Zum Tag der Befreiung: Völkisches Gedankengut und Corona-Leugner
Querdenken bezeichnet eigentlich die Fähigkeit, systematisch verschiedene Denk- und Wahrnehmungsperspektiven einzunehmen, wenn man über ein Thema nachdenkt. Es geht um analytisches und kreatives Denken. Und es geht darum, Lösungen für komplexe Probleme zu finden. Kurzum geht es um das, was uns der Philosoph Immanuel Kant bereits im 18. Jahrhundert vorschlug: den Mut haben, den eigenen Verstand zu benutzen.
Und so mutet es schon seltsam an, wenn ausgerechnet der bunte Haufen, der derzeit in verschiedenen Städten auf „Hygiene-Demos“ dreist behauptet, den Rechtsstaat retten zu wollen, sich als „Querdenker“ bezeichnet. Selbstverständlich hat jede*r das Recht, ihre/seine Meinung frei zu äußern, auch und gerade auf Demonstrationen. Mit „Querdenken“ hat das, was von Corona-Leugnern und Verschwörungstheoretikern herüberkommt, aber auch rein gar nichts zu tun. Unterschiedliche Denk- und Wahrnehmungsperspektiven fallen gerade nicht auf, wenn man sich auf ihren Homepages informiert.
Der Verfassungsschutz sieht sowohl personell als auch ideologisch bei "Querdenken 711" Überschneidungen zu Rechtsextremisten
Nicht zu übersehen ist aber auch, dass der Einfluss derjenigen immer größer wird, die nun gerade nicht für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stehen. Auffällig ist schon, dass Inhalte von Websites von Initiativen wie „Querdenken 711“ oft mit den Inhalten rechtsradikaler Homepages korrespondieren.
Der baden-württembergische Verfassungsschutz sieht sowohl personell als auch ideologisch bei "Querdenken 711" Überschneidungen unter anderem zu Rechtsextremisten und Reichsbürgern bzw. Selbstverwaltern. Der Gründer Michael Ballweg bemüht sich zwar, sich von Extremismus jeglicher Art und speziell von den Reichsbürgern zu distanzieren. Unerlässlich betont er, auf dem Boden des Grundgesetzes zu stehen. So recht glaubhaft ist das indessen nicht.
Auf Demonstrationen in Leipzig und Berlin im November 2020 befanden sich Mitglieder der rechtsextremistischen Parteien NPD, „Der III. Weg“, „DIE RECHTE“, Angehörige der rechts-extremistischen Hooligan-Szene und sonstige Akteure aus dem parteiungebundenen Spektrum sowie Personen aus dem Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“. Das hat die Bundesregierung auf einer Anfrage der Fraktion der Linken im Januar 2021 bestätigt.
Neofaschistische Gruppen werben auf Ihren Homepages und in den sozialen Netzwerken für die „Hygiene-Demos“ und völkisches Gedankengut.
Viele Gruppierungen aus dem Neonazi-Spektrum und aus der rechtsextremistischen Hooligan-Szene mobilisieren Mitglieder und Sympathisanten regelmäßig im Vorfeld solcher Veranstaltung. Auch werden immer häufiger offen völkische Symbole und Plakate mit völkischen Inhalten gezeigt. Kein Organisator einer „Hygiene-Demo“ hat bis dato dafür gesorgt, dass rechte politische Parolen verschwinden.
Neofaschistische Gruppen wie „Der III. Weg“ und „DIE RECHTE“ werben auf Ihren Homepages und in den sozialen Netzwerken nicht nur für die „Hygiene-Demos“, sondern offensiv für völkisches Gedankengut. Sie stehen damit an der Seite der AfD, deren Ehrenvorsitzender Alexander Gauland zwar stets betont, die Partei stünde auf dem Boden der freien demokratischen Ordnung. In ihrem Parteiprogramm bekennt sie allerdings sich zur sogenannten „deutschen Leitkultur“. Die „Ideologie des Multikulturalismus“ betrachtet die AfD als „ernste Bedrohung für den sozialen Frieden und für den Fortbestand der Nation“.
