Vernichtung von Kapital oder Verknappung von Löhnen. Um neue Märkte zu erobern und Rohstoffquellen zu erschließen, müssen notgedrungen nationale Grenzen gesprengt werden, bis letztlich ein globaler Markt entsteht:

"Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen."

Der Kapitalist wird getrieben

Das Proletariat als Klasse vergrößert sich dadurch, dass kleinere Industrielle, Handwerker, Akademiker oder Bauern nicht mehr selbstständig tätig sind, sondern ihrerseits ihre Arbeitskraft auf dem Markt als Dienstleistung anbieten müssen. Sie sind auf dem Arbeitsmarkt Konkurrenten und müssen daher bestrebt sein, ihre Arbeitsleistung möglichst günstig anzubieten. Die Konkurrenzsituation unter den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern verschärft sich durch die Globalisierung weiter, sodass Nationalstaat, Kulturkreis oder Religionszugehörigkeit für die persönliche Situation ab einem bestimmten Punkt der Entwicklung keine Rolle mehr spielen werden. 

Für Marx ist der Kapitalist aber kein böser Mensch. Marx war alles andere als ein Verschwörungstheoretiker. Der Kapitalist ist vielmehr ein Getriebener der Verhältnisse. Er herrscht zwar über Kapital, kann darüber aber nicht nach freiem Willen verfügen. Weil er permanent zur Aufrechterhaltung seiner Herrschaft gezwungen ist, Innovation zu betreiben und neue Märkte zu erschließen. Andererseits wird das Kapital hauptsächlich durch Lohnarbeit erzeugt. Es ist kein durch Leistung selbst erzeugtes Eigentum des Kapitalisten. Das Kapital ist zwar rechtlich Privatpersonen zugeordnet. Tatsächlich ist es aber bereits vergesellschaftet. Im Kommunistischen Manifest heißt es:

Kapitalist sein, heißt nicht nur eine rein persönliche, sondern eine gesellschaftliche Stellung in der Produktion einzunehmen. Das Kapital ist ein gemeinschaftliches Produkt und kann nur durch eine gemeinsame Tätigkeit vieler Mitglieder, ja in letzter Instanz nur durch die gemeinsame Tätigkeit aller Mitglieder der Gesellschaft in Bewegung gesetzt werden. Das Kapital ist also keine persönliche, es ist eine gesellschaftliche Macht.

Die Tendenz zur Massenverelendung

Herrschaft lässt sich nach Marx auch nur solange aufrecht erhalten, wie die Beherrschten zumindest zur Aufrechterhaltung ihrer Existenz versorgt sind. Das wird aber unter den Bedingungen des Kapitalismus immer schwieriger. Die marktwirtschaftlichen Prozesse erfordern nicht nur ständige Innovation, sondern auch permanentes Wachstum. Wachstum ist aber nur durch hohe Profite möglich. Diese haben aber wegen der Konkurrenz auf den Märkten die Tendenz, ständig abzunehmen. Dem muss der Kapitalist entgegenwirken, indem er etwa den Anteil der Lohnkosten senkt. Das führt letztlich zu einer Verarmung der Massen.

Marx war überzeugt, dass das Proletariat gleichsam zwangsläufig seine Interessen rechtzeitig erkennt. Es wird offensichtlich, dass die Konkurrenz von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern untereinander zur Verarmung aller führt. Das Proletariat wird sich deshalb in Organisationen zusammenschließen und seine Interessen gegenüber der Bourgeoisie gemeinschaftlich solidarisch vertreten. 

Nach Marx ist das aber nur ein Übergangszustand. Eine Weile lang wird die Bourgeoisie verhandlungsbereit sein, da auch sie zur Aufrechterhaltung der Herrschaft ein Proletariat benötigt. Letztlich werden sich die Konflikte aber derart verschärfen, dass die Organisationen der Proletarier nach revolutionärem Kampf die politische Herrschaft und die Herrschaft über das ohnehin schon vergesellschaftete Kapital übernehmen. 

Marx wird aus Belgien ausgewiesen

Nachdem die revolutionären Ereignisse in Europa 1848 auch Brüssel erreicht hatten, wurde Marx verhaftet aus Belgien ausgewiesen. Er ging zunächst zurück nach Paris, aber bereits im März 1848 wieder nach Köln und gab dort die Neue Rheinische Zeitung heraus. Diese wurde allerdings bereits im Mai 1848 verboten und Marx ging mit seiner Familie ins Exil nach London.