Schon 2016 warb die damalige Vorsitzende der AfD, Frauke Petry, im Interview mit der „Welt am Sonntag“ offen damit, den Begriff „völkisch“ seiner NS-Einbindung zu entledigen und ihn positiv zu besetzen. Völkisch halten heute wieder viele Politiker*innen der AfD für eine akzeptable Haltung, nicht nur innerhalb des ehemaligen und angeblich aufgelösten „Flügels“. Die Bezugnahme auf eine angebliche „deutschen Leitkultur“, ohne die der „Fortbestand der Nation“ ernsthaft bedroht sei, zeigt die Nähe der Partei zur modernen Variante des „Völkischen“, dem sogenannten „Ethnopluralismus“.
Wer die Gesellschaft eines Landes vor äußeren Einflüssen abschottet, gefährdet ihre Zukunft
Anhänger des Ethnopluralismus streben Staaten und Gesellschaften an, die nach „Ethnien“ organisiert sind. Eine Ethnie sei, so meinen sie, umso besser und stärker, je reiner sie sei und je mehr die eigene Kultur von anderen Einflüssen abgeschottet sei. Diese Auffassung verkennt indessen völlig die Dynamik, mit der sich auch Kultur entwickelt. Sie ist beileibe nichts Statisches. Kulturelle Einflüsse von außen hat es immer gegeben. Es gibt keinerlei Belege dafür, dass der Einfluss einer Kultur auf eine andere den Niedergang eine der Kulturen bedeutet hat. Im Gegenteil: die Synthese unterschiedlicher kultureller Besonderheiten hat häufig die Gesellschaft vorangebracht.
Wer die Gesellschaft eines Landes vor äußeren Einflüssen abschottet, gefährdet also ihre Zukunft. Schlimmer ist aber noch, was führende AfD-Mitglieder wie Björn Höcke propagieren. Höcke gefällt sich darin, politische Gegner als „Volksverräter“ und „Lumpenpack“ zu diffamieren. Offen stellen sich diese AfD-Mitglieder gegen Einwanderung und Integration und bezeichnen ihre Haltung offen als „völkisch“.
Zur Geschichte der „völkischen Bewegung“ in Deutschland empfehlen wir unseren Artikel
Bei der AfD tritt immer deutlicher eine völkische Geisteshaltung zutage
Jetzt ist es nicht so, dass lediglich einige unverbesserliche Idioten völkische Positionen in einer eigentlich demokratischen Partei vertreten. Es handelt sich vielmehr Menschen, die an vorderster Front stehen und das Gesicht der Partei darstellen.
Höcke ist für den Ehrenvorsitzenden Gauland auch niemand, den er nicht für einen „Demokraten“ im Sinne der AfD halten würde. In einem Gespräch mit der „Weltwoche“ bezeichnete er Höcke als „einen ein sehr kluger, gebildeter Mann“, mit dem man sehr gut über historische Dinge diskutieren könne. Er präsentiere sich als unerschrockener, verlässlicher Kämpfer und liebe „sein Deutschland heiß und innig“. Er könne sich zwar sehr in den Mittelpunkt stellen, sei aber sehr anständig.
Die AfD ist eben eine „Zwiebelpartei“, die sich immer mehr häutet. Vom Parteigründer Lucke über Frauke Petry, dem Duo Meuthen/Gauland bis hin zu Björn Höcke lässt sie eine Hülle nach der anderen fallen. Immer deutlicher tritt dabei eine völkische Geisteshaltung zutage.
Und damit steckt die Partei in einem Sumpf, in dem sich auch NPD, „Der III. Weg“, „DIE RECHTE“, die rechts-extremistischen Hooligan-Szene und sonstige Akteure aus dem parteiungebundenen Spektrum sowie Personen aus dem Spektrum der „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“ tummeln.
Man kann die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie kritisieren, aber nicht Schulter an Schulter mit Anhängern einer verbrecherischen Ideologie
Und dieser Sumpf ist eine deutschnationale und antisemitisch-rassistische „völkische Bewegung“, die in Deutschland schon einmal eine Traditionslinie begründet hat, die in Holocaust, Vernichtungskriegen und Völkermorden geendet hat.
Völkische Organisationen wie der „Alldeutsche Verband“ verfolgten ab Mitte des 19. Jahrhunderts rassistische und kolonialpolitische Ziele, die Deutschland in den Rang einer imperialistischen Großmacht erheben sollten. Dabei überhöhten diese Organisationen das „Deutschsein“ über allen Maßen. Das stellte im Übrigen auch einen wesentlichen Unterschied zu den anderen Großmächten dar, für die „Nation“ nichts mit der typisch deutschen „Blut und Boden“- Ideologie zu tun hatte.
Diese typisch deutsche Hybris hatten wir für überwunden gehalten. Jetzt zeigt sie ihre elende Fratze wieder in rechten Organisationen wie der AfD. Und zunehmend auch auf den Demonstrationen der Gegner der Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie. Selbstverständlich kann jeder die Maßnahmen und ihr Zustandekommen kritisieren. Aber bitte nicht Schulter an Schulter mit Anhängern einer verbrecherischen Ideologie, die schon einmal 50 Millionen Tote zu verantworten hatte und deren Credo Intoleranz und die Vernichtung Andersdenkender und „Volksfremder“ (was immer das auch sein soll) ist.
Die wahren Querdenker setzen sich in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen mit der Pandemie auseinander
Völkisch denken ist auch das genaue Gegenteil von Querdenken, weil es weder analytisch noch kreativ ist, sondern verbohrt und ohne Bezug zur Realität. Querdenken bedeutet auch, mehrere Möglichkeiten abzuwägen und dabei unterschiedliche Wahrnehmungsperspektiven einzunehmen. Das ist genau das, was die Wissenschaft macht. Insoweit sind diejenigen, die sich in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen mit der Pandemie und dem Umgang damit auseinandersetzen, die wahren Querdenker.
Wer zudem meint, mit Impfen würde Bill Gates oder sonst jemand uns zu gefügigen Robotern machen wollen, das Corona-Virus gebe es nicht, die Erde sei eine Scheibe oder Buxtehude die Hauptstadt von Grönland vertritt im Übrigen keine Meinung, sondern ignoriert schlicht Fakten. Und das wird dann gefährlich, wenn – wie im Fall der Viren- er sich so verhält, dass er nicht nur sich, sondern auch Unbeteiligte schädigt.
Ohne begrenzende Faktoren neigen Virenpopulationen zu exponentiellem Wachstum
Teilnehmer an Demonstrationen, auf denen Hygienemaßnahmen vernachlässigt werden, sind nämlich nicht Helden, die jeder Gefahr furchtlos ins Auge blicken. Sie haben schlicht in der Schule nicht aufgepasst oder einfache Mathematik auf Mittelstufenniveau nicht verstanden. Ohne begrenzende Faktoren neigen Virenpopulationen zu exponentiellem Wachstum. Mathematisch haben wir es also mit einer Größe zu tun, die sich in jeweils gleichen Zeitschritten immer um denselben Faktor vervielfacht.
Dieser Wert entspricht der Basisreproduktionszahl, die laut Robert-Koch-Institut (RKI) beim Coronavirus (SarsCov2) je nach Variante zwischen 2,4 und 3,3 liegt. Man kann also davon ausgehen, dass ohne Schutzmaßnahmen im Schnitt jeder Infizierte drei andere ansteckt. Vorsichtig geschätzt werden sich in einer Menge von 100 Menschen durchschnittlich etwa drei Infizierte befinden.
Nach Schätzungen der Polizei haben am 4. April 2021 in Stuttgart etwa 10.000 Menschen demonstriert. Es werden sich also schätzungsweise 300 Infizierte unter den Demonstranten befunden haben, die insgesamt 900 Menschen angesteckt haben. Man kann also erwarten, dass es nach der Demo etwa 1.200 Infizierte gegeben hat. Wie viele Menschen diese wiederum anstecken, hängt davon ab, welche Hygienemaßnahmen nach der Demo eingehalten werden.