In London arbeitete er jahrelang an seinem Hauptwerk Das Kapital  - Kritik der politischen Ökonomie. Marx analysiert in diesem Werk die kapitalistische Gesellschaft auf Grundlage seiner Forschungsergebnisse bisherigen Schriften zur politischen Ökonomie. Das Gesamtwerk sollte sechs Bände enthalten. Marx selbst hat jedoch nur einen Band fertig gestellt und 1867 herausgebracht. Zwei weitere Bände wurde nach Marx´ Tod von Friedrich Engels aus Manuskripten zusammen gestellt.

Das Kapital

Marx ging es darum, Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Wirtschaft zu ergründen und Vorhersagen zu treffen. Er setzte sich nicht nur mit den bürgerlichen Wirtschaftswissenschaften auseinander, sondern auch mit anderen sozialistischen Theorien, die seiner Meinung nach zu oberflächlich waren und den bürgerlichen Theorien nicht das Wasser reichen konnten. Ernst zu nehmen waren für ihn vor allem die englischen Nationalökonomen wie Adam Smith oder David Riccardo.

Besonders auf Riccardo hat Marx Bezug genommen und große Teile von dessen Arbeitswerttheorie übernommen. Danach wird der Wert einer Ware durch die Arbeitszeit bestimmt, die zu deren Produktion gesellschaftlich notwendig ist und nicht in erster Linie durch Angebot und Nachfrage reguliert. Nach Auffassung von Marx waren die bürgerlichen Theorien aber durch einen ideologischen Schleier verhüllt. Das wirklich Wesen der kapitalistischen Produktionsweise, der Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit und der Klassenkampf werden nicht offen gelegt.

Im Grunde begründet Marx mit dem Kapital seine bereits im Kommunistischen Manifest dargelegte politische Auffassung wissenschaftlich. Das Werk ist nicht leicht verständlich, besonders in den ersten Kapiteln. Selbst Engels hat Marx vorgeworfen, er würde zuweilen etwas umständlich formulieren. Das hat aber nicht verhindert, dass das Werk heute zu den Werken mit weltweit der größten Auflage gehört. Marx selbst hat den wirtschaftlichen Erfolg allerdings nicht mehr erlebt. 

Die erste Internationale und die deutsche Arbeiterbewegung

Sein politisches Engagement setzte Marx indessen trotz der Arbeit an seinem Hauptwerk und einer Vielzahl weiterer Veröffentlichungen in London fort. Zwar wurde der Bund der Kommunisten bereits 1852 aufgelöst. 1864 wurde aber mit der Internationalen Arbeiter-Assoziation (Erste Internationale) ein Nachfolgeorganisation unter Federführung von Karl Marx gegründet. Es handelte sich um eine internationale Organisation unterschiedlicher Parteien und Verbände der Arbeiterbewegung. 

Auch mit der deutschen Arbeiterbewegung stand Marx in regem Kontakt und begleitete auch die Bildung sozialistischer Parteien. Ferdinand Lassalle, der Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins,  galt eine Zeit lang als Marx-Schüler, bevor sich die beiden zerstritten. Mit Wilhelm Liebknecht und August Bebel gab es fast freundschaftliche Kontakte. Sowohl Marx als auch Engels unterstützten die Bildung der Sozialdemokratischen Partei und veröffentlichten auch Artikel in deren Zeitschriften.

Der Einfluss Karl Marx auf die gesellschaftliche Entwicklung in Europa darf nicht unterschätzt werden. Er beschränkt sich wahrlich nicht nur auf einige sich als sozialistisch bezeichnenden Länder. Die gesamte Arbeiterbewegung ist von seinem Denken beeinflusst. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben durch ihren Zusammenschluss in politische Parteien nachhaltig für Gesetze gesorgt, die ihnen Mitbestimmung und sozialen Schutz gewähren. In Deutschland ist die Bildung von Gewerkschaften und deren politische und wirtschaftliche Betätigung durch die Verfassung geschützt. Mithilfe der Gewerkschaften treten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinschaftlich in Verhandlungen mit den Arbeitgebern für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Was ist aber mit der Massenverelendung?

Hier hat Marx ganz sicher die Dynamik des Kapitalismus weit unterschätzt. Derzeit steigt international eher der Wohlstand. Das spricht aber nicht gegen die Theorie. Marx ging von der Verelendung der Massen aus, weil nach seiner Auffassung die Profitraten sinken und der Kapitalist aufgrund der Verhältnisse gezwungen ist, die Löhne abzusenken. Er selbst hat aber überhaupt kein wirkliches Interesse, dass die Löhne unter das Existenzminimum sinken, weil der Kapitalismus ja die Existenz eines Proletariats voraussetzt. 