Viele Covid-19-Infektionen hätten verhindert werden können, wenn die Demos in Leipzig und Berlin im November 2020 ausgeblieben wären
Auch mit allen Maßnahmen lag der R-Wert zeitweise deutlich über eins. Liegt der R-Wert bei 1,1, verdoppelt sich die Zahl der Infizierten in etwa sieben betrachtete Zeiteinheiten. Forscher des Leipnitz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) Mannheim und der Humboldt-Universität zu Berlin haben in einer Studie herausgefunden, dass bis Weihnachten 2020 zwischen 16.000 und 21.000 Covid-19-Infektionen hätten verhindert werden können, wenn die Demos in Leipzig und Berlin im November 2020 nicht stattgefunden hätten.
Wer also ungeschützt in diesen Zeiten der Pandemie demonstriert und jede Hygieneregel dabei ignoriert, ist mitverantwortlich für Gesundheitsschäden und den Tod vieler Unbeteiligter, auch wenn alle Teilnehmer*innen der Demo nach der Veranstaltung wieder sämtliche Hygienemaßnahmen einhalten. Das ist wahrlich kein Kavaliersdelikt.
Es gibt also mehrere gute Gründe, Demonstrationen von Gegnern der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu untersagen. Jedenfalls spätestens dann, wenn ernsthaft zu befürchten ist, dass Hygienemaßnahmen konsequent missachtet werden. Damit werden rechtsstaatliche Regeln in keiner Weise außer Kraft gesetzt.
Artikel 8 des Grundgesetzes (GG) gibt allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden. Davon hat der Gesetzgeber mit dem Versammlungsgesetz Gebrauch gemacht.
Auch während der Pandemie haben die Organisatoren einer Demo das Recht, gegen ein Verbot vorzugehen
Versammlungen und Demonstrationen unter freiem Himmel müssen demnach 48 Stunden vor der Bekanntgabe der zuständigen Behörde unter Angabe des Gegenstandes der Versammlung oder des Aufzuges angemeldet werden. Die Behörde kann die Demo verbieten oder von bestimmten Auflagen abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung oder des Aufzuges unmittelbar gefährdet ist.
Das sind Regeln, die bereits seit langem gelten und mit Corona oder einer angeblichen Diktatur nichts zu tun haben. Auch während der Pandemie haben die Organisatoren das Recht, gegen ein Verbot vorzugehen, nötigenfalls mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Verwaltungsgericht. Das Gericht ist verpflichtet, eine Verbotsverfügung aufzuheben, wenn sie nicht begründet ist.
Es geht selbstverständlich nicht darum, jemanden zu verbieten, zur Pandemie und den notwendigen Maßnahmen eine eigene Meinung zu haben. Es wäre schlimm für eine Demokratie, wenn man der Regierung oder einer Mehrheitsmeinung nicht widersprechen darf. Es gibt in unserem Land aber niemanden, der einem verbietet, eine eigene Meinung zu haben und offen zu äußern und sei sie auch noch so schräg.
Das Recht, die Meinung frei zu äußern, ist nicht schrankenlos
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sagt sogar in ständiger Rechtsprechung, dass das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht nur das Äußern einer Meinung als solche schützt, sondern auch das geistige Wirken durch die Meinungsäußerung. Niemand verbietet also den selbsternannten „Querdenkern“ öffentlich ihre Meinung zu vertreten und andere zu überzeugen. Dafür gibt es jede Menge Medien wie das Internet und die sozialen Netzwerke. Dort besteht auch nicht die Gefahr, dass das Coronavirus - anders als auf den „Hygiene-Demos“ - weitergegeben wird.
Das Recht, die Meinung frei zu äußern geht schon sehr weit. Es ist allerdings nicht schrankenlos. Nach Artikel 5 GG findet das Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Niemand darf also einen anderen herabwürdigen oder beleidigen. Auch ist durch das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nicht geschützt, irgendwelche Tatsachen zu behaupten, die nicht zutreffen.
Wer eine Meinung offen vertritt hat indessen kein Recht darauf, dass man ihm nicht widerspricht. Derjenige, der widerspricht hat nämlich auch ein Recht auf Meinungsfreiheit. Und wenn es denn so ist, dass die überwiegende Mehrheit meine Meinung anlehnt, muss ich eben damit leben. Dadurch ist mein eigenes Recht aber in keiner Weise eingeschränkt.
Die „Querdenker“ werden also damit leben müssen, dass zwei Drittel (67 Prozent) der Bundesbürger angesichts steigender Infektionszahlen einem Appell von Intensivmedizinern zustimmen, dass in der Bundesrepublik ein „harter Lockdown“ angeordnet wird. Das geht aus einer repräsentativen Umfrage von Infratest Dimap für den ARD-Deutschlandtrend vom März 2021 hervor.
Bislang hat kein Wissenschaftler eine belastbare Studie publiziert, die nicht nahelegt, unser Gesundheitssystem ein ungebremstes Ausbreiten des Virus aushält
Also, liebe „Querdenker“, leugnet weiter, dass derzeit ein tödliches Virus die Welt im Griff hat, gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis. Übrigens würde ein ernstzunehmender Wissenschaftler niemals behaupten, dass seine Erkenntnisse in Stein gemeißelt sind. Wissenschaft versucht, aus Daten allgemeine Strukturen und Gesetzmäßigkeiten herzuleiten. Sie präsentiert Modelle, bei denen sie davon ausgeht, dass diese die Wirklichkeit beschreiben. in der Naturwissenschaft gelten solche Modelle aber nur als wissenschaftlich, wenn sie Aussagen treffen, die überprüfbar und prinzipiell widerlegbar sind.
Ein wissenschaftliches Model, das plausibel erklärt, dass die ungehemmte Verbreitung des SarsCoV2-Virus nicht zu einem Zusammenbruch unseres Gesundheitssystems führen würde, ist bislang nicht publiziert worden. Alle bekannten Studien, die im Übrigen von jedem eingesehen werden können, gehen indessen vom Gegenteil aus.
Worüber sich munter streiten lässt, sind allerdings die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und deren Zustandekommen.
Das Virus ist gefährlich und verbreitet sich rasend schnell, wenn man es den lässt. Darin sind sich alle Virologen und Epidemiologien einig. Welche Schlussfolgerungen für Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie daraus zu ziehen sind, ist Sache der Politik. Wer verantwortungsvoll als Politiker*in handelt, holt sich vor einer Entscheidung Rat unterschiedlicher Experten ein. Wenn dann in Grundrechte eingegriffen wird, kann nur ein Parlament als vom Volk gewählte Legislative entscheiden.
Zwar kann ein Parlament wie der Bundestag die Regierung oder ein Ministerium ermächtigen, Verwaltungsvorschriften zu erlassen, die als untergesetzliche Normen vieles regeln und auch das Leben der Bürger*innen einschränken können. Die Ermächtigung muss in einem förmlichen Gesetz verankert sein, das hinreichend bestimmt gefasst ist, wie Artikel 80 des Grundgesetzes (GG) regelt. Eine entsprechende Ermächtigung enthalten §§ 28 und 28a Infektionsschutzgesetz (InfSG), durch das dritte Bevölkerungsschutzgesetz im November 2020 eingeführt.
Diese gesetzliche Bestimmung ist indessen verfassungsrechtlich ein wenig „auf Kante genäht“. Der Gesetzgeber darf nämlich nicht seine Aufgaben ohne Weiteres auf die Verwaltung abwälzen. Vielmehr sind Art und Umfang einer Ermächtigung auch an Regeln gebunden. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat insoweit die „Wesentlichkeitstheorie“ entwickelt: Wesentliche Fragen der Grundrechtsausübung und -eingriffe im Bereich der untergesetzlichen Normsetzung muss das Parlament selbst regeln.
Die Grundrechte lassen sich nur durch Gesetz und nicht lediglich aufgrund eines Gesetzes einschränken
Insoweit erscheint es fraglich, ob eine Telefonkonferenz zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsident*innen wirklich ein adäquates Mittel ist, Rechtsnormen zu beschließen, die die Grundrechtsausübung der Bürger*innen stark einschränken. Auch deshalb ist es konsequent, wenn solche Maßnahmen in Zukunft durch ein Bundesgesetz geregelt werden.
Was hat das aber alles mit dem Tag der Befreiung zu tun?