Solange der Kapitalist andere Maßnahmen zur Verfügung hat wie technische Innovationen und die Erschließung neuer Märkte, wird er nicht gezwungen sein, die Arbeitseinkommen zu stark abzusenken. Zudem stehen ihm jedenfalls in Deutschland starke Gewerkschaften gegenüber, die dafür sorgen, dass die Interessen der Beschäftigten mit Macht vertreten werden. 

Was Marx nicht vorhersehen konnte, war die innovative Kraft der bisherigen industriellen Revolutionen 1-3. Durch die Erschließung immer neuer Märkte, die Ausbeutung von Drittweltstaaten und Schaffung neuer Bedürfnisse von Fernsehen und Auto bis Smartphone erhöhten sich die Umsatzmöglichkeiten und der Fall der Profitraten wurde abgeschwächt. Das Interessante an Marx´ Theorie ist aber die Tendenz, die er insoweit ausgemacht hatte. Er ging von einer Begrenztheit der Ressourcen und Möglichkeiten aus und kam zu dem Schluss, dass irgendwann die Möglichkeiten des wirtschaftlichen Wachstums erschöpft sind. Kapitalismus lebt aber von ständiger Innovation und Wachstum. Wenn das nicht mehr erreichbar ist, entsteht über den Fall der Profitraten die Massenverelendung.

Marx und Industrie 4.0

Derzeit findet gerade die sogenannte vierte industrielle Revolution mit der Digitalisierung statt (Industrie 4.0). Seriöse Studien gehen davon aus, dass in den nächsten 20 Jahren die Hälfte aller - auch qualifizierter - Arbeitsplätze wegfallen könnte. Nach Marx können die Unternehmer gar nicht frei entscheiden, ob sie bei dieser Innovation mitmachen. Wollen sie nicht untergehen, zwingen sie die Verhältnisse dazu. 

Bis dato gibt es keine wirklichen Konzepte, wie auf diese Entwicklung zu reagieren ist. Es ist sicherlich nicht vorhersehbar, wie es weitergeht. Ganz offensichtlich steuern wir auf eine Situation zu, in der Erwerbsarbeit immer weniger wichtig wird. Massenverelendung ist aber nicht unwahrscheinlich, wenn nicht entgegengesteuert wird. Ob sich kürzere Arbeitszeiten aushandeln lassen, hängt letztlich davon ab, ob sich mit der dann teureren Arbeit noch Profite erzielen lassen, die den Unternehmern Raum für neue Investitionen lässt. 

Denn Getriebener wird der Kapitalist bleiben müssen, will er die Existenz des Kapitalismus nicht gefährden. Ob sich Verelendung durch weitere Sozialprogramme wie etwa das bedingungslose Grundeinkommen verhindern lassen wird, ist schwer zu sagen. Vielleicht bringt die Digitalisierung aber wieder heute noch nicht erkennbare Potentiale für neue Arbeitsplätze. Wer weiß das schon?

Aber Klassenkampf gibt es doch nicht mehr?

Heute nennen sich Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften Sozialpartner. Sie stehen sich nicht mehr unversöhnlich als Feinde gegenüber, sondern versuchen über Verhandlungen einen Ausgleich der Interessen zu erlangen. Nach Marx sind die Klassengegensätze antagonistisch. Zwischen den jeweiligen Interessen besteht ein nicht aufzulösender Widerspruch. Deshalb kann es keinen wirklichen Ausgleich geben. Allenfalls einen Kompromiss, der die Interessen der unterlegenen Klassen jedenfalls so weit wie möglich berücksichtigt.

Das Prinzip des Klassenkampfes ist aber keine Erfindung von Marx. Er fordert auch nicht zum Klassenkampf auf, wie vielfach kolportiert wird. Im 19. Jahrhundert war man sich auch unter bürgerlichen Historikern weitgehend einig, dass es gesellschaftliche Klassen gibt, die in einem ständigen Kampf gegeneinander stehen. Der Klassenkampf ist also nicht etwas, was man will oder nicht. Er findet gleichsam täglich und andauernd statt. 

Heute würde man eher den Begriff Interessenkonflikt verwenden. Es ist kaum zu leugnen, dass es einen permanenten Gegensatz zwischen den Interessen der abhängig Beschäftigten und den Arbeitgebern gibt. Den gibt es, wenn es um Gesetzgebung geht: wer Unternehmer ist, hat etwa ein Interesse an möglichst ungehinderter unternehmerischer Betätigung, wer abhängig beschäftigt ist an Kündigungsschutz und geregelten Arbeitszeiten. Es handelt sich zwar auch jeweils um Interessen von einzelnen, aber gleichzeitig um Klasseninteresse. Diese Gegensätze bilden nicht nur nach Marx sozusagen den Motor der geschichtlichen Entwicklung. 

Neu bei Marx war indessen, dass die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist. Marx ging davon aus, dass es nach der Machtübernahme durch Organisationen der Arbeiterklasse zunächst zur Diktatur des Proletariats kommt. Das würde aber nur eine Übergangsphase zur klassenlosen Gesellschaft sein. 

Diktatur des Proletariats

Das ist ein in der Diskussion über Marx ein viel benutzter Begriff. Marx Ziel war offensichtlich eine Diktatur. In den Staaten des sogenannten real existierenden Sozialismus wurde die Herrschaft einer Partei sogar damit gerechtfertigt, man befinde sich in der Phase der Diktatur des Proletariats. Das sei geschichtlich notwendig, um irgendwann in den Kommunismus überzugehen.

Marx benutzt den Begriff Diktatur des Proletariats nur selten und eher beiläufig. Auch findet sich bei ihm insoweit keine Definition. Geht man von Marx` Geschichtsbild aus, meint er damit schlicht die Herrschaft der Mehrheit (Proletarier) über die Minderheit (Bourgeoisie). Von Gewaltherrschaft ist nirgendwo die Rede. Zwar sind auch bei Marx in dieser Phase die Arbeiterorganisationen wichtig. Von der Diktatur einer Partei oder einer Kaderorganisation über die Mehrheit findet sich bei Marx keine Zeile. 

Für Marx ist das notwendige und unvermeidliche Ziel der gesellschaftlichen Entwicklung das Verschwinden aller Klassengegensätze. Als Philosoph war Marx der Überzeugung, dass sich die Gesellschaft dialektisch auf einen Idealzustand zubewegt. Die Triebkraft der Entwicklung ist der Klassenkampf. Der Idealzustand die klassenlose Gesellschaft. Es muss deswegen nach Übernahme der Macht durch das Proletariat eine relativ kurze Phase der Herrschaft einer Mehrheit über die Minderheit geben, weil die Angehörigen dieser Minderheit nun einmal  - noch  - da sind. 

Diese Minderheit soll aber nicht etwa durch Gewaltherrschaft und Exekution beseitigt werden. Nach Marx gehen die Angehörigen der ehemaligen herrschenden Klasse durch das Prinzip jedem nach seinen Bedürfnissen in die ehemals unterlegenen Klasse auf. Ist der Idealzustand erreicht, sind Staaten als Organisationsstrukturen von Klassenherrschaft überhaupt nicht mehr nötig. Sie sterben ab.

Wer war denn nun Karl Marx

Er war sicherlich eine komplexe und auch widersprüchliche Persönlichkeit. Als Familienvater soll er sehr fürsorglich gewesen sein. Es herrschte, wie mehrfach berichtet wurde, in seiner Familie ein lebhafter Diskussionsstil. Der Umgangston wird auch als geistvoll witzig beschrieben. Auf der anderen Seite gibt es mehrere Anhaltspunkte dafür, dass Marx auf politische Freunde und Gegner oft unnachgiebig und stur gewirkt habe. Als Leiter etwa der ersten Internationalen muss er nicht unbedingt angenehm gewesen sein.

Karl Marx war aber sicher ein einflussreicher Denker. Sein philosophisches Weltbild, nach dem die Geschichte auf einen Idealzustand zustrebt, kann man sicherlich hinterfragen. Seine Analyse des Kapitalismus ist aber bis heute aktuell. Vieles, was uns heute Kopfzerbrechen bereitet, hat Marx bereits im 19. Jahrhundert aus den damaligen Entwicklungen abgeleitet und vorhergesehen. Er hat aufgezeigt, dass etwa Globalisierung eine notwendige Konsequenz der kapitalistischen Produktionsweise ist. Auch das regelmäßige Auftreten von Finanzkrisen schienen Marx logische Folge  zu sein. Selbst die derzeitigen Migrationswellen finden sich schon als mögliche Folge der kapitalistischen Ordnung. 

Karl Marx selbst hat selbst eine Antwort auf die Frage, wer er denn sei, gegeben. Friedrich Engels hat von einer Gesprächsrunde berichtet, an der er und Marx teilgenommen hatten. Marx wurde gefragt, wie er darüber denke, dass sich viele Parteien und Organisationen inzwischen auf ihn beriefen und sich marxistisch nennen. Marx soll in die Runde geblickt und folgerndes geantwortet haben:

Alles, was ich weiß, ist, dass ich kein Marxist bin.

Dietmar Christians, Rechtsschutzsekretär und Online-Redakteur, DGB Rechtsschutz GmbH,Hauptverwaltung - Frankfurt am Main
Autor*in:
Dietmar Christians
Online-Redakteur (ehemals Rechtsschutzsekretär)
Onlineredaktion - Hauptverwaltung - Frankfurt am Main