Das Deutsche Reich hat 1939 einen brutalen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen, der zum großen Teil darauf abzielte, ganze Volksgruppen zu vernichten. Mit großen Anstrengungen und unter erheblichen Opfern ist es den Alliierten gelungen, Europa von dieser Geißel zu befreien. Mit Blut, Schweiß und Tränen (Blood, Sweat and Tears) wie es Winston Churchill seinerzeit formulierte.
Historische Vergleiche sind immer problematisch. Unsere „Berliner Republik“ ist etwas ganz anderes als die Weimarer Republik. Vor allem ist sie viel gefestigter und der Gedanke von Freiheit und Demokratie ist bei der großen Mehrheit der Bevölkerung nicht zu erschüttern. Das zeigen alle Umfragen.
Nicht zu unterschätzen ist aber, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung immer noch völkischem Gedankengut anhängt, mit leider steigender Tendenz. Anders als noch vor wenigen Jahren gibt es heute eine „völkische“ Partei, die im Bundestag vertreten ist. Hinzu kommt, dass über soziale Medien andere rassistische und rechtsradikale Gruppen einen großen Einfluss auf diejenigen ausüben, die von Medien des Qualitätsjournalismus keine Notiz mehr nehmen oder diese ohnehin zur „Lügenpresse“ zählen.
Ein großer Teil der AfD-Wähler denkt völkisch
Bereits 2019 stellte das Forsa-Institut fest, dass über 40 Prozent der AfD-Wähler eine fest verwurzelte völkische Einstellung haben. 15 Prozent der Wähler dieser Partei seien sogar der Überzeugung, Auschwitz sei eine Lüge der damaligen Sieger. Resümee der Meinungsforscher war seinerzeit, dass AfD-Anhänger für völkisches Gedankengut anfällig seien und große Distanz zum demokratischen System hätten. Wahlerfolge der Partei kann man also im Wesentlichen kaum als bloßen Ausdruck von „Protest“ ansehen. Ganz offensichtlich gibt es indessen ein großes völkisches Potential unter den Wahlberechtigten in unserem Land. Menschen, die davon überzeugt sind, dass Deutschland über alles geht und dass dieses Deutschland aus einem klar definierten „Volk“ besteht, das sich gegen äußere Einflüsse abgrenzen muss. Es gibt Schätzungen, dass bis zu 25 Prozent der erwachsenen Deutschen dieser Auffassung sind. Und diese ist nicht nur falsch, sondern auch schädlich. Migrationsbewegungen hat es in der Geschichte immer gegeben und sie haben sich letztlich nur durch Gewalt und Unterdrückung aufhalten lassen.
Unabhängig von der Motivation einzelner „Querdenker“ und „Corona-Leugner“ sind deren Proteste in der öffentlichen Wahrnehmung Teil einer „Bewegung“, die gegen Toleranz und Multikultur ins Feld zieht. Und die eben „Querdenken“ in seiner eigentlichen Bedeutung nicht zulässt, sondern die eigene Meinung als obligat erhebt. Offensichtlich – so stellt es sich jedenfalls einem Außenstehenden dar – berufen sich hier Menschen auf Meinungsfreiheit, die von Meinungen Andersdenkender nicht viel halten.
Es gilt, den Anfängen zu wehren
Mit Abstand am besten organisiert in dieser Mischpoke schrägdenkender Protestler sind die völkischen Gruppen, die AfD, die NPD oder neofaschistische Organisationen wie „Der III. Weg“ und „DIE RECHTE“. Und hier schließt sich bei aller historischer Vorsicht ein Kreis. Hier zeigt sich eine leider noch aktive Traditionslinie, die schon einmal zur Unterdrückung eines ganzen Kontinents, zu Völkermord und Vertreibung geführt hat. Und deren Protagonisten es schon einmal geschafft haben, Unzufriedene in historischen Ausnahmesituationen hinter sich zu einigen.
Wir schließen deshalb diesen Beitrag mit dem Epilog des „Arturo Ui“ von Bertold Brecht, den wir schon in Zusammenhang mit dem internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust zitiert haben:
„So was hätt einmal fast die Welt regiert!
Die Völker wurden seiner Herr, jedoch -
dass keiner uns zu früh da triumphiert-
Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch!"
Quellen und zur Vertiefung:
Unsere Artikel: